Das städtische Mobilitätskonzept stand bei der Beratung im Stadtparlament am Dienstag im Gegenwind. Die beiden Stadträte Patrizia Adam und Peter Jans verteidigen das Papier. Sie sagen, warum der Autoverkehr nicht zunehmen muss, wenn die Stadt wächst.
Im Stadtparlament haben am Dienstag mehrere Ratsmitglieder das städtische Mobilitätskonzept scharf kritisiert. Es sei mutlos und es fehlten Visionen. Stimmt das?
Peter Jans: Die von der FDP genannten Visionen wie eine U-Bahn sind nicht enthalten, weil sie schlicht nicht finanzierbar wären. Demnächst wird eine Wirtschaftlichkeitsstudie für das Tram erarbeitet. Bereits jetzt lässt sich sagen, dass eine Realisierung unter rein ökonomischen Aspekten schwierig werden dürfte. Aus einer Gesamtsicht macht es dann womöglich trotzdem Sinn zu sagen, dass wir es brauchen. Die Visionen der Kritiker sind technische Lösungen, jene des Stadtrats sind die Grundsätze, die im Mobilitätskonzept festgehalten sind.
Patrizia Adam: Ich hätte mir gewünscht, dass der Rat über die Massnahmen diskutiert. Vor allem wenn man dem Stadtrat vorwirft, sie seien einseitig zulasten des Autoverkehrs.
Die Kritiker monieren auch, es berücksichtige die Entwicklung der Bevölkerung und des Verkehrs nicht.
Jans: Die Stadt St. Gallen wächst, und das soll sie auch. Wachstum bedeutet gleichzeitig eine Zunahme der Mobilität. Das Bedürfnis besteht darin, einen Weg von A nach B zurückzulegen. Wir wollen die Wahl des Verkehrsmittels beeinflussen.
Das Stimmvolk hat sich 2010 für eine Plafonierung des Autoverkehrs ausgesprochen. Das Verkehrswachstum soll über den öV und den Langsamverkehr aufgefangen werden. Ist das realistisch, wenn gleichzeitig die Stadt wächst?
Adam: Es ist falsch anzunehmen, dass der motorisierte Individualverkehr zwangsläufig zunehmen muss, nur weil die Bevölkerung wächst. Das wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. So verzichten gerade in urbanen Zentren immer mehr Menschen auf ein eigenes Auto.
Jans: Im Mobilitätsvergleich der sechs grössten Deutschschweizer Städte weist St. Gallen den höchsten Anteil an motorisiertem Individualverkehr auf – und den tiefsten beim öV und beim Velo. Hier ist also noch viel Potenzial vorhanden.
Das städtische ÖV-Angebot schneidet in diesem Mobilitätsvergleich aber sehr gut ab. Offenbar ist es also nicht primär eine Frage des Angebots, sondern der Nutzung. Wie bringen Sie die Leute dazu, auf Busse und Velos umzusteigen?
Jans: Das Mobilitätskonzept sieht eine Verdoppelung des Veloanteils von heute drei auf sechs Prozent vor. Das ist immer noch vergleichsweise wenig. Aber die Hügel der Stadt sind im Zeitalter von Elektrovelos kein Argument mehr. Es braucht sichere und schnelle Wege.
Adam: Auch beim öV gibt es Verbesserungspotenzial. Fahrpläne könnten verdichtet werden. Je kürzer man warten muss, desto eher nimmt man den Bus. Und wenn der Bus noch schneller vorwärts kommen würde, erhöhte das die Attraktivität zusätzlich.
Separate Busspuren kann die Stadt selber realisieren, zumindest teilweise. Beim Angebotsausbau ist sie aber vom Kanton als Besteller abhängig. Dieser hat 2013 eine Fahrplanverdichtung der VBSG in den Abendstunden und am Wochenende aus Spargründen verworfen. Ohne Geld geht es nicht.
Adam: Es ist klar, dass wir auch künftig Überzeugungsarbeit leisten müssen, um diese Mittel zu erhalten. Es ist aber auch klar, dass die Nutzer der Mobilität – sowohl beim öV als auch beim Auto – mehr bezahlen müssen. Vor allem der motorisierte Individualverkehr ist aufgrund des tiefen Benzinpreises derzeit zu billig. Der Staat kann nicht alles allein finanzieren. Deshalb beobachtet der Stadtrat auch Dinge wie Mobility Pricing, die sich im Ausland bewährt haben, wobei hier natürlich der Lead beim Bund liegt.
Jans: Die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur ist Aufgabe der öffentlichen Hand. Wir sind aber an einem Punkt angelangt – und das sagt auch Avenir Suisse – , an dem Mobilität zu billig ist. Wir können aber nicht nur aus finanzieller, sondern auch aus räumlicher Sicht nicht endlos Kapazitäten sowohl für das Auto als auch für den öV schaffen. Mit der zunehmenden Verdichtung geht das nicht. Deshalb braucht es eine Priorisierung. Und dafür gibt es die Massnahmen im Mobilitätskonzept.
Diverse Massnahmen sind jedoch bloss skizziert. Kann der Verkehr der Zukunft mit diesem Konzept bewältigt werden, auch vor dem Hintergrund neuer Technologien und Entwicklungen?
Jans: Das Konzept ist auf 25 Jahre hinaus ausgelegt. Die Massnahmen enthalten diverse Punkte, die heute noch gar nicht aktuell oder realisierbar sind. Künftige Entwicklungen, die wohl viele Veränderungen mit sich bringen werden, dürfen uns aber nicht davon abhalten, schon heute Dinge anzupacken. Und die neuen Technologien werden uns das Platzproblem auch nicht lösen.
Adam: Ausserdem ist das Konzept nicht abschliessend. Neue Erkenntnisse können laufend einfliessen. Auch die Priorisierung der einzelnen Massnahmen ist eine Momentaufnahme.
Das Mobilitätskonzept sieht einen Verzicht auf neue Strassen vor. Das ist ein Widerspruch zur Teilspange.
Adam: Für den Stadtrat ist klar, dass die Teilspange die Stadt vom Verkehr entlasten würde. Der freie Raum, den wir dadurch gewinnen würden, käme dann beispielsweise dem öV zugute.