Ein Fünftel des Trinkwassers versickerte 2016 im Häggenschwiler Untergrund. Nun ist das Leck gestopft. Auf dem Weg vom Wasserwerk zum Wasserhahn bleiben allerorts noch immer Millionen Liter auf der Strecke.
Vor einem Rätsel stand die Gemeinde Häggenschwil vor einem Jahr: 38 Millionen Liter Trinkwasser versickerten im Leitungsnetz – das sind 27000 Vollbäder. «Häggenschwil ist nicht ganz dicht», titelte das «Tagblatt» damals. Buchstäblich mit Hochdruck wurde nach der Ursache im Untergrund der Gemeinde gesucht. Fernsehen und Presse verfolgten das Unterfangen, das bald Erfolge zeigte: Im verzweigten Leitungsnetz wurde ein Leck entdeckt. Im Weiler Lengwil leitete ein defekter Schieber das Trinkwasser von einem stillgelegten Hausanschluss direkt in einen Bach. Bilanz ziehen, hiess es, könne man erst mit der Wasserstatistik in einem Jahr. Dann zeige sich, ob die Reparatur tatsächlich Wirkung zeigte.
Einmal im Jahr nämlich wird der gesamte Wasserverbrauch dem verkauften Wasser gegenübergestellt. Die Differenz verrät, wie viel Wasser nie in den Haushalten ankam. Die Statistik aus dem vergangenen Jahr zeigt nun: Das Rätsel ist gelöst. Der Wasserverlust ist um ein Vielfaches gesunken, wie die Gemeinde im Mitteilungsblatt schreibt. Ganz dicht ist Häggenschwil aber noch immer nicht. Blieb 2016 ein Fünftel der Trinkewassermenge auf der Strecke, war es im vergangenen Jahr noch ein Zehntel.
Was sich nach viel anhört, ist schweizweit unter dem Durchschnitt. Im Gemeindeblatt ist denn auch von Verlusten «im normalen Bereich» die Rede. 11 bis 13 Prozent der gesamten Trinkwassermenge kommt nie beim Verbraucher an, wie der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) vorrechnet. Die Gemeinden rund um St. Gallen stehen allesamt besser da.
Wie in Häggenschwil verloren Andwil und Waldkirch 2017 rund ein Zehntel der gesamten Trinkwassermenge. In Berg waren es rund 6 Prozent, in Mörschwil 7,5 und in Wittenbach 5 Prozent. Praktisch keinen Verlust vermeldet Muolen. Neun Kilometer Leitungen – das entspricht fast dem gesamten Netz der Gemeinde – wurden in den vergangenen 25 Jahren neu gebaut, begründet die zuständige Wasserkorporation die positiven Werte.
Vielerorts sind die Leitungen älter – und damit anfällig für Schäden. In der Stadt beispielsweise sind gar Leitungen anzutreffen, die ihre Dienste seit einem Jahrhundert tun (siehe Zweittext). Eternitleitungen, wie sie früher eingesetzt wurden, sind immer durchlässig, wie Kurt Fürer, Präsident der Wasserkorporation Waldkirch, sagt. Neuere Modelle dagegen, mit Kunststoff versetzt, seien zu 100 Prozent dicht. «Das Leitungssystem wird deshalb laufend erneuert.» In den Rohren herrscht ständig Überdruck, der das Wasser aus den Leitungen treibt. Das sei durchaus gewollt, sagt Pius Kölbener vom kantonalen Amt für Verbraucherschutz. Der Überdruck garantiere die Trinkwasserqualität; er verhindert das Schmutz von aussen in die Rohre eindringt.
Nebst Lecks in den Leitungen können weitere Faktoren für Wasserverluste verantwortlich sein. Etwa Wasser, das aus den Hydranten gezapft wird, für Löscheinsätze oder Bauarbeiten. Ein Grossbrand oder eine Grossbaustelle kann den Wasserverlust in der betroffenen Gemeinde deshalb kurzzeitig in die Höhe schnellen lassen. Auch Trinkwasserbrunnen werden meist den Verlusten zugerechnet. Einige Wasserwerke messen jedoch auch diese Werte, etwa Gossau, weshalb die Verluste dort im Vergleich kleiner erscheinen. 5,5 Prozent der gesamten Trinkwassermenge versickerte 2017 im Gossauer Untergrund.
Wie das Beispiel Häggenschwil zeigt, kann es lange dauern, bis ein Problem erkannt ist, da die Zahlen einmal jährlich erhoben werden. Noch länger dauert es, bis das Leck tatsächlich gefunden und gestopft ist, während das Wasser munter weiterfliesst. Schnell gehen so Millionen Liter Trinkwasser bachab. Die Verantwortlichen drücken sich deshalb alle vorsichtig aus. Sind die Werte in diesem Jahr noch erfreulich, kann es schon im nächsten ganz anders aussehen.
Auch die Stadt St. Gallen verliert Wasser. Viel Wasser. 500 Millionen Liter versickerten innerhalb eines Jahres im Untergrund. Zum Vergleich: Das entspricht über vier Millionen Vollbädern. Das Schwimmerbecken des Hallenbades Blumenwies könnte man damit immerhin 950 Mal auffüllen.
So eindrücklich diese Menge ist, im direkten Vergleich steht die Stadt dennoch gut da. Insgesamt verbraucht die Stadt 6,5 Millionen Kubikmeter Trinkwasser jährlich – das entspricht rund sechsmal dem Inhalt des Gübsensees. Der Wasserverlust beträgt damit 7,8 Prozent der gesamten Trinkwassermenge. Marcel Steiger, Bereichsleiter Netz, Gas und Wasser bei den St. Galler Stadtwerken ist denn auch zufrieden mit diesem relativen Wert. Schliesslich sei er seit 20 Jahren nie so tief gewesen, sagt er. Im Gegensatz zu den umliegenden Gemeinden hat St. Gallen die Statistik für das vergangene Jahr noch nicht erhoben; die Zahlen spiegeln das Jahr 2016.
Steiger begründet den neuerlichen Tiefstwert mit dem Rückgang an Rohrbrüchen in der Stadt. Diese seien in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Allein im Jahr 2015 brachen in der Stadt 130 Wasserleitungen. «Jeden dritten Tag bricht ein Rohr», lautete die Schlagzeile im «Tagblatt». Vor allem die Leitungen an der Rorschacher- und Zürcherstrasse waren anfällig für Schäden. Das überrascht wenig, lag ihr Baujahr bereits 100 Jahre zurück. Steiger spricht von «riesigen Wasseraustritten» und «unzumutbaren Schäden». Die Leitungen wurden deshalb fast vollständig ersetzt.
Noch immer seien in der Stadt 100-jährige Leitungen im Einsatz – etwa jene von Goldach nach St. Gallen. Im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen an der Zürcherstrasse funktioniere diese noch immer tadellos. In den vergangenen sieben Jahren sei viel saniert worden im St. Galler Untergrund. Das Durschnittalter der Rohre betrage nunmehr 28 Jahre.
Das Wasser wird in St. Gallen auf einem Leitungssystem in der Länge von 320 Kilometern befördert – der Strecke von St. Gallen bis zum Genfersee. Der Wasserverlust auf dieser Strecke setzt sich laut Steiger aus vielerlei Faktoren zusammen. Nebst Rohrbrüchen können Lecks in der Leitung verantwortlich sein. Auch wenn Hydranten gespült werden, wird das Wasser in der Statistik als Verlust erfasst. Dasselbe gilt, wenn die Feuerwehr diese für Löscheinsätze anzapft. Zudem führen die Stadtwerke sogenannte Stresstests durch: Um Schwachstellen im Leitungsnetz zu identifizieren und gezielt zum Bersten zu bringen, wird der Druck in der Leitung erhöht. Und zum Schluss können auch Wasserdiebe am Werk sein. Das sei zwar selten, komme aber ebenfalls vor. (nh)