Andrea Thoma giesst aus Wachsresten neue Kerzen. Anfangs tat sie es aus Geldnot, heute aus Überzeugung. Es geht ihr ums Recycling von Wachs, sie verwertet aber auch alte Dosen, Blusen und Bücher wieder. Ihr neuster Trick: Dochte aus Hängematten.
Roger Berhalter
In der Ecke ein Elektroherd, darauf zwei Brockenhaus-Pfannen voller Wachs. Weisse Spindeln mit Dochtschnur, Vanilleduft in der Luft. «Ich habe gerade Resten von Vanillewachs bekommen, deshalb habe ich zum ersten Mal Duftkerzen gegossen», sagt Andrea Thoma und zeigt ihr kleines Atelier, das gleichzeitig Wachslager, Produktionsstätte, Verkaufsladen und Experimentierlabor ist.
Hier schmilzt Thoma Wachsresten in alten Pfannen, giesst das heisse Material in Formen, taucht in jede einen Docht und lässt das Wachs schliesslich erkalten. Auf diese Weise macht die St.Gallerin aus Wachs, das sonst im Abfall landen würde, neue Kerzen. Sie verwertet den Rohstoff wieder und macht das, was die meisten nur von Glas, Papier oder PET kennen: Sie recycelt.
«Vieles daran ist Pröbeln», sagt Thoma, die schon seit ihrer Jugend gerne mit Wachs hantiert. Als Teenager schmolz sie zum ersten Mal Kerzenresten ein. «Damals noch aus Geldnot», erinnert sich die 32-Jährige. In Mutters Küche – und mit Mutters Pfannen – machte sie die ersten Kerzenexperimente. «Fast hätte ich den Glaskeramikherd ruiniert», sagt sie und lacht. Danach bekam sie immer wieder Wachsresten von Freunden und Bekannten, sie pröbelte weiter, und vor gut zwei Jahren beschloss sie, einen Schritt weiter zu gehen. Sie baute eine Webseite auf, richtete sich ein Atelier ein und fand für ihr Ding den passenden Namen: Kerzenrecycling.
Längst giesst sie Kerzen nicht mehr aus Geldnot, sondern aus Überzeugung. «Wachs ist ein organisches Material und kein Stoff, der in den Abfall gehört.» Also sammelt sie ihn. Wer Andrea Thoma ein Kilo Wachs bringt, kann dafür recycelte Kerzen im Wert von vier Franken mitnehmen. «Dieser Kreislauf ist mir wichtig», sagt Thoma. Ebenso die persönlichen Begegnungen, die mit diesem Wachstausch verbunden sind.
Ihr Atelier ist zu einem kleinen Sammelplatz für Wachsresten geworden. Sie stapeln sich nach Farbe sortiert in Plastikkisten. Mehr als 100 Kilo hat sie im vergangenen halben Jahr verarbeitet. Das meiste davon kommt von Freunden und Bekannten, zudem arbeitet Thoma mit zwei St.Galler Cafés zusammen. Diese liefern ihr das weisse Wachs, das sie benötigt, aber in Privathaushalten eher selten zu finden iSt.Gleichzeitig sind die Betriebe um diese Form der Abfallentsorgung froh. Regelmässig, vielleicht einmal im Monat, erhält Andrea Thoma auch ein Wachspaket per Post von jemandem, der sie über ihre Webseite aufgestöbert hat. Manchmal fehlt sogar der Absender. Doch Thoma nimmt die Lieferungen gerne an, «solange ich noch alles verarbeiten kann». Zur Kerzenfabrik möchte sie aber nicht werden. Sie verkauft zwar die fertigen Kerzen – online, im Atelier und an Märkten – doch geht es ihr nicht ums Geldverdienen. Das tut sie hauptberuflich beim städtischen Jugendsekretariat, wo sie als Leiterin der offenen Jugendarbeit tätig ist.
Den Recycling-Gedanken nimmt Thoma mittlerweile sehr ernst, und sie pröbelt ständig weiter. «Ich kaufe fast nichts neu, sondern verwende möglichst vieles wieder.» Sie giesst das Wachs in alle möglichen Behälter: Gläschen aus dem Brockenhaus, Chips- und Tabakdosen, Kuchenformen für Kinder. Sie stellt die fertigen Kerzen auf Blumenuntersetzer aus Plastik, die sie mit Ausschnitten aus alten Büchern beklebt und lackiert hat. Sie zerschneidet eine Bluse mit Brandloch zu Geschenkbändeli, und ihr neuster Trick sind Dochte aus Hängemattengarn. «Bei dicken Kerzen geht das tipptopp.»
Kürzlich hat sie versucht, eine Kerze wie ein PET-Fläschchen aussehen zu lassen, doch das hat noch nicht geklappt. Auch das gibt es: misslungene Versuche. Diese behält Thoma dann lieber für sich und lässt sie auf dem eigenen Esstisch abbrennen.
Wachs schmelzen und in Form giessen: Kann das nicht auch jeder selber machen? «Klar, es ist keine Hexerei, wenn man ein paar Dinge beachtet», sagt Thoma und verrät drei Erkenntnisse aus ihrem Wachslabor. Erstens: Kerzengiessen braucht Geduld. Während man beim Kerzenziehen das Ergebnis sofort nach Hause nehmen und anzünden kann, muss gegossenes Wachs mindestens 24 Stunden erkalten. Zweitens: Je dicker die Kerze, desto dicker der Docht. Das Verhältnis muss stimmen, sonst brennt die Kerze entweder kaum ab, oder aber sie russt die Decke voll. Und drittens? Thoma lacht: «Alte Pfannen verwenden!»
Das Atelier an der Näfenackerstrasse 1 ist jeweils am Montag von 14 bis 20 Uhr geöffnet; www.kerzenrecycling.ch