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Die Spitex St.Gallen AG kommt nicht zur Ruhe, im Gegenteil. Nach den vielen Abgängen kündigt nun auch der Geschäftsführer: Nach nur einem halben Jahr verlässt Michael Zellweger die Spitex St.Gallen AG. Der Verwaltungsrat äussert Verständnis. Verbände sprechen von einem Skandal.
Es hat schon oft geknallt in der Spitex St.Gallen AG. Kündigungswellen im Februar, im März, im April. Unzufriedene Mitarbeitende, die sich an Berufsverband, Gewerkschaft und die Stadt wandten, weil sie sich nicht gehört fühlten von der Spitexleitung. Allein bis Ende April hatten 36 Mitarbeitende die Kündigung eingereicht. Jetzt eine neue Eskalationsstufe. Am Donnerstag um 15.52 Uhr verschickte die Spitex St.Gallen AG eine Medienmitteilung: Der Geschäftsführer Michael Zellweger trete per sofort zurück.
Damit hatte niemand gerechnet. Nicht Edith Wohlfender vom Berufsverband Pflege SBK: «Was macht er? Ich weiss nicht, was ich sagen soll.» Nicht Alexandra Akeret, Gewerkschaftssekretärin des Verbands des Personal öffentlicher Dienste Ostschweiz: «Ich bin perplex.» Niemand, ausser Verwaltungsratspräsident Daniel Mächler.
Mächler ist auf der Rückfahrt von St.Gallen, er wohnt bei Rapperswil, im Auto beantwortet er die Fragen zu dieser plötzlichen Kündigung seines Geschäftsführers. Mächler sagt:
«Ich bin nicht überrascht.»
Er habe es kommen sehen. Michael Zellweger habe aus eigenem Wunsch gekündigt. Der Druck auf ihn sei sehr hoch gewesen. Er habe gute Arbeit geleistet. «Er hat eine Herkulesaufgabe übernommen.» Vieles, was zum Start der Spitex St.Gallen AG hätte stehen sollen, sei eben nicht gestanden.
Was stand denn alles noch nicht? «Das dürfen Sie die vorherigen Spitex-Vereine fragen», antwortet Mächler. «Wir sind als Start-up in einem Umfeld gestartet, in dem wir viel aufräumen mussten und müssen.» Als Verwaltungsratspräsident sei er überproportional belastet.
«So etwas habe ich noch nie erlebt.»
Jetzt gelte es, Ruhe hineinzubringen.
Am vergangenen Freitag, 28. Mai, habe Zellweger ihm gesagt, dass er kündigen möchte. «Ich habe ihn sofort freigestellt, damit er sich wieder fangen kann.» Am Dienstag seien die Mitarbeitenden informiert worden. Interimistisch übernimmt Verwaltungsrätin Anna Ravizza die operative Leitung der Spitex St.Gallen AG. Man habe im Verwaltungsrat entschieden, keine Person von aussen als interimistische Leitung einzusetzen. Erst, wenn eine gewisse Ruhe eingekehrt sei, wolle man eine neue Leitungsperson suchen.
Stadträtin Sonja Lüthi schreibt auf Anfrage, sie sei gleich nach Eingang der Kündigung durch den Verwaltungsratspräsidenten informiert worden. «Ich bedaure den Rücktritt von Michael Zellweger. Ein Wechsel in der operativen Führung nach nur einem halben Jahr und mitten in einem anspruchsvollen Transformationsprozess ist ungünstig.» Die Aufgaben von Zellweger in diesem Umfeld und mit der Vorgeschichte der Gründung der Einheitsspitex seien sehr herausfordernd gewesen. Nun gelte es, den Aufbau der neuen Strukturen zielgerichtet fortzuführen.
Mit Anna Ravizza als Interims-Geschäftsführerin, die den Betrieb und die Mitarbeitenden bereits von innen kenne und grosse Führungs- und Branchenerfahrung mitbringe, habe der Verwaltungsrat eine sehr gute Übergangslösung präsentiert, die Zeit gebe, die Nachfolge sorgfältig aufzugleisen.
«Als zuständige Stadträtin und Vertreterin der Mehrheitsaktionärin bin ich in stetigem Austausch mit dem Verwaltungsrat, gerade in Zeiten wie diesen.»
Stadtrat und Verwaltung unterstützten die Verantwortlichen der Spitex St.Gallen AG in jeder Hinsicht, damit nach und nach Normalität einkehren könne. «Der organisationale Wandel fordert alle Beteiligten.» Diese Prozesse benötigten Zeit. «Diese Zeit müssen wir den Beteiligten geben. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird.»
Edith Wohlfender ist nicht so optimistisch. Die Geschäftsleiterin des Berufsverbands Pflege SBK der Sektionen St.Gallen, Thurgau und Appenzell setzt sich seit Monaten für die Belange der städtischen Spitex-Mitarbeitenden ein. «Es ist tragisch. Es ist so viel Geschirr zerschlagen worden, obwohl wir seit Februar mahnen, dass es eine ungute Entwicklung nimmt.» Dass Zellweger jetzt geht, wo er einen riesigen Scherbenhaufen hinterlässt, wo fast das ganze Team der ehemaligen Spitex-Ost gekündigt hat, sei unvorstellbar. Wohlfender sagt:
«Er übernimmt keine Verantwortung für das, was er hinterlässt.»
Edith Wohlfender fordert: «Jetzt muss man die Politik fragen, was sie da angerichtet hat.» Auch den Verwaltungsrat müsste man in die Pflicht nehmen. Sie alle hätten nicht hingeschaut. Jetzt sei es ein Desaster.
So sieht es auch Alexandra Akeret. Die Gewerkschaftssekretärin sagt:
«Ich finde gar keine Worte dafür. Es ist ein Skandal. Niemand wird zur Verantwortung gezogen.»
Dass jetzt – in der eh schon turbulenten Zeit – auch noch eine neue Geschäftsleitung gefunden werde müsse, werde die Situation nicht beruhigen. Zellwegers Rücktritt sei nicht verantwortungsvoll. Ihr Eindruck: «Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.»
Bekommt Michael Zellweger nach seinem Rücktritt auch per sofort keinen Lohn mehr? «Das können Sie interpretieren, wie Sie wollen», antwortet Daniel Mächler. Zellweger habe drei Monate Kündigungsfrist, der Rest seien Interna. «Wir sind nicht vertragsbrüchig, wir halten uns an das Vertrags- und Arbeitsrecht.» Zellweger stehe der Spitex St. Gallen AG weiterhin für Projekte zur Verfügung, er sei von der operativen Leitung freigestellt.
Was wird der Verwaltungsrat jetzt unternehmen, um die Spitex St. Gallen AG in ruhiges Fahrwasser zu bekommen? Man werde die operative Führung übernehmen und die Strukturbereinigung vorantreiben, sagt Mächler. Der Fokus soll stärker auf Zwischenlösungen gelegt werden, die mit den Mitarbeitenden erarbeitet werden sollen. Es sei wie bei einem Marathon: «Die Mitarbeitenden wissen, dass dieser 42,195 Kilometer lang ist, jetzt wollen wir mit ihnen Zwischenschritte definieren, damit die Kraft bis zum Ende reicht.»