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Die Sekte vergleicht die Aktionen der Gegenbewegung «Freie Anti-SC-Aktivisten» öffentlich mit dem Judenboykott. Diese hat zudem Gegenwind von der St.Galler Stadtpolizei.
Vielen Passanten stockte der Atem, als sie am Samstagmittag durch die St.Galler Altstadt gingen. «Achtung!!! Kauft nicht bei Juden – Version 2019?» war auf einem Schild zu lesen, das in der Neugasse ein Mann in die Höhe hielt. Er gehörte zur Sekte Scientology, die am Samstag unter dem Namen Dianetik einen Stand in der Neugasse hatte. Dabei zeigte er mit dem Finger fortwährend auf zwei andere Personen: Yolanda Sandoval Künzi und Beat Künzi, die beiden Köpfe hinter den «Freien Anti-SC-Aktivisten» (Fasa), die ihrerseits mit Schildern und Worten Passanten vor der Scientology warnten. Die Botschaft hinter dem Schild: Wie seinerzeit die Nationalsozialisten mit dem Aufruf zum Boykott der Juden, würden die Fasa die Scientology, die sich selbst als Glaubensgemeinschaft bezeichnet, diskriminieren.
Drei Stunden lang sei das so gegangen, sagt Yolanda Sandoval. Schliesslich habe ein Passant die Polizei benachrichtigt. Nach dem Eintreffen des Quartierpolizisten Heinz Sieber habe der Mann das Schild weggelegt und sei danach verschwunden. Ob die Stadtpolizei nach diesem offensichtlich rassistischen und antisemitischen Vorfall die Scientology anzeigen wird, ist derzeit noch offen: «Vor Ort konnten wir das besagte Plakat feststellen. Aktuell laufen bezüglich einer Anzeigeerstattung noch Abklärungen», sagt Mediensprecher Dionys Widmer.
Diese Geschmacklosigkeit sondergleichen ist der bisherige Höhepunkt in der Konfrontation zwischen der Scientology und der Fasa. Wo auch immer in der Schweiz die Scientology oder eine ihrer Unterorganisationen – CCHR, Narconon oder eben Dianetik – auftritt, sind die «Freien Anti-SC-Aktivisten» da. Allein in St.Gallen hatte die Scientology seit Juni 13 Standaktionen, die Fasa waren fast immer dabei. Das Ehepaar reist jeweils aus dem Baselbiet an. Bei ihren Aktionen seien sie friedlich, freundlich und hielten sich an das Gesetz, betont Sandoval. Ihr Mann und sie seien deshalb aus der «Gewaltfreien Aktion gegen Scientology» (Gags) ausgetreten, nachdem es zwischen dieser und der Scientology 2016 in Basel zu Tätlichkeiten gekommen war.
Wie lange die Fasa ihren Kampf gegen Scientology in St.Gallen fortführen können, ist jedoch fraglich. Vergangene Woche haben sie ein Schreiben der Stadtpolizei erhalten, dass sie künftig für ihre Aktionen eine Bewilligung einholen müssen. Grund dafür sei der «gesteigerte Gemeingebrauch des öffentlichen Grundes», heisst es im Brief. Im nächsten Satz räumt die Stadtpolizei zwar selbst ein, dass die Tätigkeit mit weniger als drei Aktivisten «grundsätzlich gemeinverträglich ist und somit keinen gesteigerten Gemeingebrauch darstellt.» Das Bundesgericht habe jedoch festgestellt, dass ein an und für sich einfacher Gemeingebrauch als gesteigert beurteilt werden könne, wenn er häufig vorkomme. «Das ist hier der Fall», sagt Widmer. Ausserdem habe es mehrfach gegenseitige Provokationen gegeben, etwa verbale Auseinandersetzungen und gegenseitiges Fotografieren.
«Teilweise wurden diese von Scientologen gemeldet, teilweise von Dritten und teilweise wurden solche von der Polizei selber festgestellt.»
Das Bewilligungsverfahren könnte das Ende der Aktionen der Fasa bedeuten, befürchtet Yolanda Sandoval. Denn im Merkblatt der Stadtpolizei für Standaktionen im öffentlichen Raum heisst es: «Sobald ein offizieller Eventplatz durch eine andere Organisation belegt wird, darf dieser nicht mehr benutzt werden.» Das käme einem faktischen Verbot der Aktionen der Fasa in der Stadt St.Gallen gleich, sagt Sandoval.
Die Stadtpolizei relativiert dies: Es gehe dabei nicht um eine Verhinderung, sondern darum, dass beide Anlässe ohne Störungen durchgeführt werden könnten, beispielsweise mit der Vorgabe, wie gross der Abstand dazwischen sein soll. Denn die Fasa hätten sich bisher teilweise nicht an den Mindestabstand von zehn Metern gehalten. «Beide sollen ihre Anliegen vertreten können», sagt Dionys Widmer. «Dies kann auch in der mittelbaren Nähe sein, ohne dass sich die beiden Aktionen gegenseitig stören.» Was das konkret heisst, lässt die Polizei offen.
Für Yolanda Sandoval ist jedoch klar, was die Stadtpolizei damit bezwecken will: Dass die Fasa gar nicht mehr nach St.Gallen kommen. Denn für die Polizei seien sie lästig, etwa weil sie mehrmals aufgedeckt hätten, dass die Scientology an ihren Ständen Bücher verkaufe, was ihr als Glaubensgemeinschaft untersagt ist. «Zum Thema unbewilligter Bücherverkauf laufen ebenfalls Abklärungen», sagt Dionys Widmer dazu.
Yolanda Sandoval lässt sich jedoch nicht entmutigen. Die Fasa würden ein Bewilligungsgesuch einreichen, kündigt sie an. Und falls die Stadtpolizei keine Strafanzeige gegen die Scientology einreiche wegen des Vorfalls vom Samstag, werde sie das tun. «Das lassen wir der Scientology nicht durchgehen.»