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Weil die früheren Mieter ihr Hab und Gut und ihren Abfall zurückgelassen haben, muss die Stadt eine Liegenschaft an der Rechenstrasse räumen. Es handelt sich um einen seltenen und besonders krassen Fall.
Die Mieter sind schon lange weg, aber ihr halber Haushalt ist noch da. Mitarbeiter einer Räumungsfirma sind in diesen Tagen damit beschäftigt, zwei Baracken an der Rechenstrasse zu räumen. Die Liegenschaft gehört der Stadt, die an diesem Standort mittelfristig ein Grossprojekt plant. Seit über einem Jahr stehen die Baracken schon leer, nun hat Stadtbaumeister Hansueli Rechsteiner die Räumung angeordnet. Dies nachdem man die Familie, die in dem Gebäude wohnte, mehrfach aufgefordert hatte, die zurückgelassenen persönlichen Gegenstände abzuholen.
Es ist ein besonders krasser Fall. Nicht nur die Wohnräume müssen geräumt werden, sondern auch die Estriche und die Umgebung der Baracken. Selbst ein schrottreifes Auto hat die Familie zurückgelassen. «Mir ist kein ähnlicher Fall bekannt», sagt Stadtbaumeister Rechsteiner, auch die leitende Liegenschaftsverwalterin im Hochbauamt habe in mehr als 30 Berufsjahren keine Räumung in diesem Ausmass erlebt. Dass man Mietern, die mit den Zahlungen im Rückstand seien, Mahnungen mit Kündigungsandrohung schicke, das komme schon mal vor. Räumungen hingegen seien höchst selten.
Die Ex-Mieter der Baracken beschäftigen die städtischen Behörden schon länger und seit zwei Jahren intensiv. Es begann damit, dass die Familie mehrere Monatsmieten trotz Mahnungen nicht bezahlte. Die Stadt kündigte darauf den Mietvertrag per September 2016. Die Mieter liessen sich davon aber nicht beeindrucken. Sie weigerten sich, die Baracken zu verlassen, und blieben weiterhin darin wohnen.
Die Stadt leitete darauf ein so genanntes Ausweisungsverfahren ein und forderte die Mieter per richterlichem Beschluss auf, die Wohnung zu verlassen. Dies taten sie schliesslich auch per Juli 2017 – allerdings ohne die Liegenschaft zu räumen. «Sie haben viel von ihrem Hausrat zurückgelassen», sagt Rechsteiner.
Es folgten weitere Versuche des städtischen Hochbauamtes, die Familie zu erreichen. «Wir haben die Mieter mehrmals darauf hingewiesen, dass sie ihre persönlichen Gegenstände abholen sollen», sagt Rechsteiner. Doch bis jetzt sei nichts passiert, weshalb der Stadt schliesslich nichts anderes übrig geblieben sei, als die Räumung als Ersatzvornahme einzuleiten.
Die Kosten der Räumungsaktion werden die ehemaligen Mieter selber übernehmen müssen. «Wir werden die Kosten nach dem Verursacherprinzip weiterverrechnen», sagt Rechsteiner. Allein die Zwangsräumung dürfte rund 15000 Franken kosten, wie entsprechende Offerten gezeigt hätten. Ob die Familie die Rechnungen tatsächlich begleichen wird, darf angesichts der Vorgeschichte allerdings bezweifelt werden.
Nicht nur der Stadt, sondern auch den Anwohnern war die heruntergekommene Liegenschaft seit längerem ein Dorn im Auge. «Wir haben die Räumung nicht zuletzt auch wegen den Nachbarn angeordnet», sagt Rechsteiner. Man habe nicht so lange warten wollen, bis die Baracken wegen des geplanten neuen Busdepots vor Ort ohnehin abgebrochen würden.
Die geräumte Liegenschaft an der Rechenstrasse befindet sich in einem Areal, das sich in den kommenden Jahren stark verändern dürfte. Die Stadt möchte an der Zürcher- und Rechenstrasse, neben der Badi Lerchenfeld, ein neues Busdepot bauen. Auch die Büros und Werkstätten der Stadtwerke sowie die Fachstelle Entsorgung, die Dienststelle Umwelt und Energie sowie die Direktion der Technischen Betriebe sollen im Gebäude Platz finden. Es handelt sich um ein Grossprojekt, das fast 100 Millionen Franken kosten dürfte. Letzte Woche präsentierte der Stadtrat eine entsprechende Vorlage
Damit das Busdepot Platz findet, müssen mehrere Gebäude weichen, darunter auch die Baracken, die derzeit geräumt werden. Stadtbaumeister Hansueli Rechsteiner betont aber, die Räumung der Baracken habe nichts mit dem geplanten Grossprojekt zu tun. Es handle sich vielmehr um eine Frage der Immobilienbewirtschaftung. «Auch wenn die Liegenschaft dem Abbruch geweiht ist, wollen wir sie nicht verlottern lassen.» Was mit den Baracken weiter passiert, ist laut Rechsteiner offen. Eine Vermietung wie bisher komme nicht in Frage, allenfalls sei aber eine Zwischennutzung möglich.
Es sei keineswegs so, dass die Stadt jetzt schon damit beginne, Mietverträge zu künden und das ganze Gelände zu räumen. «Die Mieter können sicher noch bis 2022 auf dem Areal wohnen bleiben.» Die Stadt sei bemüht, für alle Anwohner die bestmögliche Anschlusslösung zu finden. Sie könne auch jenen weiterhelfen, die das Areal schon früher verlassen wollten. Bevor das neue Busdepot gebaut wird, muss es noch einige politische Hürden nehmen, darunter auch eine Volksabstimmung über den Baukredit. Sagt das städtische Stimmvolk Ja, läge bis Frühling 2023 ein konkretes Bauprojekt vor und bis Anfang 2025 könnte das Gebäude fertig sein. (rbe)