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Am Freitag eröffnet im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen die
Ausstellung «Flucht». Anhand von fünf Schicksalen zeigt sie, was es heisst, zu fliehen.
Die Syrerin Hayat Hamid ist auf der Flucht. Soldaten haben ihr Wohnquartier in Homs bombardiert. Der Anschlag galt wohl einer Gruppe politisch engagierter Männer. Aus Angst, mit diesen Männern in Verbindung gebracht zu werden, ist Hayat in den Libanon geflüchtet. Mit ihren Kindern und der an Diabetes erkrankten Schwiegermutter. Entfernte Verwandte haben sie in ihrer Garage aufgenommen. Zwei Jahre später lebt die Familie immer noch dort.
Hayats Geschichte ist erfunden, aber sehr wahrscheinlich. Sie steht – zusammen mit vier weiteren Fluchtgeschichten – im Zentrum der Wanderausstellung «Flucht», die am Freitag im Historischen und Völkerkundemuseum eröffnet wird. St.Gallen ist die letzte Station der Ausstellung, die bis zum 5. Januar 2020 gezeigt wird.
Auslöser für die Ausstellung waren die vielen Flüchtlinge, die ab 2015 nach Europa reisten. «Wir haben uns aber schon vorher Gedanken darüber gemacht, wie wir die Bevölkerung über andere Wege als die Medien informieren könnten», sagt Sibylle Siegwart, Informationsverantwortliche der Eidgenössischen Migrationskommission. Damit Flüchtlinge ihren Platz im Aufnahmeland finden, brauche es Bemühungen von beiden Seiten. «Mit der Ausstellung wollen wir Verständnis wecken und Toleranz schaffen», sagt Siegwart. «Insofern dient sie auch der Integrationsförderung.»
Neu ist in St.Gallen, das sich auch das Fürstentum Liechtenstein an der Ausstellung beteiligt. Zudem gibt es ein breites Rahmenprogramm, darunter «dialogische Führungen», die die Flüchtlingssituation in der Ostschweiz thematisieren (siehe Zweittext). Für Familien gibt es spezielle Führungen und Workshops, die sich mit dem Leben von Kindern auf der Flucht befassen, ein Kindertheater und ein Suchspiel: Auf Kartonkarten sind Details abgebildet, die in der Ausstellung gesucht und anhand von denen einzelne Aspekte behandelt werden können.
Auf ihren bisherigen Stationen war die Wanderausstellung erfolgreich, vor allem bei Schulen. «Teils wurden im Halbstundentakt Schulklassen durch die Ausstellung geführt», sagt Kuratorin Monika Mähr. «Und in Luzern, das mit St.Gallen vergleichbar ist, besuchten so viele Klassen wie nie zuvor die Ausstellung.» In Erwartung eines Ansturms wurden deshalb in St.Gallen 15 externe Führerinnen und Führer ausgebildet – laut Mähr zum ersten Mal in diesem Ausmass. Bisher haben sich etwa 16 Klassen angemeldet, was vor der Lehrer- und der Medieninformation viel sei.
Wer die Ausstellung betritt, trifft als Erstes auf drei Leinwände, auf denen Fluchtszenen gezeigt werden und Flüchtlinge von ihren Schicksalen erzählen. Die Szenen sind laut Filmemacher Mano Khalil ausdrücklich kein Film, sondern ein Panorama, das die Realität abbilden und berühren soll. Was laut Sibylle Siegwart auch gelingt.
«Auf 100 Personen kommt ein Flüchtling. So hat es in fast jeder Klasse ein geflüchtetes Kind oder eines mit geflüchteten Eltern.»
Die Filmszenen zeigen jedoch nur wenig Brutalität, Blut und Gewalt. «Ich wollte Hoffnung zeigen», sagt Khalil, selbst ein ehemaliger Flüchtling.
Hoffnung hat auch Hayat Hamid. Sie hofft, dass in Syrien bald wieder Frieden herrscht und sie mit ihrer Familie zu ihrem Mann zurückkehren kann. Dessen Cousin konnte dank internationaler Hilfe seinen Obst- und Gemüseladen in Homs wiedereröffnen. Erste Familien kehren bereits wieder in ihre Heimat zurück, auch wenn die Angst vor erneuten Angriffen bleibt.
Die Wanderausstellung «Flucht» wird am Freitag, 18.30 Uhr, mit einer Gesprächsrunde eröffnet. An der Diskussion beteiligen sich unter anderem Mario Gattiker, Direktor des Staatssekretariats für Migration, und Manuel Bessler, Leiter der Humanitären Hilfe bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Zudem gibt es insgesamt sechs «dialogische Führungen». Kuratorin Monika Mähr hat dazu Ostschweizer Gäste eingeladen, die selbst geflüchtet sind, in der humanitären Hilfe tätig sind, Integrationsprojekte unterstützten, oder im neuen Bundesasylzentrum in Altstätten arbeiten. Besucher können die Ausstellung im Rahmen einer Führung mit diesen Gästen begehen, Fragen stellen und diskutieren. (mha)