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Die Stadt St.Gallen strebt eine Kultur der Partizipation an. Alle Bevölkerungsgruppen sollen sich einbringen können.
Die städtische Bevölkerung will vermehrt mitentscheiden. Genau das soll nun einfacher werden. Doch dafür sind ein Umdenken in der Verwaltung und eine neue Vorgehensweise nötig. Zu diesem Schluss kommt die Fachhochschule St.Gallen (FHS). Sie hat im Auftrag der Stadt analysiert, inwiefern Partizipation in St.Gallen gelebt wird und was verbessert werden kann.
Ziel ist es, dass die Bevölkerung das Zusammenleben mitgestalten kann. Das bewirke eine hohe Lebensqualität, sagte die zuständige Stadträtin Sonja Lüthi, Direktion Soziales und Sicherheit, am Freitagmorgen an einer Pressekonferenz. Dafür brauche es Mitwirkung.
Grundlage für eine neue Kultur der Partizipation ist ein neues Reglement. Dieses soll «den Boden schaffen», wie es Lüthi formulierte.
Stadt geht proaktiv auf Betroffene zu
Stehen Veränderungen und Entwicklungen an, welche die Stadt oder einzelne Quartiere betreffen, sollen Einwohnerinnen und Einwohner künftig einbezogen werden. Grundsätzlich sollen Mitsprache, Mitentscheidung und Mitgestaltung bei allen Fragen des öffentlichen Lebens möglich sein. Dies geschieht in mehreren Stufen:
Teile der Verwaltung sind noch skeptisch
Dabei ist es nicht so, als wäre Partizipation in der Stadt St.Gallen völlig unbekannt. Die Stadt hat Einwohnerinnen und Einwohner in den vergangenen Jahren immer wieder einbezogen. Seien es einzelne Gruppen, etwa die Quartierbevölkerung oder Personen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen. Oder sei es die breite Bevölkerung bei wichtigen Projekten. So geschehen etwa beim Forum Zukunft Innenstadt, bei der Ausarbeitung des neuen Kulturkonzepts oder der Vorlage zur dritten Marktplatz-Abstimmung.
Doch noch werde Partizipation politisch zu wenig gelebt, bilanziert die FHS in ihrer Studie. Einige Dienststellen hätten inzwischen Erfahrung mit Partizipation, aber bei vielen anderen bestehe diesbezüglich eine «gewisse Zurückhaltung». Einige der Gründe: Es sei zu kompliziert, man habe keine Zeit dafür und keine Erfahrung damit.
Dabei stärkten genau gute Erfahrungen das Vertrauen in die Partizipation, sagt Dani Fels von der FHS. Je mehr die Bevölkerung teilhaben kann, desto mehr wächst also das Vertrauen. Um die Partizipationskultur in der Verwaltung zu verankern, müssten sich die Dienststellen deshalb austauschen bezüglich Handhabung und zu guter Praxisbeispiele. Damit befasst sich laut Lüthi derzeit eine Arbeitsgruppe.
Zweite Marktplatz-Abstimmung wirkt nach
Die zweite Marktplatz-Abstimmung 2015 habe das Bewusstsein für Partizipation geschärft, sagt Dani Fels von der FHS. Damals hatten kurz vor der Abstimmung die Marktfahrer aufbegehrt, sie seien nicht einbezogen worden bei der Ausarbeitung des Projekts.
Entsprechend will sich die Stadt künftig primär an Themen orientieren und nicht an Zielgruppen. Das soll sicherstellen, dass die Stadt die Bevölkerung aufgrund der Betroffenheit zur Partizipation einlädt, unabhängig von Alter, Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Tatsächlich lädt die Stadt bereits heute je nach Projekt die betroffenen Anspruchsgruppen zur Teilhabe ein. Mit diesem Grundsatz setzt die Stadt also formell um, was bereits gelebt wird.
Die Stadt soll gemäss dem neuen Partizipationsreglement besondere Anspruchsgruppen mit geeigneten Massnahmen abholen. Namentlich gemeint sind Kinder, Jugendliche, Migrantinnen und Migranten sowie Personen mit einem umfassenden Beistand. Also Personen ohne Stimm- oder Wahlrecht.
Jugendliche und Migranten konnten bisher schon Anliegen einbringen
Ausländische Mitbewohner sowie Jugendliche hatten bisher schon Möglichkeiten zur Mitbestimmung: den Migranten-Vorstoss und den Jugendlichen-Vorstoss. Das Partizipationsreglement von 2006, das derzeit noch in Kraft ist und durch das neue abgelöst werden soll, sieht diese Instrumente vor.
So können 15 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, die in der Stadt wohnhaft sind, gemeinsam einen Vorstoss einreichen, der dann von der zuständigen Kommission des Stadtparlaments behandelt wird. Dasselbe gilt für den Migranten-Vorstoss. Diesen kann die Dachorganisation der Migrantinnen und Migranten im Kanton über einen fünfköpfigen Ausschuss einreichen. Nur ist die Dachorganisation in dieser Hinsicht kaum noch aktiv.
Der letzte Vorstoss wurde 2012 eingereicht. Insgesamt haben Jugendliche einen und Migrantinnen und Migranten sechs Vorstösse eingereicht.
Aufgrund dieser Bilanz reichten Jeyakumar Thurairajah (Grüne), Nadine Niederhauser (Grünliberale), Stefan Grob (CVP) und Etrit Hasler (SP) vor zwei Jahren im Stadtparlament eine Motion ein mit dem Titel «Partizipation suchen – Reglement revidieren». Die Instrumente zur Teilhabe seien zu kompliziert, lautete die Kritik.
Der Stadtrat bestritt dies nicht und beantragte des Stadtparlament, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Dies geschah. Der Stadtrat erhielt den Auftrag, die städtische Partizipation umfassend zu prüfen und Bericht darüber zu erstatten, ob – und falls ja welche – gesetzlichen Anpassungen oder Massnahmen nötig sind.
Dies ist mit einem Postulatsbericht und dem neuen Partizipationsreglement nun geschehen. Es umfasst zwei Seiten und vier Artikel. Ob es in Kraft tritt, entscheidet das Stadtparlament am 19. Mai – und falls das Referendum ergriffen wird die Stimmberechtigten.