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St.Gallen ist bereit, bei Cannabis-Versuchen eine Pionierrolle einzunehmen. Zuerst ist jetzt der Bund am Zug.
Das Thema Cannabis beschäftigt. Die einen glorifizieren die Hanfpflanze als zu Unrecht illegales Wundermittel, die anderen verteufeln sie als Droge der Volksverblödung. In der Stadt St. Gallen ist Cannabis aufgrund eines Vorstosses von Stadtparlamentarier Etrit Hasler (SP) schon seit Jahren auf der politischen Agenda. 2014 forderte er Versuche mit kontrollierter Cannabisabgabe in der Stadt. Jetzt kommt Schwung in die Sache.
Trotz Verbots konsumieren gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) rund 200000 Schweizerinnen und Schweizer regelmässig Cannabis. Nicht zuletzt wegen der Grösse und der Gefahr eines illegalen Drogenmarktes wurden im Sommer 2018 im Bundeshaus, aber auch in St. Gallen und anderen Kantonen Debatten über die Einführung von Projekten einer kontrollierten Cannabisabgabe in Apotheken geführt. Die Befürworter erhoffen sich eine Entkriminalisierung, Entlastung der Behörden und einen Rückgang des illegalen Konsums. Mit Ausnahme der SVP wurden die Pilotprojekte von allen Parteien gutgeheissen. Der Ball liege beim Bund, St. Gallen sei bereit, hiess es damals seitens des Stadtrats. Doch das Zuspiel kam nicht, die Gesundheitskommission des Nationalrats lehnte die Einführung von Pilotversuchen knapp ab. So blieb alles beim Status quo – der Konsum von Cannabis ist weiterhin verboten und es gibt einen Schwarzmarkt.
Doch nun wurde die Debatte in der Wintersession im Bundeshaus erneut aufgegriffen – diesmal mit Ausgang zu Gunsten der Befürworter. Der Nationalrat stimmte Ja zu Pilotprojekten mit kontrollierter Cannabisabgabe. Nun arbeitet das BAG einen Experimentierartikel als Ergänzung zum Betäubungsmittelgesetz aus. Klar geregelter, wissenschaftlicher Versuch Voraussetzung für den Versuch sind Jugendschutz, eine klare Mengenbegrenzung und die professionelle Begleitung der Konsumenten. Das Projekt soll keinen Anreiz für den Konsum, sondern Struktur in den Markt bringen.
So wird beispielsweise eine finanzielle Umverteilung erwartet – Mehrwertsteuer für Präventionsmassnahmen statt Behördengelder für Restriktion. Der von den Befürwortern ersehnte Steilpass soll kommen. Und St. Gallen sei nach wie vor bereit dafür, sagt Hasler. Verbote und Stigmatisierung würden niemanden schützen, das habe sich die letzten 50 Jahre gezeigt, sagt er.
«Sensibilisierung, Forschung und ein offener Diskurs sind stattdessen zielführend.»
Sobald der Experimentierartikel steht, muss St. Gallen eine Lösung auf städtischer Ebene ausarbeiten. Auch Sonja Lüthi, Stadträtin für Soziales und Sicherheit, hält die Pilotversuche für notwendig: «Die momentane Situation und gesetzliche Grundlage von Cannabiskonsum sind nicht tragbar.» So sei die Umsetzung des Cannabis-Verbotes eine Herausforderung für die Behörden, die Durchsetzung sei schwierig und mühselig. «Mit den Pilotversuchen kann die Stadt schrittweise einen grossen Schwarzmarkt abklemmen, gesundheitliche Risiken senken und wertvolle Erkenntnisse gewinnen», sagt Lüthi. St. Gallen könne mit einer proaktiven Auseinandersetzung in Form von Pilotversuchen eine Pionierrolle einnehmen.
«Unsere Stadt pflegt in der Drogenpolitik eine Kultur des Fortschritts»
Zustimmung seitens der St. Galler im Nationalrat Franziska Ryser, Nationalrätin der Grünen, stimmte für die Pilotversuche.
«Der Experimentierartikel ist ein wichtiger Schritt Richtung Legalisierung.»
Und diese korreliere mit der Entkriminalisierung. «Der Markt würde sich regulieren – zum Positiven.» Zudem könnten Steuereinnahmen, die ein in absehbarer Zeit legaler Konsum generierte, für volkswirtschaftlich sinnvolle Zwecke eingesetzt werden. Die klare Befürwortung im Nationalrat zeige: Schritte in diese Richtung seien fällig. «Cannabiskonsum ist eine anspruchsvolle Thematik und nicht zu verharmlosen», sagt CVP-Nationalrat Nicolo Paganini etwas kritischer. Da die bisherige Cannabispolitik nicht erfolgreich sei, heisst auch er die Pilotversuche gut. «Bestenfalls bringen die Versuche weniger Konsum mit sich.» Drogenkonsum gelte es zu vermeiden.
Für neue Wege plädiert auch der St. Galler GLP-Nationalrat Thomas Brunner. «Wie sollte man etwas lernen, ohne Versuche zu machen?», fragt er rhetorisch. «Die Problematik existiert. Also müssen wir einen sinnvollen Umgang damit finden.»
«Die Städte müssen die Möglichkeit für solche Studien haben, da sie am nächsten an der Cannabis-Problematik sind», sagt Claudia Friedl, SP-Nationalrätin aus St. Gallen. «Wenn Cannabis in einem weiteren Schritt legalisiert würde, würde man den Verkauf der Substanz vom härteren, kriminellen Drogenmarkt ablösen.» Ein straffreier Konsum müsse jedoch begleitet werden: mit Jugendschutz, Prävention und klarer Altersvorgaben.
Der Rheintaler SVP-Nationalrat Mike Egger hingegen sieht in den Pilotversuchen die Gefahr einer Verharmlosung von Cannabis. «Immerhin sprechen wir von Suchtmitteln», sagt Egger. Doch man könne durch die Versuche von einem trocken gelegten Cannabismarkt und Steuereinnahmen für die AHV profitieren.
«Betrachten wir das Thema sachlich und unvoreingenommen, so spricht wenig gegen die kontrollierte Abgabe», sagt FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher. Mit den Studien könne man so vor der Debatte über eine Legalisierung eine Entscheidungsgrundlage schaffen.
«Der Status quo ist weitaus problematischer als die Bedenken der Gegner.»
Nun gilt es, den Experimentierartikel abzuwarten. «Die Bevölkerung ist offensichtlich interessiert, das Parlament bereit. Mit der gesetzlichen Grundlage sollte der Einführung von Pilotversuchen nichts mehr im Weg stehen», sagt Stadträtin Sonja Lüthi. Dem schliesst sich Etrit Hasler an. «Doch bis die kontrollierte Abgabe definitiv umgesetzt wird, kann es noch ein Jahr dauern.»