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Im Schulhaus St.Leonhard haben Kinder über ihre Rechte diskutiert. Nicht immer wussten die Erwachsenen eine Antwort auf ihre Fragen.
Mittwoch, 8.10 Uhr. Ein zehnjähriges Mädchen fragt: «Wieso gibt es Krieg?» Den drei Erwachsenen auf dem Sofa stockt kurz der Atem. Was sollen sie antworten? Es sind happige Fragen, die an diesem Morgen in der Bibliothek des Primarschulhauses St.Leonhard diskutiert werden.
Vor 30 Jahren hat die UNO die Kinderrechtskonvention verabschiedet. Dieser Geburtstag war für das Kinderschutzzentrum und die Schulleitung der Grund, mit den Schülerinnen und Schülern von der dritten bis zur sechsten Klasse über ihre Rechte zu diskutieren.
Im Fach Ethik, Religion und Gesellschaft trugen die Kinder Fragen zusammen, die sie beschäftigen. Und stellen dies nun den Experten in der Bibliothek: An Arno Noger, Präsident der Ortsbürgergemeinde und Stiftungsratspräsident des Kinderspitals, an Susanne Wild, Präsidentin der St.Galler Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) und an Lea Stalder vom Kinderschutzzentrum St.Gallen.
«Kriege hat es immer schon gegeben», versucht Arno Noger auf die eingangs gestellte Frage zu antworten. Krieg sei ein Zwist, der ausser Kontrolle geraten sei. «Wieso gibt es in der Schweiz keine Kriege?» fragt Noger und gibt die Antwort gleich selbst: «Da wir miteinander reden und Regeln definieren, statt mit Waffen zu kämpfen.»
«Wohin soll ich in einem Kriegsgebiet flüchten», fragt ein Bub. Spitäler, Kirchen, Moscheen und Schulen seien geschützte Orte, antwortet Noger. «Das sind Orte, die das Militär in Kriegen eigentlich nicht angreifen darf.» Einige Kinder nicken. Einer der Primarschüler erzählt von einem Gleichaltrigen, der aus Syrien in die Schweiz geflohen sei. In diesen Momenten werde klar, wie nah die Konflikte rund um den Globus bei den Kindern seien, sagt Lehrerin Kathrin Fritschi.
«Es sind teils erschreckende Fragen.»
Zahlreiche Primarschüler an der St.Leonhard-Schule hätten einen Migrationshintergrund, einige gar Erfahrungen aus Kriegsgebieten. Umso wichtiger sei es, den Kindern aufzeigen zu können, was rechtens ist und was nicht. Sie etwa das Recht haben, dass sie zu Hause nicht geschlagen werden, sagt Fritschi. «So traurig das ist, aber für einige Kinder ist das leider Realität.»
Die Rechte der Kinder im Unterricht zu thematisieren sei ein Weg, das Bewusstsein der Primarschüler zu schärfen. «So sollen sie erkennen können: Das darf nicht sein», sagt die 40-jährige Lehrerin.
«Soll ich dazwischen gehen, wenn sich die Eltern streiten?», wird Susanne Wild von der Kesb gefragt. Das könne gefährlich werden, denn bei einem Streit sei meist viel Energie im Spiel, sagt Wild. Sie rät, bei einem Onkel, einer Tante oder der Lehrerin Hilfe zu holen. «Wenn es ganz schlimm ist, ruft die Polizei an. Kennt ihr die Nummer?» Alle Hände schiessen in die Höhe. 117 kennen sie alle.
Bei einem Glücksrad haben die Schüler vor der Diskussion bereits den Kinder- und Jugendnotruf kennengelernt. «Die Neun- bis Zwölfjährigen haben gemerkt, dass es Leute gibt, die in einer Krise für sie da sind», sagt Fritschi. Auch das Schlupfhuus wird vorgestellt. Die Kinder sollten wissen, dass es dies gäbe.
«Dass es einen Ort gibt, wo sie hingehen können, wenn es zu Hause nicht mehr geht.»
Die Kinder wollen nun mehr wissen: Für wie viele Kinder das Schlupfhuus Platz hat, wie lange Kinder dort bleiben, ob sie zur Schule gehen können, es etwas kostet und ob es auch Plüschtiere da hat.
In besonders schweren Fällen von häuslicher Gewalt bringe die Polizei oder die Kesb Kinder augenblicklich ins Schlupfhuus, sagt Wild. «Zum Schutz des Kindes.» Ein Mädchen fragt: «Wenn ein Kind nicht will, kann es nicht bei den Eltern bleiben?» Wild relativiert: «Es werden nicht alle Kinder mitgenommen.» Allenfalls müsse erst der Vater oder die Mutter für ein paar Tage raus aus der Wohnung, damit sich die Situation beruhigen könne.
Mit Geschrei kommt eine zweite Gruppe von Kindern durch die Tür in die Bibliothek zur Diskussionsrunde. Vier Buben nehmen die Sitzsäcke in Beschlag, die Mädchen setzen sich daneben. Es geht nun um Mobbing. Lea Stalder vom Kinderschutzzentrum sagt:
«Nicht immer macht jemand gemeine oder beleidigende Sprüche auf dem Pausenplatz, auch böse Nachrichten auf dem Handy sind Mobbing.»
Für die Opfer sei dies belastend. «Und das ist nicht schön», ermahnt Stalder. Zwei Buben blicken sich bei den Worten verstohlen an. Auch bei Mobbing sei es wichtig, dass die Kinder einer Lehrerin, einem Lehrer oder den Eltern von den Vorfällen erzählen. Und Stalder empfiehlt, einen Screenshot von den Nachrichten zu machen – als Beweis.
Doch neben all den schwerwiegenden Fragen sind die Primarschüler auch an ganz anderen Dingen interessiert: Darf ein Waisenkind sich selbst einen Namen geben? Dürfen Eltern ein Kind Nutella oder Esel taufen? Wieso ist der Vorname Löwenzahn nicht erlaubt, Rose hingegen schon? Dürfen Kinder von Homosexuellen in die Schule? Die Fragen sind tagesaktuell. Doch auf einige haben auch Noger, Wild und Stalder nur schwer eine Antwort.
Lehrerin Kathrin Fritschi resümiert. «Die Diskussion hat auch das Unvermögen von uns Erwachsenen gezeigt, auf die Fragen der Kinder antworten zu können.»