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Die IG saubere Umwelt putzt sich derzeit durch St.Gallen. Ihre Mission: Über Littering aufklären. Ein Rundgang zeigt, dass das nötig ist.
«Alu, PET, Glas, Abfall, wir nehmen alles», ruft Jorrit Bachmann in einem Singsang, wie ihn sonst nur Marktschreier beherrschen. In weissem
T-Shirt und weisser Schirmmütze erledigt er schmutzige Arbeit: Er schiebt ein Recyclingmobil vor sich her, klaubt mit einer Zange Zigarettenstummel, Quittungen und anderes zusammen, das auf dem Weg liegt. Das helle Tenue allein soll schon Botschaft sein.
«Die Farbe steht für unser sauberes Image. Ausserdem trägt fast niemand Weiss im Alltag. So fallen wir auf.»
Bachmann, 39, aus Zürich, ist Projektleiter bei der Interessengemeinschaft saubere Umwelt (IGSU). Sie setzt sich für weniger Littering ein. Bis Freitag zieht das Team durch die St.Galler Innenstadt. Eine Frau, die auf einer Bank am Klosterplatz sitzt, deutet auf eine Serviette mit Essensresten am Boden und sagt: «Das lag schon da.» Bachmann entsorgt die Überbleibsel. «Zerfledderter Kebab.» Man fragt sich, warum die Frau die Resten nicht selber entsorgt hat statt fast reinzutreten mit den hübschen Sommerschuhen. Ekel halte davon ab, sagt Bachmann. Und neuerdings das Coronavirus. «Die Leute haben Angst, sich anzustecken.»
Seit Corona lesen Bachmann und sein Team auch Gesichtsmasken und Handschuhe zusammen. Ähnlich wie Zigarettenstummel wolle man sie schnell loswerden, sagt er. Nach dem Lockdown nahm das achtlose Wegwerfen von Abfall zuerst ab, dann stetig zu, seit den Lockerungen zeigt die Kurve stark nach oben. Die Begründung von Bachmann:
«Die Leute geniessen es, wieder zusammen draussen sein zu können. Meistens fehlt in Naherholungsgebieten aber die Infrastruktur, um entsorgen zu können.»
Ausserdem sei die soziale Kontrolle dort kleiner als in einer belebten Stadt.
Bachmann erkennt in St.Gallen vor allem sogenannte «Smart Dropper» und «Stress Dropper». Erstere wissen, dass sich Littering nicht gehört. Schaut niemand hin, entsorgen sie den Abfall dennoch irgendwo. Unauffällig, gut versteckt, unter der Bank oder im Gebüsch. Tatort der «Stress Dropper» hingegen ist etwa ein Bahnhof. Der Zug fährt ein, in der Hand halten sie noch den Kaffeebecher. Der Weg zum Kübel ist zu weit, um es rechtzeitig in den Waggon zu schaffen, schon liegt der Behälter am Boden. «In der Natur stört ein weggeworfenes Apfelgehäuse nicht. Es verrottet einfach. In der Stadt verärgert es aber», sagt Bachman. Er spricht damit den ästhetischen Aspekt von Littering an. Wer eine Stadt als schmutzig empfindet, fühlt sich darin weniger sicher.
Die Säcke des Recyclingmobils füllen sich allmählich. «Gehen Sie zu den Drei Weieren! Dort lohnt sich Ihr Einsatz», sagt eine Frau. «Danke, dass Sie das erledigen», loben Pensionäre. Seit vier Jahren engagiert sich Jorrit Bachmann für die IGSU. Er hat Geografie und Umweltwissenschaft studiert, danach in Nepal Entwicklungszusammenarbeit geleistet. Die ländliche Bevölkerung im südasiatischen Land sei sich natürliche Verpackungen wie Bananenblätter gewöhnt. Sie wisse nicht, wie umzugehen mit den importierten, in Plastik gehüllten Produkten aus China und Indien, erzählt er. Doch nicht der Aufenthalt in Nepal hat Bachmanns Interesse für Umweltschutz geweckt, sondern die Abfallpädagogin, die seine Klasse einst besuchte. Noch immer denkt er gerne an die Bachputzete mit den Schulkollegen zurück. Überhaupt liebt er die Natur, in der er wandert, bikt, snowboardet, Kraft tankt. Mit seinem Einsatz gegen Littering gibt er ihr etwas zurück.
Ein junger Mann will einen Plastikbecher von Starbucks in den allgemeinen Abfall werfen. Seine Kollegin hält ihn zurück: «Ins PET.» Sie irre sich, greift Bachmann ein. Ausschliesslich PET-Flaschen gehörten in die PET-Sammlung. Bachmann zeigt sich versöhnlich:
«Die Entsorgung von Plastik verwirrt noch immer viele Menschen.»
Die Szene zeigt: Die IGSU will nicht tadeln, sie will aufklären. Auch darüber, dass ein weggeworfener Zigarettenstummel genügen kann, um ein Vogelleben auf dem Gewissen zu haben. In den Filtern stecken nach dem Gebrauch Giftstoffe wie Nikotin und Arsen sowie Schwermetalle. Tödlich für Vögel, die Stummel mit Nahrung verwechseln. Zigarettenreste machen gemäss einer Studie des Bundesamts für Umwelt in der Schweiz 66 Prozent allen Litterings aus. «Sie enthalten Fuseln, die sich beim Verwittern herauslösen, auf Blumen festsetzen und im Honig landen.»
Der Fokus liegt beim Rundgang aber auf anderem. Bachmann und seine Helfer sind zur Mittagszeit unterwegs. Die Leute sitzen auf Mauern oder Bänkli, essen, was sie an einem Take-away-Stand gekauft haben. «Der Unterwegskonsum hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Alles ist verpackt, vieles landet auf dem Boden.» Verpackungen von Take-away- Produkten liegen in der Litteringstudie des Bundes mit 16 Prozent auf Platz zwei. Sauber erscheint die Stadt an diesem Mittag dennoch, Bachmann stimmt zu: «Am Samstagmorgen sieht es schlimmer aus.» Im Ausgang unter Alkoholeinfluss würden auch Umweltbewusste ihre Prinzipien vergessen.
«Wenn bereits viel Abfall am Boden liegt, wirft man den eigenen auch eher hin.»
In St.Gallen entdeckt er an diesem Tag nichts, das ihn überrascht. Viel hat er schon gefunden in seiner Anti-Littering-Karriere: einzelne Schuhe, Unterhosen, einen verrosteten Töff in einem Gebüsch. Und einen Schiffsfender, in einer Stadt ohne See.