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Wie würde ein Handy aussehen, wenn es zur Zeit der Dampfmaschinen erfunden worden wäre? Darauf gibt der Zürcher Daniel Tännler alias Dan Aetherman eine Antwort. Der Steampunker kombiniert antike mechanische Geräte mit moderner Technologie und baut so faszinierende Objekte. Am Freitag ist der ehemalige Maître Chocolatier mit seinen Werken in St.Gallen zu Gast.
Eine antike Schreibmaschine mit eingebautem Bildschirm, auf der man
E-Mails senden und empfangen kann; eine Lampe, deren Sockel eine alte Kaffeemühle ist; ein Plattenspieler mit Bluetooth-Anschluss, der einst eine Nähmaschine war. In den retrofuturistischen Objekten von Daniel Tännler alias Dan Aetherman vereinen sich antike mechanische Geräte und moderne Technik.
Steampunk nennt sich dieses in den 1980er-Jahren entstandene Kunstgenre, das die Errungenschaften aus der viktorianischen Zeit und der industriellen Revolution mit zeitgenössischen Funktionen kombiniert. Heute Abend stellt der Künstler, der nicht nur optisch an Doc Brown aus «Zurück in die Zukunft» erinnert, seine Unikate im «Klang und Kleid» in St. Gallen aus.
Die Grabenhalle und «Klang und Kleid» spannen am Freitag für einen Steampunk-Abend zusammen. Von 18 bis 21 Uhr ist der Steampunk-Künstler Dan Aetherman mit seinen Objekten im «Klang und Kleid» an der Torstrasse zu Gast. Ab 19 Uhr kann man dort ausserdem die (ausschliesslich weiblichen) Mitglieder der japanischen Steampunk-Metal-Band Fate Gear treffen. Danach geht es mit Musik weiter: Um 21 Uhr beginnen in der Grabenhalle die Konzerte mit Fate Gear und der Wiler Gruppe Cosmic Space Girl. Der Eintritt für die Konzerte beträgt 20 Franken inklusive Treffen mit Fate Gear 30 Franken.
Tännlers Leidenschaft reicht zurück bis in seine Kindheit. In Uerikon, wo er aufgewachsen ist, suchte er in Mulden nach weggeworfenen elektronischen Geräten. Zu Hause zerlegte er sie, anfangs aus Neugier, später, um sie zu reparieren und sich zunutze zu machen. So kam er als Teenager etwa zu seiner ersten Stereoanlage, in die er ein Autoradio einbaute. Aus seiner Faszination für alte Röhrenradios sei er schliesslich zum Steampunk gekommen, «lange bevor es Steampunk als Bewegung überhaupt gab».
Die alten Geräte oder Bauteile findet der 52-Jährige meist auf Flohmärkten. Die Sachen kosten in der Regel einen einstelligen Betrag. Und er verbaut nur, was kaputt ist. «Wenn ich ein antikes Stück finde, das noch tadellos funktioniert, behalte ich es für meine Sammlung.» Im Erdgeschoss seines Hauses in der Nähe von Winterthur hat er sein «Steampunk-Laboratorium» eingerichtet, das Untergeschoss ist komplett für sein Hobby reserviert.
Dort hat er ein riesiges Lager mit allen möglichen Bauteilen aus Leder, Holz, Kupfer, Messing oder Kristallglas. Kunststoff ist hingegen ein Tabu. Beim «Skelettieren» der alten Geräte baut er ihn aus und ersetzt ihn durch andere Materialien. Bei diesem «Puzzeln», wie er es nennt, verwendet er jedes Teil in seiner ursprünglichen Form.
«Ich arbeitete wie ein Uhrmacher, mit ganz feinen Instrumenten.»
Maximal zwei Wochen wendet er für ein Objekt auf. Jedes davon ist funktionsfähig – und authentisch. «Ich kopiere andere nicht.» Auch die Ästhetik spielt eine wichtige Rolle: Die Patina der Materialien belässt er, um seine Kreationen ihrer Aura nicht zu berauben.
Wenn Tännler beginnt, an einem neuen Gerät zu tüfteln, weiss er in der Regel nicht, was am Ende dabei herauskommen wird. «Ich lasse mich vom Material inspirieren.» Er mag die Spontaneität. Auftragsarbeiten, beispielsweise für Filme, sagen ihm nicht zu. Seine Werke verkauft er nicht.
«Ich bin verbunden mit meinen Objekten und hätte Mühe, sie wegzugeben.»
Aber er vermietet sie an Museen oder für Ausstellungen. So kann er sein Hobby, für das er rund 50 Franken pro Monat ausgibt, inzwischen refinanzieren.
Steampunker zu sein, ist für Tännler nicht Selbstzweck. Es ist eine Lebenseinstellung. Auch im Alltag trägt er seinen Lederzylinder und Hemd mit Weste.
«Ich verkleide mich nicht, sondern ich lebe das.»
Seine Tüfteleien sind auch ein Statement gegen Konsum und Wegwerfgesellschaft. «Ich habe noch nie einen Computer gekauft.» Dieses Gedankengut versuche er seinen Kindern weiterzugeben.
Und wie geht er damit um, dass viele Spielsachen aus Plastik sind und gerade Billigprodukte nur eine kurze Lebensdauer haben? «Meine Kinder haben nicht nur Spielsachen aus Holz», sagt Tännler mit einem Lachen. Man müsse aber nicht «jeden Schrott» aus Kunststoff kaufen.
Daniel Tännler tüftelt seit jeher auch berufsmässig, jene Kreationen sind jedoch süsser Natur: Er war jahrelang Maître Chocolatier bei Lindt und bei Barry Callebaut – daher auch der Namenszusatz The Chocolatist.
«Es war ein Traumberuf, dank dem ich viel herumgereist bin.»
Doch mit der Geburt seiner Kinder wurden die Reisen zur Belastung. Als sein drittes Kind zur Welt kam, zog er einen «radikalen Schlussstrich» und kündigte, verbunden mit einem weltweiten Berufsverbot für zwei Jahre. «Ich habe diesen Schritt nie bereut», sagt er. Heute arbeitet Tännler als Glacéerfinder für die Migros-Tochter Midor. Und seinem einstigen Traumberuf geht er immer noch nach: Zu Hause stellt er gelegentlich eigene Schokolade her – auf selbst gebauten Steampunk-Geräten.