Hilferuf der sozial Schwachen: St.Galler Herberge gerät wegen Pandemie in finanziellen Engpass

Die «Herberge zur Heimat» hilft Menschen in der Not. Durch die Coronakrise gerät die Institution nun selbst in Schwierigkeiten.

Sandro Büchler
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«Vadian»-Hotelleiterin Barbara Ras Wechsler (links) und Donat Wick, Gesamtleiter der «Herberge zur Heimat».

«Vadian»-Hotelleiterin Barbara Ras Wechsler (links) und Donat Wick, Gesamtleiter der «Herberge zur Heimat».

Bild: Nik Roth

Menschen, die aus der Bahn geworfen werden, bietet die «Herberge zur Heimat» seit 1888 ein Dach über dem Kopf sowie drei Mahlzeiten am Tag. Die St.Galler Herberge, die sich zwischen «Einstein» und Gallusplatz etwas versteckt neben dem Hotel Vadian befindet, bietet Menschen in Not eine günstige Unterkunft.

In der Herberge hilft man ihnen bei einer Neuorientierung, wenn jemand – etwa durch Todesfälle – aus dem Alltag gerissen wird. Die Herberge unterstützt auch Menschen nach dem Austritt aus einer stationären Behandlung, anerbietet sich als Übergangslösung bei Beziehungskrisen oder kann ein Sprungbrett sein für die Wiedereingliederung.

Der Eingang zur Herberge liegt etwas versteckt an der Gallusstrasse im Durchgang links.

Der Eingang zur Herberge liegt etwas versteckt an der Gallusstrasse im Durchgang links.

Bild: Nik Roth

Viele der aktuell 23 Bewohnerinnen und Bewohner haben eine Suchtvergangenheit. Das Personal der Herberge unterstützt auch die Medikamentenabgabe. «Bei uns finden jene einen Platz, für die es keine passenden Institutionen gibt und die durch die Lücken im System fallen», sagt Donat Wick, Leiter der «Heimat».

Wirtschaftskrisen und Weltkriege überstanden

Er erzählt von einem Mann, der an Schizophrenie leidet, die vermutlich durch seinen früheren Drogenmissbrauch ausgelöst wurde. «Er ist nicht krank genug für ein Pflegeheim, kann aber aus gesundheitlichen Gründen auch nicht alleine leben.» Die Herberge ist für Personen in Bedrängnis ein Zufluchtsort, wenn sie sich wegen ihrer finanziellen Situation keine Alternative leisten können.

Aber auch Familien fanden hier schon eine kurzzeitige Bleibe. Oft kämen etwa auch Krebspatienten, die nach einer ambulanten Chemotherapie im Kantonsspital körperlich so geschwächt sind, dass sie nicht selbstständig wohnen können.

«Jeder und jede hat
eine eigene Geschichte.»

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Herberge zu einer wichtigen sozialen Institution für den ganzen Kanton entwickelt. Doch nun benötigt sie selbst Hilfe. «Denn die Herberge kommt durch die Coronakrise in einen finanziellen Engpass», sagt Wick. Mit einem Spendenaufruf hat sich der Leiter an potenzielle Unterstützungsgeber gewandt. «Heute steht die Herberge vor einer der grössten Herausforderungen der letzten 132 Jahre», schreibt Wick in seinem Brief.

Donat Wick, Leiter «Herberge zur Heimat»

Donat Wick, Leiter «Herberge zur Heimat»

Bild: Sandro Büchler

Immer wieder habe es in der Vergangenheit grössere und kleinere Rückschläge gegeben. Doch selbst Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriege überstand die «Heimat», unter anderem dank der Unterstützung von Kirche, Stiftungen und unzähligen privaten Wohltätern. «Die Herberge war und ist seit jeher ein privater Verein, ohne staatliche Subventionen.»

Das Hotel Vadian und die Herberge sind eine Doppelinstitution und werden als ein Betrieb geführt. Die Überschüsse des Hotels fliessen zur Herberge. «Durch die sehr gute Auslastung des Hotels kam so stets ein stattlicher Betrag pro Jahr zusammen», sagt Wick. Da wegen der Pandemie zurzeit jedoch nur noch vereinzelt Gäste im «Vadian» logieren, fällt die Quersubventionierung durch das Hotel weg.

Horrorszenario Schliessung

Für das Hotelpersonal habe man Kurzarbeit beantragt. Für die Betreuerinnen und Betreuer der Herberge sei dies jedoch nicht möglich. «Ich weiss nicht, wie ich ihre Löhne finanzieren soll.» Um die Kosten zu senken und die Betreuung zu Randzeiten sicherzustellen, ist Wick zusammen mit Hotelleiterin Barbara Ras Wechsler selbst in einem Nebenhaus der Herberge eingezogen. «Wir sind im Dauereinsatz», sagt sie.

Barbara Ras Wechsler, Leiterin Hotel Vadian

Barbara Ras Wechsler, Leiterin Hotel Vadian

Bild: Sandro Büchler

Die «Herberge zur Heimat» schliessen zu müssen, ist für Ras Wechsler ein Horrorszenario. «Ich wüsste nicht, wie und wo wir all unsere Bewohner platzieren sollten.» Viele von ihnen gehören zur Risikogruppe und dürfen deshalb nicht nach draussen. Einige Bewohner nehmen für den Heroinentzug an einem Methadonprogramm teil und sind deshalb geschwächt. Der älteste Bewohner ist 83-jährig. Er wohnt seit über zwanzig Jahren in der «Heimat».

Die Schutzmassnahmen in der «Heimat» sind jetzt schon rigoros. Wick und Ras Wechsler haben an allen neuralgischen Orten Plexiglasscheiben aufgestellt. Für die Essensausgabe dürfen sich die Bewohner nicht mehr anstellen, stattdessen wird das Essen an den Tisch gebracht. «Allenfalls müssen wir das Essen gestaffelt, oder gar aufs Zimmer, servieren.»

Was nach Luxus tönt, ist für die Bewohner einschneidend. «Dann kommen sie noch weniger raus», sagt Ras Wechsler. Wer in der Herberge wohne, lebe ohnehin schon zurückgezogen. «Einige haben neben den körperlichen auch psychische Probleme.» Für sie sei die Selbstisolation noch schwieriger.

Die «Herberge zur Heimat» ist ein Zufluchtsort für Menschen in Not und Bedrängnis.

Die «Herberge zur Heimat» ist ein Zufluchtsort für Menschen in Not und Bedrängnis.

Bild: Sandro Büchler

Solidarität ist gefragt

Nicht alle wohnen wie der 83-Jährige schon über Jahre in der Herberge. Für die meisten Bewohner ist die Herberge laut Wick eine Übergangslösung, wo sie einige Wochen oder Monate bleiben.

«Es ist für viele zu einem
Daheim geworden und wir
zu einem Teil der Familie.»

Ras Wechsler und Wick hoffen auf Unterstützung, um den Betrieb weiterführen zu können. Nun sei Solidarität gefragt, nicht nur für die «Herberge zur Heimat», sondern auch mit anderen sozialen Institutionen, die aktuell zu beissen haben. Solidarisch heisse nun, sagt Hotelleiterin Ras Wechsler, die grundsätzlichen Regeln zu beachten und für eine beschränkte Zeit die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen – zum Schutz derjenigen, die schwach sind.

«Damit wir alle wieder
durchstarten können.»