Am Wochenende werden der Bahnhofplatz und der Hauptbahnhof nach rund fünf Jahren Bautätigkeit eingeweiht. Optisch wirken die Neuerungen insgesamt gut. Eine Vision wurde allerdings nicht verwirklicht, sondern eher das Bisherige pragmatisch weiterentwickelt.
Ein Rundgang im sanierten Hauptbahnhof und auf dem umgestalteten Bahnhofplatz zeigt zuerst einmal eines: Das Facelifting für die grösste Drehscheibe des öffentlichen Verkehrs in der Ostschweiz war überfällig. An beiden Orten war nach den letzten Sanierungen mit der Erneuerung zu lange, in gewissen Bereichen wie der Rathausunterführung sogar viel zu lange zugewartet worden.
Damit ist bereits gesagt: Optisch ist das Bild, das Bahnhof und Bahnhofplatz jetzt bieten, grundsätzlich ein Fortschritt. Und das Wichtigste: Insgesamt funktioniert die ÖV-Drehscheibe vor allem dank grosszügigerer Platzverhältnisse für die sich drängenden Zugreisenden und Buspassagiere besser als zuvor. Das dürfte sich sehr positiv bemerkbar machen, wenn das ÖV-Aufkommen in den nächsten Jahren weiterwächst.
Das heisst nun aber nicht, dass der «neue» Bahnhof und sein Vorplatz perfekt wären. Zu einigen Aspekten der Umgestaltung kann man sehr wohl Fragezeichen setzen. Und natürlich gibt’s auch einige kleine Details, die so gelöst sind, dass man sich als Laie an den Kopf greift. Wichtig ist, dass sich Stadtpolitik und Bauverantwortliche der Grundsatz- wie der Detaildiskussion stellen:
Aus Ersterer kann man für den dritten Anlauf zur Marktplatzumgestaltung lernen, aus Letzterer könnten sich sinnvolle Ideen für Nachbesserungen ergeben.
Auf den ersten Blick gibt’s an der Bahnhofsanierung selber kaum etwas auszusetzen. Die Fachleute der SBB sind dabei zwar nicht die grosse Kür gelaufen, sie haben das Pflichtprogramm aber zuverlässig abgespult. Sie beweisen damit, dass sie ihr Handwerk verstehen.
Bemängeln kann man allenfalls den Umgang der SBB mit dem Kommerz im erneuerten Hauptbahnhof. Braucht es tatsächlich zusätzliche Läden, die mit dem Transportauftrag der Bahn rein gar nichts zu tun haben? Ist es richtig, die grosse Schalterhalle schön herzurichten, um sie an Restaurants zu vermieten und die Dienstleistungen für die eigenen Passagiere in den Nebenflügel zu verbannen?
Und: Ist es richtig, die Hauptinformationstafel über dem Abgang in die Rathausunterführung so klein zu halten, dass man sie kaum mehr lesen kann, nur damit daneben ein gleich grosser kommerzieller Flimmerkasten Platz hat? Gerade dieser Punkt nervt ältere und sehbehinderte Zugreisende.
Man kann das alles zu Recht kritisieren. Man muss dann aber berücksichtigen, dass die SBB von der Bundespolitik den Auftrag haben, Zusatzeinnahmen zu generieren. Die politischen Weichen dafür wurden national gestellt. Es scheint logisch, dass die SBB ihre Mehreinnahmen nicht nur in Zürich, Bern oder Basel, sondern auch im Hauptbahnhof St.Gallen suchen. Das wäre auch ohne Sanierung geschehen.
Auf dem Bahnhofplatz sind einzelne kritische Fragen wohl eher am Platz. Ein Fragezeichen darf man bezüglich der Sicht von Architekten, Planern und Tiefbauern setzen, wie öffentlicher Raum auszusehen hat: voll asphaltiert und betoniert, steril und lebensfeindlich. Natürlich, der Bahnhofplatz ist primär ein Knotenpunkt für den Bus- und Postautoverkehr. Aber...
Um das in dieser Beziehung krasseste Beispiel aufzugreifen: Es hätte den ÖV nicht tangiert, wenn das Bahnhofpärklein nicht zur unterirdischen Betonwanne mit einer Zierrabatte obendrauf degradiert worden wäre. Hier gab’s einst Bäume (Ulmen, die einer Krankheit zum Opfer fielen) und eine im Ansatz natürlich wirkende Rasenfläche.
Fragen wirft auch der künftige Umgang mit den verbleibenden Freiflächen am Bahnhofplatz auf. Der Kornhausplatz ist zwar aufgrund der Anforderungen des ÖV leicht geschrumpft. Er wurde aber freigeräumt und wirkt jetzt optisch gegenüber früher grosszügiger. Wenn’s so weitergeht, wie’s jetzt angefangen hat, dürfte das allerdings nicht lange so sein.
Bereits hat ein Restaurant den Platz mit Tischen und Stühlen möbliert. Und das Gesuch für einen weiteren Biergarten liegt auch schon öffentlich auf. Gegen diese Privatisierung des neuen Platzes wird man nicht viel tun können. Aber: Es wäre falsch, wenn die Stadt deswegen die öffentlichen Sitzgelegenheiten wieder abräumen würde.
Und völlig falsch wäre es, das wie vor der Umgestaltung ausdrücklich zu tun, um jene zu vertreiben, die nicht jeden Tag ein Vollbad nehmen und allenfalls auf einer der öffentlichen Bänke auch einmal eine Dose Bier trinken wollen. Auch ihnen gehört – solange sie nicht aktiv jemanden belästigen – dieser neue öffentliche Raum.
Bei Projekten wie der Bahnhofplatzgestaltung und der Bahnhofsanierung gibt’s Dutzende Details, die man – zu Recht oder Unrecht – kritisieren kann. Wobei ein Streit, wie jener um die binäre Uhr, letztlich nicht viel bringt: Diese Kunst am Bau gefällt einem oder sie gefällt einem nicht.
Ein Thema, das die Verantwortlichen im Auge behalten müssen, ist aber tatsächlich die Fussgängerlenkung auf dem Bahnhofplatz. Das Konzept mit der «Furt» zwischen Ankunftshalle und Kornhausplatz funktioniert noch nicht wirklich.
Zu viele Passantinnen und Passanten laufen derzeit kreuz und quer, oft auch noch mit dem Smartphone im Blick, über den Bahnhofplatz. Das dürfen sie in der Begegnungszone zwar, ungefährlich oder gut für die Fahrplanstabilität des Bus- und Postautoverkehrs ist das aber nicht. Beim Umgang mit diesem Phänomen wird es Fingerspitzengefühl brauchen.
Andere Themen, bei denen vielleicht nachjustiert werden muss, sind das Taxi-Konzept oder die Möglichkeit mit dem Auto jemanden auf der Südseite des Bahnhofs abzusetzen (die Neugestaltung beim Gaiserbahnhof könnte Entlastung bringen). Ebenfalls nicht glücklich gelöst ist die Veloparkierung auf der Südseite des Bahnhofplatzes: Gemessen an der Zahl an Hauswänden lehnender Drahtesel fehlt ein einfacher Kurzzeit-Veloständer mindestens am Eingang der Gutenbergstrasse.
Eines darf man letztlich ob all der Kritik und dem Gemecker «auf hohem Niveau» nicht aus den Augen verlieren: Der sanierte ÖV-Knoten funktioniert. Optisch sind Bahnhof und Bahnhofplatz ganz sicher wieder eine Visitenkarte für die Stadt St. Gallen. Ihren Hauptauftrag haben die Verantwortlichen damit erfüllt. Und an den Detailproblemen kann man in den kommenden Monaten und Jahren problemlos weiter schrauben.
Das grosse Fest zur Eröffnung des «neuen» St.Galler Bahnhofplatzes und Bahnhofs findet am Freitag, 17 bis 1 Uhr, und am Samstag, 10 bis 22 Uhr, statt. Programm: www.stadt.sg.ch