Happy End für Wildvogelpflegestation: Mit der Zusammenarbeit mit dem Walter-Zoo soll das St. Galler Vogelspital zum Fliegen kommen

Erst wurden die neuen Aussengehege beim Naturmuseum nicht bewilligt, dann fehlte das Fachpersonal: Jetzt gibt es endlich eine Pflegestation für verletzte und geschwächte Wildvögel. Die ersten Gäste sind bereits da.

Sandro Büchler
Drucken
Nur ein Käfig ist belegt: Auf der rechten Seite, unter dem schwarzen Tuch, sitzt ein verletztes Rotkehlchen versteckt.

Nur ein Käfig ist belegt: Auf der rechten Seite, unter dem schwarzen Tuch, sitzt ein verletztes Rotkehlchen versteckt.

Bild: Arthur Gamsa

Die erste Patientin hat die Wildvogelpflegestation bereits wieder verlassen. Eine Elster, die in eine Scheibe geflogen war, ein Schädeltrauma erlitten hatte und orientierungslos war, wurde seit Anfang November in der Station im St. Galler Naturmuseum gepflegt. Sie fliegt bereits wieder irgendwo am Himmel über der Stadt. Zurzeit ist einzig ein Rotkehlchen mit einer Schulterfraktur zu Gast in der Wildvogelpflegestation. Ängstlich sitzt es in der Ecke eines Käfigs.

Dr. Monika Bochmann, Zootierärztin im Walter-Zoo.

Dr. Monika Bochmann, Zootierärztin im Walter-Zoo.

Bild: Arthur Gamsa

«Rotkehlchen sind besonders stressanfällig», sagt Monika Bochmann. Sie ist Zootierärztin im Walter-Zoo. Im April hat die Stiftung, die hinter der St. Galler Wildvogelpflegestation steht, den Gossauer Zoo für eine Partnerschaft angefragt. Im August wurde die Zusammenarbeit besiegelt, auch das kantonale Amt für Natur, Jagd und Fischerei gab grünes Licht. Anfang November hat die Wildvogelpflegestation ihren Betrieb offiziell aufgenommen.

Die Probleme häuften sich

Die Kooperation ist das Ende eines leidigen Kapitels, eines zeitweise ausweglos erscheinenden Hickhacks. Nun gibt es ein Happy End für die Vogelpflegestation. Rückblick: Vor vier Jahren zügelt die von Dora und Christian Müller aufgebaute Station für Wildvögel von der Stadtvoliere ins Naturmuseum. Vier Innenräume werden in Betrieb genommen und im Museumspark Aussengehege gebaut, die der Auswilderung der aufgepäppelten Tiere dienen sollten.

Doch in den neugebauten Auswilderungsgehegen flatterte bisher kein einziger Vogel. Der Grund: Im Park direkt neben dem Naturmuseum gibt es zu viel Publikumsaufkommen, zu viele Zaungäste, zu viel Radau für die Wildtiere. Statt Ruhe und Erholung würden die Vögel zusätzlich gestresst, urteilte das Amt. Also musste ein neuer Standort gesucht werden.

Elisabeth Zwicky Mosimann, Stiftungsratspräsidentin Wildvogelpflegestation St. Gallen

Elisabeth Zwicky Mosimann, Stiftungsratspräsidentin Wildvogelpflegestation St. Gallen

Bild: Arthur Gamsa

Fast zeitgleich zog sich im Herbst 2018 das Gründerehepaar Müller zurück. Für ihr Lebenswerk wurde ein Nachfolger gesucht. Doch dies stellte sich als schwierig heraus. «Wir fanden keine qualifizierte Person für den Betrieb», sagt Elisabeth Zwicky Mosimann, die Stiftungsratspräsidentin der Wildvogelpflegestation. Nichts ging mehr. Die neugebauten Käfige verwaisen, während die Stiftung händeringend nach Geld, Fachpersonal und nach Erklärungen für die verfahrene Situation sucht. Dies gipfelt in einem Leserbrief des Gründervaters Christian Müller, in dem er mit Kritik nicht zurückhielt. Er bezeichnete die Tatenlosigkeit als «Schande».

Stiftungspräsidentin sagt: «Es hat etwas länger gedauert»

Eine schwierige Zeit, sagt Zwicky Mosimann. «Zeitweise habe ich keine Lösung gesehen.» Doch ans Aufgeben denkt sie nicht.

«Wichtig war und ist eine nachhaltige betriebene Pflegestation, die auch in Zukunft Bestand hat.»

Über die Partnerschaft mit dem Walter-Zoo ist die Stiftungspräsidentin deshalb sehr glücklich. Auch für die Aussengehege wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt in der Zwischenzeit eine Lösung gefunden. Nur einen Steinwurf entfernt vom Naturmuseum wurde für die Auswilderungsgehege in einer ruhigen Ecke des Quartiers gleich neben dem Botanischen Garten ein Standort gefunden – und dank modularer Bauweise seien die Gehege kürzlich auch relativ einfach versetzt worden.

Das Aussengehege an der Brauerstrasse im Zil.

Das Aussengehege an der Brauerstrasse im Zil.

Bild: Arthur Gamsa

«Es hat etwas länger gedauert», gibt sich Zwicky Mosimann beim Rundgang durch die neue Wildvogelpflegestation selbstkritisch. Da die Personal- und Standortfrage geklärt sei, könne sie sich nun auf die Finanzierung des laufenden Betriebs konzentrieren. Die vom Walter-Zoo erbrachten Veterinär- und Pflegeleistungen werden dabei pauschal mit rund 100'000 Franken abgerechnet, verrät Zwicky Mosimann. Im ersten Jahr müsse man nun Erfahrungen sammeln, ob dieser Betrag Futter, die Autofahrten von Gossau nach St. Gallen und die geleisteten Arbeitsstunden der Zooveterinäre zu decken vermöge.

Die Wildvogelpflegestation werde getragen von weiteren Stiftungen, auch von einem Privatgönner.

«Gelder für den Betrieb zu suchen, bleibt eine Daueraufgabe.»

Die neuen Auswilderungsgehege sind noch etwas kahl. Es wird aber noch Efeu gepflanzt, der künftig auch einen Schutz vor neugierigen Blicken bieten soll. Und ein Elektrozaun wird noch installiert. «Zum Schutz vor Mardern», sagt Zwicky Mosimann.

Bis Greifvögel etwa wieder zu 100 Prozent fit und wieder in die Freiheit entlassen werden, kommen sie in ein Aussengehege. Sie müssen sich nach der Pflege drinnen beispielsweise wieder an die Kälte gewöhnen.

Bis Greifvögel etwa wieder zu 100 Prozent fit und wieder in die Freiheit entlassen werden, kommen sie in ein Aussengehege. Sie müssen sich nach der Pflege drinnen beispielsweise wieder an die Kälte gewöhnen.

Bild: Arthur Gamsa

Die Badewanne für Enten und Schwäne steht bereit

Im Naturmuseum führt Zootierärztin Monika Bochmann durch die vier Innenräume. Im Behandlungszimmer stehen eine Untersuchungslampe und ein Mikroskop bereit. In einem Plastikgefäss winden sich Mehlwürmer. Nahrung für die geschwächten Vögel.

In den Nebenräumen sind zahlreiche Käfige von gross bis klein. Singvögel im einen Raum, im anderen mit Kacheln die Wasservögel, erklärt Bochmann. Für Schwäne und Enten stehen jeweils grosse Wannen in den Käfigen, die mit Wasser gefüllt werden.

«Bei uns sind die Vögel in besten Händen», sagt Tierärztin Bochmann, die Zusatzausbildungen in Wildvogelmedizin absolviert hat. Sie freut sich auf die neue Aufgabe. Der Zoobetrieb laufe sowieso 365 Tage im Jahr, da biete der Betrieb der Pflegestation Synergien. Zu Beginn sei man jedoch skeptisch gewesen, eine Pflegestation ausserhalb des Zoos zu betreiben. Doch der Walter-Zoo versteht sich ganzheitlich. «Aufgabe eines Zoos ist es neben der Freizeitbeschäftigung auch, Wissen über Tiere zu vermitteln und so Verständnis zu wecken.» Dies sei die Grundlage für Natur- und Artenschutz.

Wer einen verletzten Vogel findet, soll in jedem Fall erst zum Hörer greifen

Doch was tun, wenn man einen verletzten Vogel findet? Bochmann rät in jedem Fall zuerst anzurufen. Denn am Telefon könne man abschätzen, ob ein Vogel veterinärmedizinische Hilfe benötige. Die Zootierärztin gibt ein Beispiel: Nestlinge, also Jungvögel, die aus dem Nest gefallen sind, könnten wohl ohne Hilfe nicht überleben. Ästlinge hingegen, junge Vögel, die auf Ästen herumturnen, ihre ersten Flugversuche unternehmen und dabei zu Boden fallen, benötigen laut der Veterinärin vorerst keine Hilfe.

«Denn sie sind einfach noch sehr ungeschickt in dieser Zeit.»

Bochmann rechnet mit rund 250 pflegebedürftigen Vögel pro Jahr. «Das Patientenaufkommen ist aber saisonal unterschiedlich.» Im Herbst seien es vor allem Trauma und verletzte Flügel, wenn Singvögel in Scheiben fliegen, die behandelt werden. «Im Winter sind es vermehrt geschwächte Greifvögel, die bei einer dicken Schneeschicht keine Beutetiere mehr finden.» Und im Frühling und Sommer eben die ungeschickten Jungvögel.

Hinweis: Wenn ein kranker oder verletzter Wildvogel aufgefunden wird, soll sich direkt dem Notfalltelefon der Wildvogelpflegestation St. Gallen unter 076 441 34 23 melden. Das Telefon ist von 8.30 bis 12.30 Uhr und von 13.30 bis 18 Uhr täglich betreut.
Weitere Informationen unter www.wildvogelpflegestation.ch