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Gartenarbeit boomt zu Coronazeiten. Pächter der Familiengärten Mooswiesen über die beste Bratwurst des Jahres, ihr Rezept gegen schlechte Laune und ihre Angst vor einer Ausgangssperre.
Rauchschwaden steigen über den Schrebergärten Mooswiesen in den tiefblauen Frühlingshimmel auf. Auch bei Marietta und Trafalgar Reichmuth verglüht ein Feuer. Grad haben sie die erste Bratwurst der Gartensaison gegessen. «Die erste schmeckt immer ganz speziell», sagt Marietta Reichmuth, 68. «Sie ist die Beste.»
Ihr Mann bereitet die Kartoffeln zum Pflanzen vor. «Wenn wir den Garten nicht hätten!», sagen die beiden Gossauer. Der eigene Garten gewinnt in Zeiten von Corona einen noch höheren Wert. In unsicheren Zeiten kann es beruhigend sein, die ersten Radieschen zu säen, zu jäten oder den Kompost umzusetzen.
Die Primeln und Osterglocken blühen dieses Jahr bereits einen Monat früher im Gartenareal an der Buechenwaldstrasse. 110 Pächter pflanzen hier ihr Gemüse an. Marietta Reichmuth pflückt Löwenzahn und Scharbockskraut für einen Salat. Sie sagt:
«Ich glaube nicht, dass ich das Virus bekomme. Ich ernähre mich gesund und denke positiv.»
Beide Gartenfans sind 68, «wir sind Jungsenioren, wir dürfen noch raus», sagt Marietta Reichmuth und lächelt neckisch unter ihrem Sonnenhut hervor. Lange hätten sie nicht realisiert, wie erst die Lage sei.
«Aber es bringt nichts, wenn wir den ganzen Tag einen Lätsch ziehen.»
Ein Gartenzwerg hält ein Nickerchen neben selbst gebastelten Stehlen aus Schwemmholz. Auf kleinstem Raum hat sich das Paar verwirklicht, aus Steinen Beete gebaut, ein Miniparadies für Bienen und Schmetterlinge. Sie ist für die Kräuter und Blumen zuständig, er für Gemüse und Beeren. «Es ist wichtig, dass jeder seinen Bereich und seinen Freiraum hat.» Im Garten kann das Ehepaar abschalten. «Und am Abend fallen wir müde und zufrieden ins Bett.»
Der Bundesrat beschwört die Risikogruppe der über 65-Jährigen seit Tagen, zu Hause zu bleiben. Das fällt vielen schwer. Das ganze Leben wird man auf Leistung geeicht – und dann soll man plötzlich still sitzen? Auch Kaninchenzüchter Franz Dähler versteht die Welt nicht mehr. Der 69-jährige pensionierte Polizist gehört zu den Umtriebigen, «ich muss immer etwas machen».
Sechs ältere Herrschaften züchten in der Gossauer Kleintieranlage neben den Schrebergärten Hühner, Vögel und Enten. Dähler hat mit seinen prächtigen Kaninchen der Rasse Rex an Tierschauen schon einige Medaillen gewonnen. Das Fell seiner Tiere fühlt sich wie Samt und Seide an. In einem Nest quieken die Neugeborenen, ihre Augen sind noch zu.
Dähler schaut einmal im Tag vorbei, bringt seinen Tieren Heu und Wasser. Wer würde für sie sorgen, wenn der Bundesrat eine Ausgangssperre verhängen würde?
Besorgt las der Tierhalter über das inzwischen aufgehobene Ausgehverbot für Senioren im Kanton Uri. Er kann sich nicht vorstellen, auf sein Hobby zu verzichten.
«Jeder braucht doch eine Aufgabe.»
Auch der pensionierte Mechaniker Kurt Bloch, 71, zieht den Garten der Couch vor. Zwischen SBB-Gleisen und Elektrizitätswerk geniesst er in seinem kleinen grünen Reich die Sonne. «Im Garten wird man ja wohl noch sein können, oder?» Er halte genügend Abstand zu den Nachbarn.
Am meisten vermisst Bloch seine fünf Enkelkinder, die oft auf seinem Chriesibaum klettern. Oder dem Grossvater im Sommer bei der Ernte helfen. «Zwiebeln, Bohnen, Zucchetti», schwärmt Bloch. «Und Tomaten, es gibt für die Kinder nichts Schöneres.»
Leider könne man in der Landi zur Zeit keine Setzlinge kaufen. Es sei «himmeltraurig», was gerade passiere mit diesem Virus. Wenn er am Abend die Tagesschau einschalte, werde ihm fast übel. Zum Glück hat er den Schrebergarten. Schon eine Viertelstunde Gartenarbeit genüge, um Stress abzubauen – sagen Therapeuten. Der Puls sinkt, und der Duft von Blumen, Kräutern und Gemüse beruhigt die Nerven.
Ein paar Beete weiter schmückt Cornelia Bürgi, 37, mit ihren Töchtern Ilona, 5, und Leonie, 6, einen Osterbaum mit bunten Eiern. Es ist ihre zweite Gartensaison. Als sie den Schrebergarten vor einem Jahr übernahmen, war da bloss eine Brache. Die Familie hatte noch keine Erfahrung. «Unsere Nachbarn zeigten uns, wie es geht.» Jetzt spriessen hier Blumen, Erdbeeren und Nüsslisalat – «alles bio», wie Cornelia Bürgi stolz betont.
Es sind nur ein paar Quadratmeter. Aber die Kinder können viel machen: Sändele, Blumen giessen, Beeren naschen. Da die Bürgis in einer Blocksiedlung wohnen, ist der Schrebergarten zu einem wichtigen Bestandteil ihres Familienlebens geworden. In der jetzigen Krise noch viel mehr. Eine kleine, sichere Oase in einer bedrohlich gewordenen Welt.