Keine natürliche Wasserstelle weit und breit, dennoch soll sich laut einer Internetseite in der Nähe der Badi Gossau ein Biber aufhalten. Eine Spurensuche ergab: Tatsächlich haust das Nagetier fünf Kilometer weiter an der Sitter in St.Gallen.
Auf einem Gossauer Bauernhof wurde ein Biber gesichtet. Das zumindest ist der Internetseite www.stadtwildtiere.ch zu entnehmen. Hier können Tierfreunde Fotos von Wildtieren in Stadtnähe hochladen. Der Eintrag stiess auf eine gewisse Verwunderung. Denn die Bilder zeigen einen Biber, der am Flussufer an einem Baum knabbert. In der Nähe dieses Bauernhofes gibt es aber keinen Fluss. Die nächstgelegene Wasserstelle ist das Freibad der Stadt Gossau.
Einige Telefonate später ist die Situation geklärt: Der Biber wurde nicht auf einem Gossauer Bauernhof gesichtet, sondern gut fünf Kilometer weiter östlich, in St. Gallen, am Ufer der Sitter. Die Bilder hat Matthias Howald hochgeladen. Der 40-Jährige ist Sales Manager bei einem Getränkehändler und als Sänger der Band Tüchel in der St. Galler Punkmusikszene bekannt. «Wahrscheinlich habe ich mich beim Eingeben der Koordinaten auf der Homepage vertan», sagt Howald. Fotografiert habe er das Tier vor einigen Wochen, als es am Stamm eines Baumes nagte, der in der Nähe von Howalds Haus am Flussufer steht.
Der Punkmusiker freut sich über den Biber in der Nachbarschaft. Allerdings ist ihm auch ein bisschen unbehaglich zumute. Denn mittlerweile hat der Biber einen Drittel des besagten Baumstammes durchgefressen. Sollte die gut 20 Meter hohe Weide umstürzen, würde ihre Krone wohl am anderen Ufer der Sitter aufschlagen. Vorausgesetzt, der Baum fällt zum Wasser hin. Stürzt er aber auf die andere Seite, haben Howald und seine Nachbarn ein Problem. Dort befindet sich nämlich der Parkplatz, auf dem sie ihre Autos parkieren.
Wirklich Angst um sein Fahrzeug hat Matthias Howald deswegen nicht: «Soviel ich weiss, ist der Biber ein guter Architekt. Er wird kaum vorhaben, den Baum in Richtung des Parkplatzes zu fällen. Ich vertraue deshalb auf das Können des Tieres.» Ausserdem habe er den zuständigen Wildhüter informiert, sagt Howald.
Wildhüter Mirko Calderara sieht keinen Grund zur Sorge. Zwar sei der Biber keineswegs treffsicher, wenn er sich als Holzfäller betätige. «Bäume am Flussufer sind aber in der Regel zum Wasser geneigt. Das ist auch bei dieser Weide an der Sitter der Fall.» Dass ein Baum wegen heftigen Windes doch nicht zum Fluss hin falle, habe er schon erlebt, sagt Calderara. Es sei aber äusserst selten. In diesem Fall sei der Stamm noch nicht so weit durchgefressen, dass der Baum stürzen könne. Und der Biber knabbere nur im Winter an Bäumen. Im Sommer ernähre er sich von Gräsern, Blättern und Knospen. Den Baum zu fällen dränge sich momentan also nicht auf, sagt Calderara. Man werde ihn aber weiterhin im Auge behalten.
Dass der Biber in bewohntem Gebiet an Bäumen nage, sei ausserdem alles andere als ungewöhnlich, sagt Calderera. Auch wäre es ebenso gut möglich, dass sich ein Biber in Gossau zeigt. «Als vor gut zwanzig Jahren das erste Mal wieder ein Biber gesichtet wurde, war das auf Gossauer Gebiet.»
Mittlerweile wird der Biberbestand in der Gegend auf zehn bis zwölf Tiere geschätzt. Für Howald ein Grund zur Freude: «Ich finde es schön, einen Biber vor der Haustür zu haben.» Und sollten starker Wind und die mässige Treffsicherheit des Bibers tatsächlich so unglücklich zusammenspielen, dass die Weide am Sitterufer auf Howalds Auto herunterkrachen sollte, wäre der Punkmusiker nicht traurig: «Wer kann schon behaupten, dass ihm ein Biber das Auto zerlegt hat.»