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Kein gewöhnliches Hühnerleben führt die Henne von Familie Monn in Goldach. Im Altersheim ist sie der Publikumsliebling.
Nerina ist ein Publikumsliebling. Sie mag Streicheleinheiten und hat kein Problem mit Menschenansammlungen, sie macht brav Platz, hat aber eine Abneigung gegen Tomaten. «Wenn ich ihr ein Stück hinstrecke, senkt sie sofort den Kopf nach unten oder zur Seite weg», sagt ihr Frauchen, Narcisia Monn. Was genau so gut auf Hund oder Katze zutreffen könnte, sind Eigenschaften einer neunjährigen Zwerghenne.
Ein typisches Hühnerleben hatte Nerina nie. In ihrem Zuhause, beim Goldacher Ehepaar Monn, kann sie sich frei bewegen – sie sitzt auf dem Balkon, geniesst die Gesellschaft am Küchentisch oder in der Stube. «Früher hat sie jeden zweiten Tag ein Ei gelegt», sagt Narcisia Monn. Die gebürtige Italienerin sorgt sich um das Tier, wie um ihr eigenes Kind.
Nerina kam durch Zufall zu Monns: Die Henne und acht Geschwister, gehörten einer Bekannten. Als das Ehepaar sie in St.Margrethen besuchte, war es Liebe auf den ersten Blick. «Wir hatten schon davor Haustiere. Hunde, Katzen, aber auch Krähen und Stockenten», sagt Siegfried Monn.
Seit zwei Monaten lebt der 82-Jährige im Seniorenzentrum La Vita. Seine Frau, 81 Jahre alt, kommt regelmässig mit Nerina zu Besuch. Die Henne sitzt brav auf seinem Rollator und bewegt den Kopf ruckartig in alle Richtungen. Währenddessen scharen sich andere Heimbewohner um das Tier, streicheln und füttern es. «Sie beobachtet gerne, was um sie herum passiert», sagt Siegfried Monn. «Stimmt’s Nerina», sagt er liebevoll und ist überzeugt, dass seine Henne jedes Wort versteht.
Beide sind in den 50er-Jahren in die Schweiz gekommen. Sie reiste ihrer Schwester aus den Dolomiten nach, er kam aus der DDR, in der Nähe von Berlin. Als Auslandschweizer konnte Siegfried Monn jederzeit ausreisen. Kennen gelernt haben sie sich in Glarus, bei einem Treffen des dortigen Fussballvereins. Weil er dank einem Bekannten in Horn Arbeit fand, liess sich das Ehepaar in Goldach nieder. «Der See und die Gemeinde gefallen uns gut», sagt sie.
Ihr Haustier habe einige spezielle Vorlieben. Einerseits steht Nerina auf Toilettenpapier, das sie zu Unmengen verschlingt, andererseits findet sie Glace unwiderstehlich. «Wenn ich ein Cornet esse, kommt sie sofort und schubst mich mit ihrem Schnabel», sagt Siegried Monn. Bemerkenswert sei auch, wenn seine Frau ihn daheim zum Essen gerufen habe, dann sei die Henne sofort herbei gerannt.
Ungleiche Sympathien hegt das Huhn hingegen gegenüber den beiden Söhnen. Mit dem einen verstehe sie sich prächtig, wenn der andere jedoch das Haus betritt, wird sie laut und aggressiv. «Das basiert vermutlich etwas auf Gegenseitigkeit», sagt Narcisia Monn.
Da sie auf einem Bauernhof in Italien aufgewachsen ist, hatte sie früh Kontakt mit Tieren. Dass Nerina besonders ist, merkte sie hingegen schnell. «Ein Bekannter besuchte mit seinem Therapiehund jeweils Schulklassen und Altersheime», sagt Narcisia Monn. So sei sie auf die Idee gekommen, dies auch mit ihrem Huhn auszuprobieren. Seither ist sie regelmässig im Altersheim Rorschach zu Besuch oder in Schulklassen der Region.
Auch im Goldacher Seniorenzentrum La Vita kennt und schätzt man die Henne. Jeder spricht sie an oder füttert sie. Eine Frau, die kaum noch hört oder sieht, streichelt das Tier mit Narcisia Monns Hilfe übers dunkelbraune Federkleid – und bebt danach vor Freude.
Noch ist Nerina trotz ihren neun Jahren fit. Ihr einziges Wehwehchen ist ein Hühnerauge, weshalb sie schon einmal beim Tierarzt war. «Wir hätten nie gedacht, dass Nerina so ein langes Leben haben würde. Wenn sie nicht mehr ist, werde ich sicher traurig sein», sagt Siegfried Monn.