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Das Historische und Völkerkundemuseum zeigt ab Samstag Werke der Künstler Fritz und René Gilsi.
Mitten im Saal des Historischen und Völkerkundemuseums (HVM) steht ein Ziehbrunnen. Es ist jener aus Fritz Gilsis Radierung «Die Wahrheit», vergrössert und auf einen mannshohen Würfel aus Ausstellungswänden gedruckt. Daneben hängt die echte Radierung. Sie zeigt einen Narren, der an einem Seil eine nackte, zusammengekauerte Frau aus einem Brunnen zieht – und damit die Wahrheit ans Licht bringt. Schaulustige stehen um den Brunnen, doch sie wirken passiv. «Gilsi kritisiert damit, dass niemand handelt, obwohl es so viel Leid gibt», sagt Gastkuratorin Sabine Hügli-Vass. Hinten am nachgebildeten Brunnen hat es ein Guckloch. Besucherinnen und Besucher werden damit zu Betrachtern des Leids im Brunnen.
Narrenfiguren ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk von Fritz Gilsi und Sohn René, die beide für den «Nebelspalter» zeichneten. So heisst die Ausstellung, die das HVM den beiden Künstlern widmet, denn auch «Narrenweisheiten». Am Freitag, 18.30 Uhr, ist Vernissage.
«Narrenweisheiten – die Künstler Fritz und René Gilsi» zeigt ausgewählte Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen von Fritz Gilsi sowie Karikaturen von Vater und Sohn. Wobei die Werke des Vaters überwiegen. «Wir geben ihm am meisten Raum, weil er im Gegensatz zu René Gilsi nicht mehr so bekannt ist», sagt Hügli-Vass. Das HVM hat das gesamte druckgrafische Werk von Fritz Gilsi sowie eine grössere Anzahl Gemälde, Zeichnungen und Karikaturen erhalten. Die Arbeiten lagen zuvor in einer Garage an der Flurhofstrasse.
Die Schenkung ist ein Grund, warum das HVM – und nicht das Kunstmuseum – die Werke zeigt. Ein Weiterer ist, dass Fritz Gilsi bereits im Gebäude gewirkt hat. 1919 schuf er die Wandgemälde im Ostkorridor des damals neugebauten Museums. Dort wo sich heute ein Teil der Vadian-Ausstellung befindet.
Die Ausstellung wird am Freitag, 18.30 Uhr, im Historischen und Völkerkundemuseum (HVM) eröffnet. Kuratorin Sabine Hügli-Vass, Museumsdirektor Daniel Studer und Kristin Schmidt, Stiftungsrätin des HVM, werden zugegen sein.
Hügli-Vass führt zudem mehrmals durch die Ausstellung. Jeweils um 18 Uhr am 26. Februar, 11. März und 29. April wird sie zu «Zwischen Traum und Wirklichkeit» sprechen. Um «Zeitkritische Kunst und Karikatur» geht es am 22. März, 5. April, 3. Mai und 7. Juni, jeweils um 11 Uhr. Am 24. Mai, 15 Uhr gibt es überdies eine Kinderführung.
Junge Poetry-Slammer werden am 15. März, 14 bis 15.30 Uhr, zur Ausstellung slammen. Am Samstag, 16. Mai, findet von 14 bis 17 Uhr der Workshop «Radierungen selber machen» statt. Die Teilnahme kostet 35 Franken und ist ab 16 Jahren möglich. Anmeldungen können bis zum 4. Mai an info@hvmsg.ch gesendet werden. Finissage ist am 28. Juni, 11 Uhr, mit einer letzten Führung.
Sabine Hügli-Vass hat nun die Radierungen – das Hauptwerk Fritz Gilsis – wissenschaftlich aufgearbeitet. Das Ergebnis ist ein Werkkatalog, der zur Ausstellung erscheint und die Arbeiten biografisch einordnet.
Gleich am Eingang der Ausstellung gibt eine Zeittafel einen Überblick über das Leben von Vater und Sohn. Fritz wird 1878 in Zürich geboren. Doch schon ein Jahr darauf zieht die Familie nach Paris, wo der Vater eine neue Anstellung gefunden hat. Damit wächst Fritz in der Stadt auf, die später zum Zentrum des Jugendstils wird. Der Bub ist ein leidenschaftlicher Zeichner.
Als er 17 Jahre alt ist, zieht die Familie zurück nach Zürich, wo er mit Augusto Giacometti die Kunstgewerbeschule besucht. Dann wird Fritz an der damals hoch angesehenen Schule für Industrie und Gewerbe in St.Gallen aufgenommen.
Der 19-Jährige zügelt in die Gallusstadt und wird Stickereizeichner. Nach dem Abschluss zieht es ihn nochmals für einige Jahre nach Paris. Doch wegen der Arbeit und der Liebe kehrt er zurück: 1901 heiratet er die ehemalige Mitschülerin Emmy Brunschweiler und nimmt kurz darauf eine feste Stelle als Stickereizeichner an.
Das Paar wohnt in einer Wohnung im Haus Storchen an der Magnihalden 7. Dort wo heute das Kinder- Musical-Theater Storchen steht. 1905 kommt René zur Welt. Als der Sohn fünf Jahre und die Schwester Elisabetha «Lisbeth» Martha vier Jahre alt ist, reist Vater Fritz für einen neunmonatigen Studienaufenthalt abermals nach Paris. «Die Qualität der Werke nimmt damit nochmals zu», sagt Hügli-Vass. Zu jener Zeit malt Fritz Gilsi auch das Gemälde «Dame bei der Toilette».
Fritz ist 44 Jahre alt, als die Familie ein Schicksalsschlag trifft. Gilsis sind inzwischen in ein Haus in der Notkersegg umgezogen, als Ehefrau Emmy an einer Krankheit verstirbt. Der nun alleinerziehende Vater beginnt, an der Gewerbeschule zu unterrichten und Karikaturen für den «Nebelspalter» zu zeichnen. Nach der Pensionierung tritt er dem Redaktionsteam bei.
Zu diesem Zeitpunkt zeichnet Sohn René bereits für den «Nebelspalter». Ihn zieht es ebenfalls zur Kunst, nachdem er als Kind dem Vater Modell stand: Das Ausstellungsplakat zeigt René Gilsi als Kind. Es ist ein Ausschnitt des Werks «Marionetten» von Fritz Gilsi.