Energiesicherheit
Stadt St.Gallen will mit Abwasser Strom erzeugen: Im Schoren läuft ein erster Test

In der Stadt St.Gallen gibt es Energiepotenzial in Form von Abwasser. Dies soll genutzt werden. Doch vorher muss das Schmutzwasser gefiltert werden.

Dinah Hauser
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Im Testschacht im Schoren ist provisorisch ein Coandasieb montiert. Es trennt die festen Bestandteile vom Abwasser.

Im Testschacht im Schoren ist provisorisch ein Coandasieb montiert. Es trennt die festen Bestandteile vom Abwasser.

Bild: PD/Marcel Höhener

Ein unscheinbarer Schacht im Schoren. Man hört darin das Wasser rauschen. Ein Mann im Schutzanzug – so weiss wie der umliegende Schnee – steigt hinab. Marcel Höhener, Spezialist für Kleinstkraftwerke, führt eine Messung durch. Nähert man sich dem offenen Schacht, so riecht es ein wenig nach Kanalisation. Als der Mann wieder hinauf steigt, sind kleine braune Spritzer auf dem Schutzanzug.

Der Schacht führt Abwasser zur Kläranlage Au an der Rechenwaldstrasse. Ein Blick hinab offenbart eine Art kleine Rampe aus Metall mit Lamellen. Die vermeintliche Rampe ist allerdings ein sogenanntes Coandasieb. Es trennt grössere feste Bestandteile vom Abwasser. «Das Abwasser dringt durch die 1,1 Millimeter dicken Spalten und wird über die viertelrund Profile der Lamellen zusätzlich beschleunigt, sodass eine Sogwirkung entsteht», erklärt Marcel Höhener von der St.Galler Firma Quellfrosch.

Coandasieb wird erstmals mit Abwasser getestet

Er hat das Coandasieb im Auftrag der Stadt St.Gallen für einen Test installiert. Die Stadt prüft derzeit, ob es möglich ist, aus Abwasser Strom zu gewinnen. Dafür muss aber erst getestet werden, ob ein Coandasieb für Schmutzwasser taugt und etwa Fäkalien und andere feste Bestandteile auffangen respektive abweisen kann.

Marcel Höhener von der Firma Quellfrosch.

Marcel Höhener von der Firma Quellfrosch.

Bild: Dinah Hauser

Denn bisher wurden laut Höhener Coandasiebe in der Schweiz nur für die Filterung von Bach- oder Flusswasser verwendet.

«Wir wollen nun herausfinden, ob sie auch mit Abwasser funktionieren.»

Die Testphase sei bisher vielversprechend, es scheint zu funktionieren. Anfangs bestand die Gefahr, dass WC-Papier oder Fäkalien das Sieb verstopfen. Dem konnte mit kleinen Anpassungen entgegengewirkt werden. Zudem fliesst genug Wasser, sodass diese festen Bestandteile weggeschwemmt werden – die Selbstreinigung funktioniert im Testschacht. Im Wasser zurückbleiben lediglich kleinere Partikel und aufgelöstes WC-Papier. Im Sieb sieht das aus wie eine Handvoll Fischeier.

Einige feste Bestandteile bleiben trotz Coandasieb zurück. Diese verträgt die Turbine allerdings.

Einige feste Bestandteile bleiben trotz Coandasieb zurück. Diese verträgt die Turbine allerdings.

Bild: Dinah Hauser

Warum braucht es denn überhaupt ein Coandasieb? «Das ‹gesiebte› Abwasser soll eine Turbine antreiben. Grosse Partikel würden diese blockieren oder beschädigen», sagt Höhener. Mit dieser Turbine soll dann Strom erzeugt werden. Berechnungen zufolge jährlich etwa 180'000 Kilowattstunden (kWh) – damit könnten gegen 30 Einfamilienhäuser versorgt werden.

Das Ziel: Kleinstkraftwerk im Rechenwald

Doch die Turbine müsste systembedingt weiter unten zu liegen kommen, nach dem Regenbecken Engelwies und kurz vor der ARA Au. Dafür würde das Coandasieb dann beim Ablauf des Beckens eingebaut. Warum denn nicht gleich das Sieb dort einsetzen für den Testlauf? «Dafür müssten wir bauliche Massnahmen vornehmen», sagt Viktor Bänziger, Bereichsleiter Stadtentwässerung bei der Entsorgung St.Gallen. Ein Blick in den Schorenschacht offenbart eine Voraussetzung: Das Wasser fliesst hier über eine Stufe vom einen ins nächste Rohr. Beim Regenbecken müsste man eine solche erst erstellen, damit es einen Höhenunterschied gibt und das Coandasieb funktioniert.

Viktor Bänziger, Bereichsleiter Stadtentwässerung bei der Entsorgung St.Gallen.

Viktor Bänziger, Bereichsleiter Stadtentwässerung bei der Entsorgung St.Gallen.

Bild: Dinah Hauser

Auch Viktor Bänziger ist vor Ort und beobachtet die Messungen. «Wir wollen innovative Ideen fördern», sagt der Bereichsleiter Stadtentwässerung.

So hat er mit seinem Team das 300 Kilometer lange Netz mit zwei Kläranlagen und acht Regenbecken geprüft. Vier Standorte seien dann in die engere Auswahl gekommen. Denn damit die Turbine effizient betrieben werden kann, braucht es vor allem eines: viel Höhenunterschied und genügend Abwasser. Nach näherer Betrachtung sei dann nur noch der Standort im Rechenwald verblieben. Hier sind es dann etwa 30 Höhenmeter, die mittels Druckleitung künftig genutzt werden könnten.

St.Gallen als Vorreiterin

Der Test mit dem Coandasieb ist bald vorüber. Es dürfte ein positiver Bericht folgen. «Nach einer eingehenden Analyse der Resultate und Klärung weiterer Rahmenbedingungen wie Wirtschaftlichkeit und betriebliche Aspekte, könnte ein konkretes Pilotprojekt ausgearbeitet werden», sagt Bänziger. St.Gallen nehme damit eine Vorreiterrolle ein. «Einzig in der Gemeinde Churwalden oberhalb von Chur wird aus Abwasser Strom produziert. Dort allerdings nicht mit einem Coandasieb, sondern mit einer Rechenanlage», weiss Marcel Höhener. Das Coandasieb sei jedoch deutlich wartungsarmer. Er prognostiziert, dass man alle ein bis zwei Monate den Schacht überprüfen und gegebenenfalls das Sieb von kleinen Schmutzansammlungen befreien müsste.

Marcel Höhener verschwindet mit Schutzanzug im Testschacht. Dort ...
7 Bilder
... misst er zuerst, ob genug Wasser über das Sieb läuft. Danach füllt er einen Eimer mit gesiebtem Abwasser. Dieses ...
... füllt er erst in eine Petflasche um. Danach ...
... lässt er das Wasser durch ein Sieb, wie es auch in Haushalten zu finden ist. Zurück bleiben ...
... nur kleine Partikel. Danach nimmt er ein noch engmaschigeres Sieb, ...
... hier bleiben mehr feste Bestandteile wie WC-Papier und Fäkalien hängen.
Das Fazit: Das Coandasieb taugt auch für Abwasser.

Marcel Höhener verschwindet mit Schutzanzug im Testschacht. Dort ...

Bild: Dinah Hauser

Die Möglichkeit der Stromgewinnung aus Abwasser hat Marcel Höhener gesehen, nachdem er im Frühling 2020 einen «Tagblatt»-Artikel gelesen hatte. Darin ging es darum, dass das ehemalige Kino Rex künftig als Regenrückhaltebecken dienen soll. Nachdem Höhener mit seiner Idee auf die Stadt zukam, «war schnell klar, dass die Voraussetzungen beim Kino Rex nicht gegeben sind, man aber andernorts Möglichkeiten prüfen und das Projekt begleiten will», sagt Viktor Bänziger.

«Wir wollen so allgemein die Sicherheit der Energieversorgung erhöhen.»

Zu den konkreten Kosten einer solchen Anlage können sich beide Experten noch nicht äussern. Dafür müsse erst das Pilotprojekt und damit die Berechnungen für den Standort im Rechenwald abgewartet werden. Was jedoch klar ist: Die Variante mit Coandasieb ist günstiger als jene mit einer konventionellen Rechenanlage.