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Im Sittertobel haben britische Wissenschafter die Stahlrohre des stillgelegten Geothermieprojekts untersucht.
Beinahe wäre das Bohrloch im Sittertobel zu übersehen. Einige Steinquader und ein Gitter sind um rostige Bodenplatten platziert. Es sind die einzigen oberirdischen Relikte des Bohrlochs. Unter einem Deckel mit einem Vorhängeschloss führt eine Leiter vier Meter in die Tiefe – in den Bohrkeller. Darin ruht der wuchtige Bohrkopf, der das 4,5 Kilometer tiefe Loch versiegelt.
Es ist dreckig im Kellerraum, über Nacht ist Regenwasser eingedrungen. An der Decke klebt ein verlassenes Wespennest und eine Spinne hat es sich in ihrem Netz bequem gemacht. In einer Ecke sind Frösche, die heruntergefallen sind und so ihr Todesurteil besiegelt haben. Der Bohrkeller gleicht einem Verliess.
Doch heute ist der ungemütliche Raum der Arbeitsplatz von Sofia Sampethai. Die britische Wissenschafterin erforscht die Auswirkungen von Tiefenbohrungen auf die Umwelt. Die 29-Jährige ist mit zwei Kollegen aus Cambridge angereist und hat am Mittwoch und Donnerstag diverse Tests am St.Galler Bohrloch durchgeführt. Im Fokus der drei stehen die Materialeigenschaften der im Erdboden verbauten Stahlrohre.
Das Geothermieprojekt im Sittertobel war Teil einer grossen Vision. Einer St.Galler Energiezukunft ohne Kohle, Erdöl oder Gas. Heisses Wasser aus dem Erdboden statt fossiler Energie zum Heizen. Im Juli 2013 stieg plötzlich der Druck im Bohrloch durch in der Tiefe unerwartet eingetretenes Erdgas. Bei den dadurch notwendigen Stabilisierungsmassnahmen kam es zu einem Erdbeben mit der Stärke 3,5 auf der Richterskala. Es setzte der Vision ein jähes Ende.
Später fand man heraus, dass ohnehin zu wenig heisses Wasser im Untergrund schlummert. Auch das Erdgasvorkommen ist gering. Die grosse Vision wurde definitiv beerdigt, das Bohrloch stillgelegt. Das untere Ende des Bohrlochs in 4450 Metern Tiefe wurde mit einem Pfropfen verschlossen, sagt Thomas Bloch von den St.Galler Stadtwerken. Das Gaswassergemisch im Untergrund kann dadurch nicht nach oben dringen. Anschliessend sei das Bohrloch mit einer Flüssigkeit gefüllt worden. Seither fristet das Pionierprojekt vor sich hin. Zwar inspizieren die Stadtwerke das Bohrloch jede Woche. Sie überprüfen den Druck am Bohrkopf, doch die Zeiger stehen stets auf null. Kein Druck, Stillstand, eine Bohrung ohne Nutzen.
Doch für zwei Tage wird das Bohrloch nun zum Feldlabor. Die britischen Forscher befestigen eine Art Manschette unterhalb des Bohrkopfs. Unzählige gelbe Stecker werden verkabelt. Mit dem Gerät messen die Wissenschafter, in welchem Zustand die Rohre sind. Dazu sendet die Messapparatur Schallwellen entlang des Metallrohrs in den Untergrund. Sampethai erklärt:
«Wir hören, ob sich Risse gebildet haben.»
Sie nickt zufrieden. «Wir erhalten ein charakteristisches Signal.» Keine Risse, keine Schäden also, heisst das. Die Stahlwände des Bohrlochs seien intakt. Für die Projektleiterin der Firma TWI Ltd. ist das Messresultat die Bestätigung, dass die Prototypen funktionieren. «Unsere Technik bei einem stillgelegten Bohrloch zu überprüfen, ist enorm wertvoll», sagt Sampethai. Denn nächstes Jahr sollen die Instrumente bei einem aktiven Geothermieprojekt in Cornwall zum Einsatz kommen.
«Würden die Stahlrohre Fehler, also Risse, aufweisen, träte Flüssigkeit in die Umwelt aus», sagt Thomas Bloch. Würde dies beim St.Galler Bohrloch passieren, wäre dies für die Natur nahezu unbedenklich. Denn im Loch ist bloss ein Gemisch aus Wasser und einer minimalen Menge an Korrosionsschutz. «Treten die Risse aber bei einem Geothermiekraftwerk auf, das heisses Tiefenwasser fördert, können die Folgen für die Umwelt weit schwerwiegender sein.» Denn mit dem Wasser würden auch verschiedene darin gelöste Stoffe aus dem Gestein austreten.
Aus den zweitägigen Messungen könnten die Stadtwerke keinen direkten Nutzen ziehen, sagt Bloch. Da die Stadt das Bohrloch für Tests zur Verfügung stellt, erhält sie zwar Gelder aus dem Forschungsverbund «Science4CleanEnergy». Doch Bloch erhofft sich mehr. «Allenfalls entsteht daraus eine Idee, wie wir die Bohrung in Zukunft nutzen können.»
Während die Messung läuft, steigt Projektleiterin Sofia Sampethai zurück an die Erdoberfläche. Hat sie abgesehen vom dreckigen Bohrloch auch die schönen Seiten St.Gallens gesehen? Sampethai lacht. «Ja, wir waren in der Stiftsbibliothek.» Und gut Essen seien sie gewesen.