Die Stadt reagiert auf die Überalterung und erarbeitet eine Altersstrategie

Die Gesellschaft wird immer älter. Der Stadtrat reagiert und erarbeitet nun eine Altersstrategie.

Marlen Hämmerli
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Ältere sollen möglichst lange in ihren vier Wänden wohnen können.

Ältere sollen möglichst lange in ihren vier Wänden wohnen können.

Bild: Gaetan Bally / KEYSTONE

Heute ist knapp jede fünfte Person in der Stadt über 65 Jahre alt. Doch in den nächsten Jahren wird ihr Anteil steigen. Das kantonale Statistikamt rechnet für den Wahlkreis St.Gallen mit einem Anstieg von heute rund 30 auf knapp 43 Prozent 2035. Die Überalterung der Gesellschaft ist eine der grössten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Der Stadtrat reagiert nun. Bis Ende Jahr will er eine Altersstrategie erarbeiten.

Bisher existiert einzig das Grundlagenpapier «Alters- und Generationenpolitik», dass keine konkreten Ziele und Massnahmen enthält, sondern nur Umsetzungsvorschläge macht. Das soll sich ändern: «Wir wollen klarere, verbindlichere Ziele», sagt Stadträtin Sonja Lüthi, Vorsteherin der Direktion Soziales und Sicherheit.

Stadträtin Sonja Lüthi ist Vorsteherin der Direktion Soziales und Sicherheit.

Stadträtin Sonja Lüthi ist Vorsteherin der Direktion Soziales und Sicherheit.

Bild: PD

Ältere stellen höhere Anforderungen

Seniorinnen und Senioren werden heute älter und bleiben länger fit. Zudem werden nun jene pensioniert, die in der Wohlstandsgesellschaft gross geworden sind. Das führe zu neuen Bedürfnissen, sagt Lüthi. «Die Pensionäre stellen höhere Anforderungen und treten als Kunden auf.»

Nach der Pension gehen sie reisen, engagieren sich in der Freiwilligenarbeit und bringen Wissen und Erfahrungen ein. «Das ist eine der Chancen des demografischen Wandels», sagt Lühti. Aber auch in der Kinderbetreuung sind ältere Personen wichtig. Zudem wollen ältere Menschen mitbestimmen können. «Wir merken das bei den frisch Pensionierten», sagt Lüthi.

«Senioren wollen sich einbringen, was wertvoll ist.»

Auch bei der Altersstrategie werden ältere Personen mitreden können. Die Stadt plant einen partizipativen Prozess, auch mit Jüngeren. Aber auch die Spitex-Vereine, Pro Senectute, kirchliche Institutionen oder Organisationen, die im Bereich der Demenz oder in der Palliative Care tätig sind, werden eingebunden. «Mir ist es ganz wichtig, dass wir die Strategie nicht im stillen Kämmerlein erarbeiten», sagt Lüthi. «Am Ende geht es um den Menschen.»

Klassische Anliegen sind mehr Bänkli und öffentliche WCs

Mit diesem Vorgehen liegt die Stadt richtig, wie Stefan Tittmann, Co-Leiter des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden an der Fachhochschule St.Gallen sagt. «Eine solche Strategie sollte unter Einbezug aller, die in diesem Bereich tätig sind, erarbeitet werden.» So können Seniorinnen und Senioren ihre Anliegen direkt einbringen. Klassische Beispiele seien mehr Bänkli und öffentliche Toiletten. «Beides hilft den Menschen, sich im öffentlichen Raum sicher zu fühlen und mehr raus zu gehen.»

Stefan Tittmann ist Co-Leiter des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden an der Fachhochschule St.Gallen.

Stefan Tittmann ist Co-Leiter des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden an der Fachhochschule St.Gallen.

Bild: PD

Bei der Erarbeitung einer Altersstrategie sei es zudem wichtig, Hilfe dort anzubieten, wo sich Ältere aufhalten, sagt Tittman. Also dort, wo sich Senioren bewegen. «Gut ist es, stark auf die Nachbarschaftshilfe zu setzten.» Gibt es einen Nachbarn, der bei der elektronischen Steuererklärung helfen oder etwas vom Einkauf mitbringen kann?

Diese nahraumbezogene Arbeit ist eine der Grundlagen, auf der die Altersstrategie aufbauen soll. Angebote sollen gemäss Lüthi dort geschaffen werden, wo sich die Betroffenen aufhalten, wobei der Bewegungsradius im Alter immer kleiner wird.

Die Altersstrategie zielt auf die Lebensqualität. So lautet ein Ziel, dass ältere Personen möglichst lange zu Hause wohnen können. «Das ist uns ein grosses Anliegen», sagt Lüthi. Heute gibt es Senioren, die kaum pflegebedürftig sind, aber im Pflegeheim wohnen. «Das ist weder volkswirtschaftlich noch für den Einzelnen sinnvoll.» Betreutes Wohnen wäre eine Alternative, aber die Mietkosten dafür sind hoch. Diesbezüglich berät der Kantonsrat in der Februarsession eine Vorlage, die vorsieht diese Mietkosten bei den Ergänzungsleistungen anzurechnen.

Natürlich muss auch die ambulante Pflege gestärkt werden. Gleichzeitig können aber auch soziale Gründe zu einem Umzug ins Pflegeheim führen, etwa wenn der Kontakt zu Mitmenschen fehlt. Mittagstreffen oder gemeinsame Spaziergänge können dem entgegenwirken.

Die junge Generation darf nicht vergessen gehen

St.Gallen ist nicht die erste Gemeinde, die eine Altersstrategie erarbeitet. «Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr entwickelt», sagt Stefan Tittmann. Eine Altersstrategie sei sehr sinnvoll. So könne sich eine Gemeinde auf den demografischen Wandel und die Veränderung der Gesellschaft vorbereiten.

Wichtig sei es darauf zu achten, die Generationen nicht gegeneinander auszuspielen. «Man darf sich nicht nur auf die ältere Generation konzentrieren und dadurch die jüngere vergessen.» So könne man sich fragen, ob es Massnahmen gebe, die auch andere Generationen betreffen. So profitieren auch Kinder und Familien von zusätzlichen Bänkli oder abgesenkten Randsteinen. Wer so vorgeht, folgt laut Tittmann dem neusten Trend, generationenverbindende Strategien zu entwickeln.