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Die Fabrikhallen auf dem Feldmühleareal stehen seit einigen Jahren leer. Graffitikunst, ein leerer Safe und ein Bienenvolk befinden sich heute in den baufälligen Fabrikhallen.
Die Schritte hallen von den Wänden. Ein modriger Geruch hängt in der Luft. «Hier oben war die Schneiderei», sagt Efisio Prasciolu. Er war der Letzte, der vor vier Jahren das Licht in der Feldmühle löschte. Der grosse Saal ist nun leer, nur im Eingangsbereich zur Pestalozzistrasse steht noch eine alte Maschine. Prasciolu zieht an einer Schiebetür und sagt:
«Wir müssen aber woanders anfangen, damit ihr den Zusammenhang versteht.»
Dahinter verbirgt sich ein Geflecht aus Rohren, Stahl und Ketten. «Das ist die grosse Maschine», sagt der ehemalige Mitarbeiter der Scapa. «Damit haben wir Klebebänder produziert, die in der Schneiderei zugeschnitten wurden.» 22 Meter pro Minute konnte die Maschine einst herstellen.
Efisio Prasciolu zieht an einer weiteren Schiebetür. Der Raum steht in krassem Gegensatz zu ersterem: Alles ist mit Farbe überzogen, Licht dringt durch die Dachfenster. Die Maschine in der Mitte des Raums geht in all dem Pink, Gelb und Orange förmlich unter. «Das ist die kleinere Maschine, mit der wir das Klebeband beschichtet haben», sagt Prasciolu.
Aber was ist mit dem Raum passiert? Der gebürtige Italiener sagt:
«Hier haben sich zwei Künstler ausprobiert.»
Es gibt Malereien an der Maschine, Sprayerein an den Wänden, und ein grosses Bild am Boden.
«Die Maschine hat im Dezember 1993 gebrannt. Den Alarm habe ich um 3 Uhr nachts bekommen», sagt Prasciolu. Er gehörte einst der Betriebsfeuerwehr an. Das Feuer zerstörte Teile des Dachs, auch 100 Liter Lösungsmittel verbrannten. «Wir hatten aber Glück, dass wir weiterproduzieren konnten», sagt er. Heute ist davon nichts mehr zu erkennen, nur das Dach wirkt neuer.
Es geht zurück zur grossen Maschine, durch den leeren Saal, zum Treppenhaus. Im Keller ist es kälter als draussen. Alles ist dunkel. Efisio Prasciolu holt eine Taschenlampe aus seiner Jacke. «Hier unten lagerten wir die Chemikalien», sagt er und schwenkt den Lichtkegel. «Haben wir von hier einen Notruf erhalten, mussten wir uns beeilen, damit sich keine Katastrophe ereignet.» Viel erkennen kann man nicht. Nur eine runde Tonne ist noch dort, sie reicht bis unter die Decke. Es geht um das Gebäude herum, zur hinteren Halle. «Das war der Bereich für die Logistik», erzählt Prasciolu. Ein langer Gang entlang der Pestalozzistrasse führt zu den Büros. Er sagt stolz:
«Hier war mein Arbeitsplatz.»
An der Tür steht noch immer: Efisio Prasciolu, Leiter Logistik. Mit 17 Jahren kam der Sarde nach Rorschach und arbeitete jahrzehntelang in der einst grössten Stickereifabrik der Welt. Er war auch der einzig verbliebene Mitarbeiter der Firma Scapa, der noch einen Arbeitsvertrag der ursprünglichen Firma Feldmühle hatte. Er kennt das Areal sprichwörtlich wie seine Westentasche.
Treppe rauf, rechts, links. Das Areal gleicht einem Labyrinth. Die Halle über der Schneiderei sieht mitgenommen aus. Der Boden ist wellig, an manchen Stellen haben sich Pfützen gebildet. «Hier hatten sich Hunderte von Tauben eingenistet. Die mussten wir erst mal vertreiben», sagt er. Einige kaputte Fenster wurden mit Brettern vernagelt.
Nicht unweit der Halle befindet sich das ehemalige Labor. «Hier hatten wir eine Maschine wie unten, nur im Kleinformat», sagt Prasciolu. An dieser wurden Tests für neuen Klebstoff vorgenommen. Die Regale und eine Arbeitsfläche stehen noch. Die Schubladen sind beschriftet, aber leer.Die Geschichte des Areals reicht weit zurück. 1881 kauften Jacob Loeb und Max Schönfeld das Gelände und eröffneten die Stickereifabrik Loeb & Schönfeld. 1895 wurde sie zur Feldmühle AG.
Immer wieder findet man Stühle, alte Zertifikate oder leere Regale. In einigen Räumen sind Graffiti an den Wänden. Scherben einer Wodkaflasche liegen auf dem Boden. Efisio Prasciolu sagt:
«Jugendliche versuchen immer wieder einzubrechen.»
Neue Schlösser sollen das in Zukunft erschweren. Lärm von aussen dringt kaum herein.
Doch im obersten Teil der ehemaligen Fabrik eine Überraschung: Einer der Räume ist in Gebrauch. Ein Imker aus dem Toggenburg, der nach Rorschach gezogen ist, hat dort seine Imkerei eingerichtet. Sein Bienenkasten steht auf einer der Dachterrassen. Weit hinaus darf er aber nicht. Ein Absperrband zeigt auf, wo der Weg sicher ist. Teile des Gebäudes sind einsturzgefährdet. «Derzeit wird überprüft, wie sicher Boden und Säulen noch sind», sagt Efisio Prasciolu.
«In der ganzen Fabrik finden sich daher Bohrproben.»
Wieder Treppe runter und raus zur einstigen Betriebsfeuerwehr. Auch hier: alles verlassen. Die Schränke stehen offen, Telefonhörer hängen an Kabeln herunter.
Von dort geht es zum Verwaltungstrakt wo früher Direktion, Buchhaltung und Sitzungsräume untergebracht waren. Das Gebäude ist noch gut in Stand. In einem der Räume ist ein grosser Safe in die Wand eingelassen. Er ist verziert und beschriftet. «Etwa ein Halbes Jahr vor Betriebsende hat man mich beauftragt, herauszufinden, was sich darin befindet», erzählt der Sarde.
«Wir haben gesucht und gesucht, den Schlüssel aber nicht gefunden.» Spezialisten verbrachten einen Tag damit, den Safe zu knacken. «Und wisst ihr was? Am vorletzten Tag haben wir den Schlüssel in der Buchhaltung gefunden», erzählt Prasciolu amüsiert. Aber was war in dem Safe?
«Nichts. Überhaupt nichts.»