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Es waren dramatische Tage im Sittertobel: Nachdem am Vortag der Druck im Bohrloch des Geothermie-Projektes zeitweise stark angestiegen war, erschütterte am 20. Juli 2013 ein Erdstoss die Region St.Gallen. Es war der Anfang vom Ende des Pionierprojekts.
Die Stadt St. Gallen ohne das Verbrennen fossiler Energieträger wie Erdöl, Gas oder Kohle mit Wärme versorgen. Das war die Idee des Geothermieprojektes. Es wollte heisses Wasser aus dem Untergrund der Stadt für die Wärmeversorgung nutzen. Geplant war ein Geothermiekraftwerk im Sittertobel. Das heisse Wasser für diese Anlage hätte eine Tiefenbohrung liefern sollen.
Nach mehreren Jahren Planung und Vorbereitung wurde die Bohrung am 4. März 2013 gestartet und erreichte am 22. Juni die Zieltiefe von 4450 Metern. Am 11. Juli 2013, nach einer Sicherheitspause aufgrund des Open-Air-Festivals, startete die Vorbereitung der Pumptests. Sie sollten zeigen, ob es unter dem Sittertobel genügend Wasser, vor allem genügend heisses Wasser gibt. Die Klüfte in der Tiefe wurden durch das Einpressen verdünnter Salzsäure vergrössert, damit das heisse Tiefenwasser besser zum Bohrloch fliessen konnte. Dann sollten die drei Wochen dauernden Tests folgen. Dazu kam es im Sommer 2013 allerdings nicht mehr.
Am Freitag, 19. Juli 2013, gegen Mittag, steigt der Druck im Bohrloch plötzlich an. Kurze Zeit tritt sogar ein Wasser-Gas-Gemisch aus. Es droht ein unkontrollierter Gasausbruch. Sofort wird «Verstopfungsmaterial», Wasser gemischt mit der joghurtähnlichen Bohrflüssigkeit, ins Loch gepumpt. Der Überdruck im Bohrloch beginnt sofort zu sinken. Alles scheint unter Kontrolle. Am Abend des 19. Juli werden im Umfeld des Bohrlochs schwache Erdstösse in einer Stärke von 2,0 auf der Richterskala registriert.
Vor fünf Jahren dann, am Samstag, 20. Juli 2013, 5.30 Uhr, ist in St. Gallen und Umgebung ein Erdstoss zu spüren. Den Fachleuten ist sofort klar, dass er in direktem Zusammenhang mit dem Geothermieprojekt steht. Das Beben mit einer Stärke von 3,5 auf der Richter-Skala ist schwach und verursacht nur kleine Schäden an einzelnen Liegenschaften. Es ist nicht einmal in der ganzen Stadt spürbar. Und löst trotzdem Hektik aus.
Die Verantwortlichen beraumen kurzfristig eine Medienorientierung an. Bei ihnen und auf Medienredaktionen werden unschöne Erinnerungen wach ans – technisch mit dem St. Galler Vorhaben nicht vergleichbare – Geothermieprojekt in Basel, das in einem Erdbeben mit grösseren Schäden endete. Ist das jetzt auch in St. Gallen zu befürchten? Diese Unsicherheit macht den Verantwortlichen zu schaffen.
Der Grossteil der Bevölkerung nimmt den Zwischenfall überraschend gelassen. Es gibt leise Kritik jener, die «es immer gewusst haben». Der Grundtenor ist aber, dass man das Pionierprojekt nicht voreilig aufgeben soll, weil ein Problem aufgetreten ist. Und weil «ein paar selbst ernannte Experten» auf der nationalen politischen Bühne die Geothermie bereits tot reden, wie ein Stadtparlamentarier in einer «Tagblatt»-Umfrage kritisiert.
Das grosse Beben bleibt aus. In den Tagen nach dem Erdstoss werden rund ums Bohrloch noch kleine Erdbewegungen gemessen. Schliesslich beruhigt sich der Untergrund wieder. Fachleute finden später heraus, dass der Erdstoss vom 20. Juli durch die Massnahmen gegen den Gasaustritt aus dem Bohrloch ausgelöst wurde. Weil Flüssigkeit in den Untergrund gepresst wurde, geriet eine unter Spannung stehende Gesteinsschicht ruckartig in Bewegung, was als Erdstoss wahrzunehmen war.
Das Geothermieprojekt wurde mit Rücksicht auf das gesteigerte Erdbebenrisiko und auf das Erdgas im Bohrloch modifiziert weitergeführt. Die Pumptests wurden im Oktober 2013 problemlos durchgeführt. Sie bestätigten, dass es heisses Wasser im Bohrloch hat. Sie zeigten aber auch, dass im Untergrund ein grösseres Gasvorkommen existiert.
Weitere Auswertungen der Testergebnisse ergaben 2014, dass die Menge an heissem Wasser nicht für den Betrieb eines Geothermiekraftwerks ausreichen würde. Das Gasvorkommen anderseits ist nach Meinung der Fachleute gross genug, um interessant für eine Förderung zu sein. Rechtlich und technisch wäre sie möglich, wie weitere Abklärungen der Stadt 2014 zeigten.
Aufgrund der Untersuchungsresultate wurde das Geothermieprojekt Anfang 2015 endgültig zu Grabe getragen. Im Januar bewilligte das Stadtparlament ohne Gegenstimme einen Nachtragskredit zur Abschreibung der Projektkosten. Einen Monat später entschied der Stadtrat formell, das Bohrloch im «provisorisch konservierten Zustand» zu belassen. Insgesamt hat das Pionierprojekt der Geothermie die Stadt 38 Millionen Franken gekostet. Der Betrag wurde vollständig durch Rückstellungen gedeckt.
Der Stadtrat stellt die Geothermie als «Generationenprojekt» erstmals öffentlich vor.
Olma-Sonderschau «Reise in die Tiefe».
Seismik-Messungen, die Auskunft über den Untergrund geben sollen, werden gestartet. Abschluss ist am 6. April.
Der Standort des ersten Geothermie-Kraftwerks ist klar: Es wird im Sittertobel erstellt.
Das Stimmvolk sagt mit 82,9 Prozent Ja zum Geothermie-Projekt.
Rechtsstreit um die Vergabe des Bohrauftrags. Er wird Anfang 2012 neu ausgeschrieben.
Seismische Analyse liegt vor. Das Erdbeben-Risiko ist gering, ein Restrisiko bleibt aber.
Der Aufbau des Bohrturms im Sittertobel beginnt.
«Meissel frei!»: Die Bohrarbeiten beginnen.
Bohrer wird bei 4450 Meter Tiefe angehalten. Start geophysikalischer Messungen.
Bohrloch wird angesäuert, Injektionstests starten.
Der Druck im Bohrloch steigt, es droht ein Gasaustritt.
In St. Gallen ist ein Erdstoss mit einer Stärke von 3,6 auf der Richterskala zu spüren.
Zu wenig Wasser im Bohrloch! Die Stadt verzichtet auf eine zweite Bohrung.
Das Geothermie-Projekt wird eingestellt.
Das Stadtparlament heisst einstimmig einen Nachtragskredit zur Abschreibung des Geothermie-Projekts gut.