Weil der Textilunternehmer Christian Fischbacher in den 1950er-Jahren von St.Gallen nach Mörschwil zog, konnte die Gemeinde den Steuerfuss schlagartig um 20 Prozent senken. Der Boden für den Zuzug weiterer guter Steuerzahler war damit gelegt.
Nach der Budgetpräsentation am Montagvormittag ist eines sicher: Bürgerliche Stimmen werden fordern, den Steuerfuss zu senken, damit gute Steuerzahler nicht weiterhin in die umliegenden Gemeinden abwandern. Derzeit liegt der Steuerfuss der Stadt bei 144 Prozent, jener der Gemeinde Mörschwil – der tiefste im Kanton – bei 75 Prozent. Das war nicht immer so (siehe Grafik und Kastentext).
Die Steuerschere zwischen den beiden Gemeinden öffnete sich in den 1950er-Jahren. Am Anfang dieser Entwicklung steht der Umzug eines Mannes, des Textilunternehmers Christian Fischbacher. Als er von St.Gallen nach Mörschwil zügelte, konnte die Gemeinde den Steuerfuss auf einen Schlag um 20 Prozent senken. Für Lokalhistoriker Karl Eschenmoser ist klar: «Ohne Christian Fischbacher wäre die Geschichte Mörschwils anders verlaufen.»
Dabei hatte Fischbacher keinen besonderen Bezug zu Mörschwil. Auch hatte ihm der damals frisch gebackene Gemeindammann Franz Würth nicht etwa einen Steuerdeal angeboten, wie er auf Anfrage sagt. Vielmehr zog Fischbacher nach Mörschwil, weil er dort einen Lebensstil weiterpflegen wollte, den er sich in den USA angewöhnt hatte.
Christian Fischbacher ist der vierte Christian in der Dynastie des Familienunternehmens «Christian Fischbacher», das noch heute weltweit für Bettwäsche und Heimtextilien bekannt ist. 1915 erblickt er in St.Gallen das Licht der Welt. Mit 21 Jahren tritt er ins Unternehmen der Familie ein und zwei Jahre später wandert er in die USA aus.
«Er hatte Startkapital von seinem Vater erhalten und wollte etwas Neues aufbauen», erzählt Fischbachers Sohn, Christian der Fünfte. In New York gründet Christian IV. die Fisba Fabrics. Doch als die USA 1941 nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour in den Zweiten Weltkrieg eintritt, wechselt er den Beruf: Statt als Textilverleger arbeitet er als Bauer.
«Landwirte mussten in den USA nicht in die Armee», sagt Christian V. Deshalb – und weil es schwierig war, während des Krieges Stoffe zu beschaffen – kauft Fischbacher eine Farm in New Jersey. 40 Hektaren, 28 Kühe, Maisfelder, Schweine und Hühner. «Für mich war das die schönste Zeit meines Lebens», sagt Christian Fischbacher V.
Nach dem Krieg arbeitet Christian Fischbacher IV. wieder als Textilverleger. Er zieht mit seiner Familie in die New Yorker Vorstadtsiedlung New Canaan im Staat Connecticut. Hier schlängeln sich Driveways zu den Garagen der Einfamilienhäuser. Jeder hat sein Land, seinen Garten, seine Ruhe.
1952 kehrt Fischbacher auf Geheiss seines Vaters Otto nach St.Gallen zurück und übernimmt die Leitung des Mutterhauses. Er vergrössert die Design-Abteilung, knüpft Verbindungen zur Pariser Haute Couture und gründet Tochterfirmen in Deutschland, Italien, Frankreich, Holland, England und Japan.
Wie mancher St.Galler Textilunternehmer wohnt auch Christian Fischbacher anfänglich am städtischen Rosenberg. «Aber er wollte etwas moderneres, etwas im Grünen», sagt Christian V. Deshalb kauft Fischbacher von Gallus Eugster, Eigentümer des Schlosses Watt, ein Stück Land am südlichen Rand Mörschwils.
Gleichzeitig erkauft er von den Bauern in der Nähe das Versprechen, dass diese ihre Parzellen in Zukunft nicht überbauen. So bleibt der Blick ins Grüne erhalten. Als Ende der 1950er-Jahre klar wird, dass die Autobahn nicht – wie ursprünglich geplant – mitten durch Mörschwil verlaufen soll, reicht Fischbacher das Baugesuch ein. Wenig später steht im bäuerlichen Mörschwil ein modernes Anwesen im Stil des Architekten Frank Lloyd Wright – bekannt für eine amerikanische Bauweise ohne Einflüsse vom alten Kontinent.
Am Dorfleben nimmt Christian Fischbacher allerdings kaum teil. Kontakte pflegt er vor allem in St.Gallen und in St.Moritz. Dort nimmt der begeisterte Cresta-Runner 1948 gar an den Olympischen Spielen teil. Christian Fischbacher V. sagt, sein Vater sei ein kompetitiver, aber wohlwollender Mensch gewesen. Ein kunstaffiner, fleissiger, ehrgeiziger Unternehmer.
Nachdem die erste Ehe gescheitert war, folgten vier weitere. «Mein Vater war kein Lebemann, aber charmant, gut aussehend und stets umgeben von schönen Frauen.»
Christian Fischbacher habe in den USA eine Entwicklung erlebt, die in der Schweiz damals noch in Ferne lag, sagt Lokalhistoriker Eschenmoser. Und zwar die Erschliessung der Agglomeration mit dem Auto.
Wohnen im Grünen, arbeiten in der Stadt. Diesen Lebensstil importierte Fischbacher von Conneticut nach Mörschwil. Er war einer der ersten Gutverdiener, die in der Nachkriegszeit von der Stadt in die Aussengemeinden zogen.
Lokalhistoriker Karl Eschenmoser, der an einer neuen Geschichte Mörschwils arbeitet, bezeichnet den Zuzug Christian Fischbachers als Signalzündung für die Entwicklung der Gemeinde in der Nachkriegszeit. Diese Ansicht teilt der ehemalige Gemeindepräsident Franz Würth, der 1958 – just in dem Jahr, als Fischbacher das erste Mal in Mörschwil Steuern zahlte – sein Amt angetreten hatte.
Fischbacher sei zwar nicht der wichtigste Grund, weshalb sich Mörschwil vom Bauerndorf zur finanzstarken Agglomerationsgemeinde gemausert habe. «Aber die Einnahmen gaben uns den nötigen Spielraum für die spätere Politik», sagt Würth. Der mittlerweile 91 Jahre alte ehemalige CVP-Politiker spielt auf die aktive Bodenpolitik an, die er in Mörschwil betrieben hatte.
Mit Fischbachers Zuzug war der Steuerfuss unter jenen der Stadt gesunken, was die Gemeinde für weitere Zuzüger attraktiv machte. «Das wurde zum Selbstläufer, der die Gemeinde vor Herausforderungen stellte», sagt Karl Eschenmoser. Denn die Bauern konnten ihr Land zu guten Konditionen verkaufen.
Weil sich das Auto Mitte der 1960er-Jahre als Massenverkehrsmittel etablierte, rückte Mörschwil – in Fahrzeit gemessen – näher an die Stadt und wurde als Wohnort und somit für Investoren attraktiver. «Hätte man dieser Entwicklung freien Lauf gelassen, wäre das Dorf wohl überbaut worden», sagt Eschenmoser. Doch die Gemeinde kaufte ihrerseits Land, zonte es um und verkaufte die Parzellen wieder: «Würth hat eine weitsichtige Bodenpolitik betrieben.»
Das gilt gemäss Eschenmoser auch im Hinblick auf den Bau der Autobahn. Mitte der 1950er-Jahre plante der Kanton, diese von Goldach nach St.Gallen mitten durch Mörschwil zu führen. Franz Würth habe sich gegen die geplante Trassierung gewehrt und schliesslich erreicht, dass die Autobahn direkt zwischen Meggenhus und Neudorf gebaut wurde. «Läge das Dorf an der Autobahn, wäre es heute eine industrielle Agglomeration St.Gallens», sagt Karl Eschenmoser.
Mörschwils Aufstieg verlief aber nicht ohne Störgeräusche. So wurde für den Bau der Autobahn Land zusammengelegt, wobei sich mancher Bauer benachteiligt fühlte. Auch stiess Würths Bodenpolitik in den 1960er-Jahren bei Familien auf Kritik. Sie sei zu wenig sozial ausgerichtet, lautete der Vorwurf.
Andere Gemeinden entwickelten sich anders. Gaiserwald machte den Schritt zur attraktiven Vorstadtgemeinde wesentlich später. Der Steuerfuss erreicht erst in den 1970er-Jahren städtisches Niveau. In Wittenbach bezahlen natürliche Personen seit Ende des Zweiten Weltkrieges ähnlich hohe Steuern wie in der Stadt. (al)