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Ostschweiz
St.Gallen, Gossau, Rorschach
Ein Bildungspodium der Stadtsanktgaller CVP vom Donnerstag geriet zur Konfrontation von Schulamtsleiterin Marlies Angehrn und Vertretern des Lehrerverbands. Dabei zeigte sich, dass die Positionen im Streit ums Klima an der Stadtschule stark verhärtet sind.
Es wird wohl das Geheimnis der CVP-Stadtpartei bleiben, ob sie wirklich davon ausgegangen ist, dass am Donnerstag in der Aula des Leonhard-Schulhauses nüchtern-distanziert diskutiert würde, wie glücklich die Lehrerinnen und Lehrer in St.Gallen sind. Dafür spricht das Impulsreferat des Zürcher Professors Roger Keller, der die Zusammenhänge zwischen Führung, Teamarbeit und Gesundheit von Lehrkräften sehr anschaulich beleuchtete.
Dagegen spricht die Zusammensetzung des Podiums: Wer unmittelbar nach dem medialen Rummel um die Kündigung zweier Lehrer in der Stadt St.Gallen Marlies Angehrn, die Leiterin der Dienststelle Schule und Musik (ehemals Schulamt), mit Vertretern einer «Lehrergewerkschaft» aufs gleiche Podium stellt, kann nichts Anderes als eine Chropfleerete provozieren.
Unbeabsichtigt, weil nicht bewusst, war wohl, dass mit Michael Hasler jemand moderierte, der Marlies Angehrn von Wil her sehr schätzt. Seine Fragestellung aber war alles in allem in beide Richtungen kritisch- bohrend. Ein Detail hingegen irritierte: Auf dem Podium standen mit Daniel Thommen aus Buchs und Patrick Keller aus Abtwil Vertreter des Kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (KLV). Städtische Lehrervertreter fehlten.
Die Podiumsdiskussion war von Anfang an eine Chropfleerete und Konfrontation, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Die städtischen Schulbehörden wurden nicht wie üblich von den Lehrervertretern attackiert, sondern umgekehrt griff Marlies Angehrn argumentativ an. Sie hat aufgrund der Dauerkritik aus Lehrerkreisen an ihrer Amtsführung gekündigt.
Lehrkräfte zeigten sich in städtischen Umfragen sehr zufrieden mit der Arbeitssituation, den Schulteams und ihren direkten Vorgesetzten (mit Zustimmungsraten zwischen 80 und 85 Prozent), sagte Angehrn am Podium. Das bestätigte Schulleiter Rolf Breu. Kolportiert werde von den Verbänden etwas Anderes: Nämlich dass eine «Kultur der Angst» herrsche. Oder dass die Leiterin der Dienststelle Schule und Kultur Andersdenkende «zitiere und einschüchtere».
Wie Vertreter der Lehrkräfte nur schon quantitativ auf solche Behauptungen kämen, sei ihr schleierhaft, betonte Marlies Angehrn: In fünf Jahren habe sie elf Lehrerinnen und Lehrer zum Gespräch «zitiert». Das seien Fälle gewesen, die auf dem Dienstweg über Schul- und Abteilungsleiter bei ihr gelandet seien, bei denen es um schwere Verfehlungen und drohende personalrechtliche Massnahmen gegangen sei.
Marlies Angehrn listete dann sechs konkrete Fälle von Fehlverhalten auf, die von den betreffenden Lehrkräften auch zugegeben worden waren. In diesem Punkt gab’s dann auch sofort Zustimmung von den Lehrervertretern: Schwarze Schafe seien ein Desaster für den ganzen Berufsstand. Natürlich sei es richtig, wenn man sie zur Rechenschaft ziehe. Die Frage sei dann aber schon, wie das geschehe.
Die KLV-Vertreter wiesen zur Begründung ihrer Kritik am Klima in der Stadtschule auf die überproportionale Zahl von Lehrkräften aus der Stadt hin, die eine Rechtsberatung wollten: Insgesamt habe man jährlich 200 bis 220 Fälle aus dem Kanton. Vier von zehn Fällen kämen aus der Stadt mit ihren rund 900 Lehrkräften. Die restlichen Fälle verteilten sich auf die über 5000 Lehrkräfte aus dem Rest des Kantons.
Diese Zahlen deuteten darauf hin, dass da etwas nicht so laufe, wie es sollte. Anzeichen dafür gebe es auch in Gesprächen mit Lehrpersonen aus der Stadt oder mit Schulvertretern anderer Gemeinden. Eine Folge dieser Situation ist, dass der KLV jetzt bei einer externen Stelle eine eigene Zufriedenheitsumfrage bei städtischen Lehrkräften in Auftrag geben will. Davon erhofft sich der Verband Aufschluss über die Stimmung in der Stadtsanktgaller Lehrerschaft.
In der weiteren Diskussion und auch in den Voten aus dem zahlreich aufmarschierten Publikum gab’s keine neuen harten Fakten zum St.Galler Schulstreit. Klar wurde, dass die Arbeit und auch das Durchgreifen von Marlies Angehrn in Lehrerschaft und Schulbehörden von vielen auch geschätzt wird. Sie erhielt vom Publikum, das grösstenteils einen pädagogischem Hintergrund hatte, sehr oft, teils auch sehr starken Szenenapplaus.
Da gab’s dann auch eine Lehrerin, die betonte, dass sie sich von der Schule in einer schwierigen Phase gestützt gefühlt habe. Eine Lehrerin, die nicht mehr in der Stadt arbeitet, kritisierte, dass hier Widerspruch nicht geduldet werde und dass bei Problemen mit ihr unfair umgesprungen worden sei: Sie sei vorverurteilt worden, die Unschuldsvermutung habe bei ihr nicht gegolten.
Ein Politiker zeigte sich verblüfft über die Unterschiede in der Wahrnehmung der Situation von Behörden und Verbänden. Von einer anderen Seite gab’s einen Appell an die beiden Seiten, aufeinander zuzugehen und aktiv den Dialog zu suchen. Dauerkonfrontation bringe nichts. Und dass man den Streit öffentlich austrage auch nicht, hiess es in einem weiteren Votum.
Marlies Angehrn, die aufgrund der Dauerkritik an ihrer Amtsführung bei der Stadt gekündigt hat, erhob an der Podiumsdiskussion zur Zufriedenheit städtischer Lehrkräfte vom Donnerstag schwere Vorwürfe gegen die Lehrerverbände. Weil sie Hörensagen und Propaganda verbreiteten, herrsche eine Unkultur: «Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht!»
Die Strategie, den Behörden vorzuwerfen, ein «Klima der Angst» zu schüren, tauche in den Protokollen der städtischen Lehrervertretung wortwörtlich bereits 1995 und 2012 auf. Man habe alte Argumente reaktiviert und einfach mit ihrem Namen versehen, kritisierte Marlies Angehrn: «Das Klima der Angst war schon in den Köpfen. Ich hatte keine Chance.»
Damit, so betonte Marlies Angehrn, wolle sie keine Schuldzuweisung vornehmen. Es sei aber wichtig, den Mechanismus publik und bewusst zu machen, um ihn durchbrechen zu können. (vre)