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Auf der Kreuzbleiche haben Fahrende ihr temporäres Quartier aufgeschlagen. Drei Wochen lang bieten sie ihr Handwerk an, und in einer kleinen Foto-Ausstellung zeigen sie Interessierten ihre Lebensweise.
Zwei Teenager spielen auf der Wiese Fussball. Wäsche hängt an einem Ständer im Wind, vor einem Wohnwagen flattert ein Schweizer Fähnchen. Im östlichen Zipfel der Kreuzbleiche, zwischen Turn- und Reithalle, haben Fahrende für drei Wochen ihr Quartier aufgeschlagen. Am Dienstag kamen die ersten Wohnwagen an, bis Sonntag dürften etwa 15 Wagen auf der Wiese stehen.
Im rollenden Heim von Maria Mehr läuft eine Comicserie im Fernsehen. Hündchen Chiara äugt neugierig durch die Tür nach draussen. Mehr begrüsst den Besucher herzlich, so wie sie es mit allen tut, die bei ihr vorbeischauen. Die Fahrenden sind auf Laufkundschaft angewiesen und bieten allen Interessierten ihre Dienstleistungen an. Messer schleifen, Schirme flicken, Stühle flechten, Häuser reinigen: All das und mehr können die Fahrenden erledigen. «So ein öffentlicher Platz ist gut für uns.»
Maria Mehr ist Präsidentin des fahrenden Zigeuner-Kulturzentrums. 1985 hat sie es mit ihrem Mann gegründet. Seither tourt sie im Sommer mit einem Festzelt durch die Deutschschweiz, um den Leuten die Lebensweise der Fahrenden näher zu bringen. Der grösste Anlass im Jahr sind jeweils die «Zigeunerkulturtage» in Zürich, mit Konzerten, Diskussionen und Filmvorführungen. Nach St.Gallen haben die Fahrenden nur ein kleines Zelt mit einer Foto-Ausstellung gebracht.
Das Kulturzentrum hilft den Fahrenden dabei, Bewilligungen für Standplätze zu bekommen. «Ich bin zum ersten Mal seit 24 Jahren wieder in St.Gallen», sagt Mehr, die ihr ganzes Leben im Wohnwagen verbracht hat. «Es ist schön, dass wir diesen Platz bekommen haben.» Die 75-Jährige erzählt von ihrem letzten Besuch, als noch die Pferde dabei waren. «Schon letztes Mal waren wir übrigens am Open-Air-Wochenende hier», sagt Mehr. Sie erinnert sich noch genau an den Hauptbahnhof, der am Sonntagabend voller Schlamm war.
Den Winter verbringt Maria Mehr im zürcherischen Adliswil, im Sommer ist sie unterwegs. «Etwa zwölf Familien reisen jeweils mit mir mit.» Dabei bilden die Fahrenden auf den Standplätzen nur lose Gemeinschaften. «Es ist ein Kommen und Gehen. Ich kann ja niemanden anbinden!», sagt Mehr und lacht.
Im grün-weiss gestreiften Festzelt auf der Kreuzbleiche haben die Fahrenden eine kleine Foto-Ausstellung eingerichtet. Es handelt sich um das fahrende Zigeuner-Kulturzentrum, das von Frühling bis Herbst an verschiedenen Plätzen in der Schweiz Halt macht. Maria Mehr, die Präsidentin des Zentrums, zeigt im Zelt Fotos aus dem Alltag von Fahrenden, von einst und von heute. Der Standplatz ist öffentlich zugänglich, alle Interessierten sind willkommen, und Maria Mehr erzählt auf Wunsch gerne die Geschichten hinter den Fotografien.
Auf der Kreuzbleiche sind derzeit Familien aus der West- und Deutschschweiz zu Gast, auch einige Roma-Familien aus Deutschland. «Ganz anständige Leute», betont Mehr. Überhaupt wolle sie mit ihrem Zigeuner-Kulturzentrum vor allem Vorurteile gegenüber Fahrenden abbauen. Sie zeigt auf ein Schwarz-Weiss-Foto in der Ausstellung. Der Grossvater ihres Mannes ist darauf zu sehen, wie er hinter einer alten Schleifmaschine posiert. «Wir pflegen ein altes Handwerk», betont Mehr.
Mit dem politisch unkorrekten Begriff «Zigeuner» hat Mehr keine Berührungsängste. Für sie ist er Teil der jenischen Kultur. «Sollen wir denn all die schönen Zigeunerlieder nicht mehr singen?» Der Begriff «Fahrende» sei mehrdeutig, und den Ausdruck «Jenische» würden nicht alle verstehen. Mehr sagt es lieber deutsch und deutlich und stolz: «Ich bin eine Zigeunerfrau vom Stamm der Jenischen.»