ZU GAST: Der Brückenbauer aus Aleppo

Der syrische Autor Hamed Abboud liest heute Abend im Solidaritätshaus. Seine Erzählungen berichten von Flucht und Ankunft, Angst und Hoffnung. Der Schriftsteller will damit vor allem eines: Vorurteile abbauen.

Luca Ghiselli
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Der syrische Autor Hamed Abboud ist 2012 aus Aleppo geflüchtet und lebt heute in Österreich. (Bild: PD/Nina Oberleitner)

Der syrische Autor Hamed Abboud ist 2012 aus Aleppo geflüchtet und lebt heute in Österreich. (Bild: PD/Nina Oberleitner)

Luca Ghiselli

luca.ghiselli@tagblatt.ch

Es hätte alles anders kommen können. Ende 2012 flieht Hamed Abboud aus der Universitätsstadt Aleppo – dem Epizentrum des syrischen Bürgerkriegs. Fast zwei Jahre dauert seine Flucht: Über Ägypten, Dubai und die Türkei gelangt der Schriftsteller schliesslich zwei Jahre später ins österreichische Burgenland. Heute ist er ein gefeierter Autor, sein 2017 erschienenes Buch «Der Tod backt einen Geburtstagskuchen» wurde für internationale Literaturpreise nominiert. Seine Erzählungen und Gedichte handeln von der Flucht; vom Gehen, vom Ankommen und allem, was dazwischen liegt. «Ich hatte viel Glück», sagt Abboud, der in der syrischen Grossstadt Deir Ezzor aufgewachsen ist, am Telefon.

Der 30-Jährige hält von Wien bis Bremen Lesungen im ganzen deutschsprachigen Raum. Heute Abend kommt er zum ersten Mal nach St. Gallen und liest im Solidaritätshaus. Seine Erzählungen und Gedichte trägt Abboud in Arabisch vor, die Journalistin Renate Metzger liest die deutschen Übersetzungen. «Ich möchte mit meinen Lesungen auch Stereotypen, die man gemeinhin mit der arabischen Sprache verbindet, abbauen», sagt Abboud. Diese werde nämlich oft als aggressiv oder forsch charakterisiert. «Indem ich die poetische Seite in einem literarischen Rahmen zeige, will ich das Sanfte des Arabischen betonen.»

Er kennt den Landeshauptmann

Über 50 Lesungen hat Hamed Abboud im vergangenen Jahr gehalten. Und keine ist wie die andere: Seine Texte reflektierten nicht nur ihn, sondern auch das Publikum, sagt der Autor. So verändere sich der Text mit jeder Lesung und jeder Reaktion der Zuhörer. «Der Tod backt einen Geburtstagskuchen» besteht aus 15 kurzen, autobiografisch geprägten Geschichten und einem Gedicht. Sie handeln von Krieg und Flucht, aber auch vom Ankommen in der neuen Heimat des Autors, dem Burgenland. So heisst es in «Was wurde aus den Zugvögeln?»: «Ich bin kein Flüchtling im Burgenland. Und selbst wenn ich es wäre – denn so steht es auf dem provisorischen grünen Blatt Papier, das ich gleich nach meiner Ankunft hier erhalten habe –, fühle ich mich nicht als ein solcher, denn ich kenne den Landeshauptmann.»

Abbouds Texte sind sarkastisch, lustig und poetisch. Sie gehen mit dem schwierigen Schicksal der Flucht mit einem Augenzwinkern um. «Menschen lachen auch während schwierigen Zeiten», sagt Abboud. Humor sei eine sinnvolle Art, mit Krisen umzugehen. Und er helfe, Ängste auf beiden Seiten abzubauen. Der Autor sieht sich dabei auch als Brückenbauer, der sowohl die arabische, als auch die deutschsprachige Welt mit seinen Texten erreichen will. Und das gelingt, sagt Abboud. Es komme zwar nur wenig syrisches Publikum an die Lesungen. «Das liegt vielleicht aber auch daran, dass für viele Geflüchtete das Erlebte noch zu frisch ist, als dass sie damit in literarischer Form konfrontiert werden wollen.»

Trotz langer Lesetour schreibt Hamed Abboud auch fleissig an neuem Material. «Für mein aktuelles Buch habe ich fünf Jahre gebraucht», sagt der Autor. Und nun habe er innert eines Jahres sein nächstes geschrieben. «Das Leben ist voller Überraschungen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht.» Auch die Texte seiner nächsten Publikation sind der persönlichen Geschichte des Autors gewidmet. «Darin thematisiere ich vor allem die Unterschiede zwischen Syrien und Österreich», verrät er.

Der Krieg als Labyrinth

Nicht alle von Abbouds Texten sind sarkastisch oder gar erheiternd. So schreibt er in «Meine Kinder und ich warten auf ihre Mutter»: «Wir möchten wissen, wie wir aus diesem Labyrinth als Sieger herausfinden. Wir hielten viel von der Welt, doch die Welt hat das nicht geschätzt. Und liess sich vom schwarzen Loch, dem Krieg, verschlingen.» Die Situation in Syrien habe sich angefühlt wie ein Labyrinth, sagt Abboud auch heute. Und es gebe viele, denen es auch heute noch so gehe; die auf ihre Liebsten warten und sie nicht finden. Gerade weil alles hätte anders kommen können, ist Hamed Abboud glücklich. Glücklich darüber, das tun zu können, was er mag – und erfolgreich damit zu sein. «Die Lesungen sind für mich auch eine grosse Motivation, noch besser Deutsch zu lernen», sagt er. Anfangs habe er die Fragen aus dem Publikum auf Englisch beantwortet, mittlerweile geht es auch auf Deutsch. Er spricht es fliessend.

In St. Gallen war Abboud noch nie. «Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Es waren so viele Städte, die ich im Rahmen meiner Lesungen bereisen durfte», sagt der Autor und lacht. Sein Wunsch? «Dass in Syrien wieder ein normales Leben möglich ist. Und dass alle ihre Liebsten finden und mit ihnen glücklich sein können.»

Hinweis Heute Mo, 19 Uhr: Lesung im Solidaritätshaus St. Gallen