Witwen mit Witz

GOSSAU. Sie haben niemanden, der ihnen «drischwätzt», aber auch niemanden, der am Abend auf sie wartet. Drei Witwen erzählen vom Alleinsein, Selbstdisziplin und dem Neustart ins Leben. Mit Humor, aber ohne Hemmungen.

Noemi Heule
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Julia Brändle. (Bild: Hanspeter Schiess)

Julia Brändle. (Bild: Hanspeter Schiess)

Es ist der Verlust, der sie zusammenführte, und der Humor, der vielen von ihnen gemeinsam ist. Einmal im Jahr lädt die Frauengemeinschaft Andreas Witwen und Alleinstehende zum gemeinsamen Zmorge ein. So manche Frau tritt ihrem Schicksal mit einem Lachen entgegen. Auch wenn sich dahinter Leid verbirgt.

Fremd im eigenen Daheim

Dreimal sah Julia Brändle ihren späteren Ehemann, bevor sie ihn mit Anfang Zwanzig zum Mann nahm. Nach 52 Jahren Ehe wachte er eines morgens nicht mehr auf. «Ein Schock» sei der plötzliche Tod gewesen, sagt die 79-Jährige. Erst als sie nach zwei Jahren in eine neue Wohnung umzog, sei sie sich dessen wirklich bewusst geworden. «Im gemeinsamen Zuhause blieb mein Mann stets präsent», sagt sie.

Dass auch die neue Wohnung in der Ostschweiz liegt, war nicht selbstverständlich. «Als Fremde» sei sie hierher gekommen, sagt sie in breitem Luzerner Dialekt. Der Start in die Ehe fiel der Bauerntochter nicht leicht. «Moderne Frauen wären wohl schon ein paar Mal geschieden», sagt die Mutter von acht Kindern.

Heute hat sie in Gossau eine Heimat gefunden. Und diverse Strategien gegen die Einsamkeit: An den Wochenenden kümmert sie sich um psychisch Angeschlagene. Unter der Woche sorgt ihr grösstes Hobby, das Jassen, für Abwechslung. Einsam sei sie nicht mehr, aber ab und an allein. Das sei aber mittlerweile kein Problem, dann lese sie. Ihre Augen funkeln hinter den Brillengläsern, als sie flüstert: Kein kitschiger Schunken, sondern ein Krimi müsse es sein.

Hedy Thoma (Bild: Hanspeter Schiess)

Hedy Thoma (Bild: Hanspeter Schiess)

«Tue nöd blöd!»

Allein sein. Das war auch für Hedy Thoma schwierig. «Früher ging man stets zu zweit – der Mann voraus», sagt die 72-Jährige. Zusammen führte das Ehepaar zeitweise ein Geschäft in Gossau. Als ihr Mann von einem Tag auf den anderen starb, plagte sie das Alleinsein. Dass am Abend eine leere Wohnung wartete, niemand da war für einen Schwatz. Die damals 53-Jährige stürzte sich in die Arbeit im Altersheim, suchte Ablenkung. «Tue nöd blöd!», sagte sie sich, raffte sich auf, funktionierte.

Allein ist die engagierte Seniorin heute selten. Oft begleitet sie eine ehemalige Arbeitskollegin, ebenfalls Witwe. Die beiden kennen sich seit 40 Jahren und sind sich mittlerweile Familienersatz. Da ihre eigenen Kinder und Enkel ausserhalb wohnen, kümmert sich Thoma um die Grosskinder der Freundin, «als wären es meine eigenen». Hedy Thoma versucht, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen. Immerhin, in ihrem Leben gebe es niemanden mehr, der ihr «drischwätzt», sagt sie, und ein Lachen kräuselt ihre Wangen.

Auch Alice Bischof nimmt ihr Schicksal mit Humor. Scheinbar. «Ich musste mir mehrmals den Vorwurf anhören, ich sei eine <lustige Witwe>», sagt die 73-Jährige. Dabei verberge sich hinter der Heiterkeit auch Selbstschutz. Auch 13 Jahre nach dem Tod ihres Mannes hole sie das Schicksal manchmal ein. Trotzdem: Mit einem «Lätsch» umherzulaufen sei das schlimmste, was man tun könne. «Die Leute kommen eher auf einen zu, wenn man eine gute Miene zum traurigen Spiel macht.» sagt sie. Am Anfang habe das Umfeld noch Verständnis, wenn man sich zurückzieht. «Irgendwann aber klingelt das Telefon nicht mehr.»

Alice Bischof (Bild: Hanspeter Schiess)

Alice Bischof (Bild: Hanspeter Schiess)

Freundeskreis fängt auf

Eine «lustige Witwe» ist Alice Bischof also keinesfalls, lebenslustig aber allemal. Zusammen mit ihrem Mann erkundete sie einst die Welt; heute bereist sie zusammen mit Freundinnen Europa. Stets kontaktfreudig, baute sie sich einen grossen Freundeskreis auf. «Dieses Umfeld hat mich nach dem Tod meine Mannes aufgefangen», sagt sie.

Als er nach langer Krankheit starb, stand die Schwimmlehrerin bereits nach wenigen Tagen wieder im Hallenbad. Bischof stimmt ihren Vorrednerinnen zu. Auch wenn es zeitweise schwer falle: Sich aufraffen und rausgehen sei das einzige Rezept gegen die Traurigkeit.

Legende (Bilder: Hanspeter Schiess)

Legende (Bilder: Hanspeter Schiess)

Legende (Bild:)

Legende (Bild:)

Julia Brändle, Hedy Thoma und Alice Bischof (von links) stehen seit ihre Männer verstorben sind auf eigenen Füssen. (Bilder: Hanspeter Schiess)

Julia Brändle, Hedy Thoma und Alice Bischof (von links) stehen seit ihre Männer verstorben sind auf eigenen Füssen. (Bilder: Hanspeter Schiess)