Mit dem Bundesverwaltungsgericht zügeln im Sommer bis zu 400 Angestellte nach St. Gallen. Etwa ein Drittel von ihnen wird wochenweise pendeln, der Rest dauerhaft hier wohnen. Das ruft bereits Immobilienhändler auf den Plan.
Joanne Siegenthaler hat einen ziemlich charmanten französischen Akzent. «Natürlich freue ich mich auf den Umzug nach St. Gallen», sagt die Sprecherin des Bundesverwaltungsgerichts in grammatikalisch perfektem Deutsch. Französische und italienische Akzente und Berndeutsch wird man ab nächstem Sommer in St. Gallen öfter hören: Das Bundesverwaltungsgericht zügelt im Juni 2012 – und nebst Bundesordnern und Schreibtischen kommen vor allem neue Menschen in die Stadt: 75 Richter und rund 320 Angestellte arbeiten derzeit an den Standorten Bern und Zollikofen. «Die meisten werden mitkommen», sagt Siegenthaler. Daneben werde auch in der Ostschweiz laufend Personal rekrutiert.
Ein grosser Teil des jetzigen Personals wohnt in Bern und Umgebung sowie in der Romandie. Sie werden ab Juni 2012 ihren Lebensmittelpunkt in die Ostschweiz verpflanzen müssen. Aber viele machen diesen Schritt nicht endgültig: «Wir schätzen, dass etwa ein Drittel der Angestellten zu Wochenaufenthaltern wird», sagt Siegenthaler. Sie arbeiten also hier und fahren am Wochenende nach Hause. Doch zumindest unter der Woche werden sie in St. Gallen und der Region wohnen.
Einige, die hierbleiben, werden ihren Arbeitsplatz auch am Wochenende direkt vor der Aussicht haben: In den zehn «Stadtvillen» mit insgesamt 129 Wohnungen an der Furglerstrasse haben bisher sieben Angestellte des Bundesverwaltungsgerichts einen Mietvertrag abgeschlossen. Die Wohnhäuser stehen nur wenige Meter hinter dem massigen Gerichtsgebäude. Etwa die Hälfte dieser Mieter sei «sesshaft», die andere Hälfte Pendler, schätzt Philipp Zünd, Leiter Liegenschaften beim kantonalen Amt für Vermögensverwaltung. Sieben von 400 – doch wohin zieht es den Rest? Erste Ansprechperson für zügelnde Bundesverwaltungsgerichtler ist Jürg Rohrer von der kantonalen Standortförderung. Er betreut eine Infostelle, wo Stadt und Kanton St. Gallen sowie die beiden Appenzell und der Thurgau gemeinsam für ihre Vorzüge werben und Informationen anbieten. «Bis jetzt gab es wenig Anfragen. Das wird aber in den nächsten Monaten sicher zunehmen», sagt er.
Überraschend viele Anfragen erhält Rohrer dafür laufend aus der Region: von Leuten, die ihm Immobilien für die Neuzuzüger anbieten. «Einige dachten, ich würde ihnen direkt einen Käufer für ihr Haus vermitteln. Ich verweise sie dann auf die öffentlichen Immobilienplattformen», sagt Rohrer. Er glaubt, dass sowieso die wenigsten Zuzüger ein Haus oder eine Wohnung kaufen: «Viele wollen mobil bleiben und die Situation in St. Gallen zuerst abtasten.» Besonders die Wochenaufenthalter suchten kleine Wohnungen in der Nähe des neuen Gerichts.
Auf veränderte Wohnbedürfnisse in der Umgebung reagieren hiesige Bauherren: Im angrenzenden Lachen-Quartier sind mehrere grössere Wohnhäuser im Bau oder geplant (vergleiche Tagblatt vom 20. September). Darin finden sich auffallend oft Studios oder kleinere Wohnungen.
Rohrer und seine Mitarbeiter umwerben die Neuzuzüger aus dem Bernbiet und der Romandie auch persönlich: An einem Infoanlass im September haben sich über 120 Personen an Ort über St. Gallen und die Region erkundigt. «Die meisten Fragen drehten sich um Steuern, Schulen und die Wohnungssuche», sagt Rohrer.
Daneben betreiben die Standortförderer eine Website extra für die Bundesverwaltungsgerichtler. Diese versucht, mit bekannten Ostschweizer Vorzügen zu punkten, und erwähnt schon auf der Frontseite Bodensee und Säntis. Aber auch handfeste Angebote findet man: Verlinkungen zu «tollen Wohnliegenschaften in der Nähe des Bundesverwaltungsgerichts». Eine 2-Millionen-Villa in Rotmonten dürfte für einen Bundesrichter passen, Neubauwohnungen bei der Zweibruggenmühle für tiefer rangierte Angestellte. Daneben präsentieren sich fremdsprachige Organisationen wie die Alliance Française de Saint-Gall, die den Neuzuzügern die Ankunft erleichtern sollen. Und sie ermuntern, ihren Beitrag zum Stadtleben zu leisten. «Die neuen Bewohner werden St. Gallen bereichern – kulturell, sportlich, menschlich», sagt Rohrer.