Die Gemeinderäte in der Region Rorschach sind nach wie vor Männerbastionen. Bei 23 Prozent liegt der Frauenanteil im Durchschnitt. Wieso? Vier Politikerinnen über Hürden, veraltete Rollenbilder und die Chance, etwas zu bewegen.
Linda Müntener
«Kann ich das überhaupt?» Als sich Sandra Bischof-Cavelty vor fünf Jahren überlegte, für den Thaler Gemeinderat zu kandidieren, kamen plötzlich Selbstzweifel auf. Zweifel an ihren Fähigkeiten und an ihrer Eignung für das Mandat. «So mancher Mann hätte da vielleicht schneller zugesagt», sagt sie heute und schmunzelt. Die Parteilose warf ihre Zweifel über Bord, wurde gewählt und im vergangenen Herbst mit dem besten Wahlergebnis bestätigt. Damit sitzt sie nun die zweite Amtsdauer im Rat. Eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte. Neben ihr gehören zwei weitere Frauen dem Gremium an. Damit hat Thal einen Frauenanteil von 40 Prozent – eine Ausnahme.
Ein Blick auf die Sitzverteilung am heutigen internationalen Tag der Frau zeigt: Das Geschlechterverhältnis in den Gemeinderäten der Region ist alles andere als ausgeglichen. Der Frauenanteil liegt im Durchschnitt bei 23 Prozent. In den meisten Gremien sitzt lediglich eine Frau (siehe Grafik). Der Rorschacher Stadtrat war bis zu den vergangenen Gesamterneuerungswahlen gar jahrelang ein reiner Männerzirkel. Gemeindepräsidentinnen gibt es in der Region keine, in der ganzen Ostschweiz lediglich sieben.
Für Jacqueline Schneider eine ernüchternde Bilanz. Sie sass neun Jahre im Goldacher Gemeinderat. Heute vertritt sie die SP im Kantonsrat und ist Geschäftsführerin der Frauenzentrale in St. Gallen. Deren Ziel ist es, die Position der Frau in Familie, Beruf und Politik zu stärken. Dazu führt die Frauenzentrale Veranstaltungen durch und bietet Beratungen an. «Frauen überlegen sich zwei- oder dreimal, obAABB22sie kandidieren sollen», sagt Schneider. Viele fühlten sich verantwortlich für Haushalt und Kinderbetreuung und steckten deshalb selber zurück. Männer hingegen machten sich diese Überlegungen selten. «Das stört mich.» Die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik sei aus Zeitgründen ein «Killer-Kriterium», sagt Schneider. Sandra Bischof-Cavelty bezeichnet sie als «Hemmschuh». «Für Frauen ist es oft schwieriger, Familie, Job und Amt unter einen Hut zu bringen. Sie brauchen ein gutes Umfeld, damit sie sich die Zeit für Termine freischaufeln können.»
Beide wünschen sich mehr Frauen in der Lokalpolitik. Politisieren diese denn anders? «Schwierig zu beantworten», sagt Regula Hürlimann. Die CVP-Politikerin wurde im Herbst als zweite Frau in den Rorschacherberger Gemeinderat gewählt. «Frauen haben einen anderen gesellschaftlichen Hintergrund als Männer und übernehmen andere Rollen», sagt sie. «Diese Aufgaben und Erfahrungen bringen eine andere Sichtweise, durch die politische Diskussionen und Entscheide bereichert und verbessert werden.» Gemischte Teams arbeiten lösungsorientierter und ausgeglichener. Dieser Meinung ist auch Jacqueline Schneider: «Frauen sind weniger auf Machtkämpfe aus», sagt sie. Dies verleihe dem Rat eine andere Dynamik. Auch die Schwerpunkte würden anders gesetzt. «Themen wie beispielsweise Kinderbetreuung finden Männer nicht sexy.» Letztlich sei ohne Frauen ein gewichtiger Teil der Bevölkerung nicht vertreten.
Einen schweren Stand haben Politikerinnen in Tübach. Die parteilose Birgit Koster Schöb ist die einzige Frau im Gremium – und erst die dritte Gemeinderätin überhaupt. Mehr als eine Frau war im Tübacher Rat nie vertreten. «Dies hängt wohl mit dem bürgerlich geprägten Denken im Dorf zusammen», sagt Birgit Koster Schöb. An politikinteressierten, engagierten Tübacherinnen mangelt es jedenfalls nicht. Bei den vergangenen Gesamterneuerungswahlen kandidierten zwei Frauen und ein Mann für einen vakanten Sitz. Auch zwei Jahre zuvor stellte sich nebst einem Mann eine Frau zur Wahl. In beiden Fällen wurde der Mann klar gewählt. Birgit Koster Schöb bedauert das. «Die Blickwinkel wären vielseitiger, hätten wir mehr Frauen im Rat», sagt sie und meint damit nicht nur die «klassischen Frauenthemen». «Frauen wird in der Politik oft einfach der Sozialbereich zugewiesen. Dabei können wir mehr.» Hier müsste ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden – auch in den Parteien.
Um Frauen zu portieren, sind aber nicht nur die politischen Parteien in der Pflicht. «Es gibt zahlreiche engagierte Frauenorganisationen wie zum Beispiel die kirchlichen Frauenbünde, Vereine oder Berufsverbände», sagt Jacqueline Schneider. «Sie verfügen über ein grosses Netzwerk und kennen geeignete Kandidatinnen.»
Der Weg zu einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis in den Gemeinderäten scheint nochAABB22lang. Eine Quotenregelung würde ihn verkürzen. Jacqueline Schneider spricht sich aufgrund ihrer gemachten Erfahrungen mittlerweile für eine Frauenquote aus, «denn ohne schaffen wir es nicht.» Birgit Koster Schöb hält eine solche für nicht durchsetzbar. Sandra Bischof-Cavelty lehnt sie klar ab. «Auf Biegen und Brechen Frauen zu verpflichten, führt nicht zum Ziel. Es geht in erster Linie um die Person, die sich engagiert», sagt sie. Regula Hürlimann sieht das genauso: «Es braucht keine Quotenregelung, sondern die bestqualifizierten Kandidaten. Frauen, die bereit sind, sich zu engagieren, sollen ermutigt und unterstützt werden, ihre Qualifikationen einzubringen.»