Was meinen der Velokurier, die Ambulanzfahrerin und der Stadtpolizist zur aktuellen Verkehrslage in der Stadt? Eine Umfrage an der Strassenfront, kurz vor der Abstimmung über die Mobilitäts-Initiative.
Nik Roth pendelt jeden Tag mit dem Auto von St.Gallen in die Zürcher Agglomeration. Auf die Vorzüge eines eigenen Autos will er nicht verzichten. "Man ist flexibler, schneller und muss nicht warten." Da ein Arbeitskollege von ihm ebenfalls in St.Gallen wohnt, pendeln die beiden als Fahrgemeinschaft und wechseln sich am Steuer ab. Auf die Frage, ob St.Gallen ein Stauproblem habe, winkt er ab. "Verglichen mit Luzern oder Zürich ist das hier noch gar nichts." Wenn es mal einen Unfall gebe, könne es sein, dass eine Fahrt einmal länger dauere. In und um Zürich jedoch sei Stau garantiert – auch ohne Unfall.
Ob er gerne in St.Gallen Auto fahre? "Es stört mich jedenfalls nicht." Roth hat nicht den Eindruck, dass eine Verkehrsgruppe bevorzugt werde. "Wenn ich im Auto bin, denke ich, Fussgänger und Velofahrer werden bevorzugt." Wenn er aber zu Fuss unterwegs sei, denke er umgekehrt. "Ich stelle dann zum Beispiel fest, dass bei Schnee auf der Strasse nur die Autospuren geräumt werden. Trottoirs und Velowege allerdings nicht." (rsp)
Morena Barra pendelt für Aufträge und fürs Studium regelmässig nach Zürich, Winterthur und Romanshorn. Die Videojournalistin ist meist im Zug unterwegs. Am öffentlichen Verkehr schätzt sie besonders die Pünktlichkeit. "Ist man mit dem Auto unterwegs, können Stau oder Unfälle auf der Strecke die Reisezeit verlängern", sagt Barra. "Ausserdem ist man mit dem Zug nie auf Parkplatzsuche."
Mit der Anbindung von St.Gallen an andere Städte ist die 27-Jährige zufrieden. "Wenn ich in Stosszeiten unterwegs bin, ist es aber schwierig, einen Sitzplatz zu finden." Auch die Stadtbusse seien häufig überfüllt. Mühsam fand sie die Bauarbeiten am St.Galler Hauptbahnhof. Die geschlossene Unterführung beim Rathaus und die verschobenen Bushaltestellen hätten ihren Arbeitsweg verlängert. "Zum Glück hat sich das mittlerweile normalisiert." Wie sie über die Mobilitätsinitiative abstimmen will, weiss Morena Barra noch nicht. "Grundsätzlich bin ich mit der heutigen Situation zufrieden. Es braucht nicht mehr Autos in der Stadt." (lw)
Ellen Tedaldi bewegt sich vorwiegend zu Fuss durch die Stadt. "Ich habe nie ein Auto besessen." Auch den Fahrausweis hat sie nie gemacht; da sie sehbehindert ist, darf sie weder Auto noch Motorrad fahren. Doch Fussgängerin ist die 51-Jährige nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung. Im Zweifelsfall spaziert sie nicht nur bis zur nächsten Bushaltestelle, sondern gleich den ganzen Weg. Das habe Vorteile: "Wenn man zu Fuss geht, lernt man die Leute im Quartier kennen." Anders als im Bus, wo viele nur auf ihren Handybildschirm starren würden. Mit den Quartierbewohnern ins Gespräch zu kommen, ist Tedaldi wichtig, auch weil sie im Vorstand des Quartiervereins Südost aktiv ist.
Als Fussgängerin fühlt sie sich in der Stadt nicht benachteiligt. Allerdings: "Einige Grünphasen könnten noch länger sein." Gerade wenn man mit älteren Leuten unterwegs sei, komme man an manchen Stellen innerhalb einer Phase kaum über die Strasse. Tedaldi spaziert weiterhin aus Überzeugung oder nimmt "das grosse Auto mit Chauffeur": den Bus. (rbe)
In einer Tempo-30-Zone im Quartier wird immer wieder zu schnell gefahren? Ein Stopsignal wird ständig missachtet? In solchen Fällen kommt René Etienne zum Einsatz. Der Leiter des Fachdienstes Verkehr der Stadtpolizei hat alle Fäden in der Hand, was Konfliktsituationen betrifft. Aufgrund der Reklamationen, die er bekommt, legt er fest, worauf die Polizei bei ihren Kontrollen achtet. Ziel sei, die Situation zu verbessern, nicht Bussen zu verteilen. "Das ist erst das letzte Mittel."
In der Stadt bewegt sich der 45-Jährige meist auf zwei Rädern. "Wenn immer möglich mit dem Velo, im Sommer wie im Winter." Oder er pendelt mit dem Roller von seinem Wohnort in die Stadt. Trotzdem kann er den Stau zur Stosszeit nicht immer umgehen. Das rücksichtslose Verhalten im Stau sowie das Blockieren von Verzweigungen sind es auch, was ihn am Stadtverkehr am meisten ärgert. "Für den Verkehrsfluss ist es besser, wenn man sich an die Regeln hält." Bei Rot über die Ampel fahren, sich in eine Kolonne zwängen – das führe nur zu mehr Stau. (rbe)
Einfacher sei es auf den Strassen St.Gallens nicht geworden, sagt Fahrlehrerin Ruth Scherrer. "Im Gegenteil!" Der Verkehr habe zugenommen. Seit 13 Jahren lotst Scherrer Fahrschüler durch das Gewimmel im Stadtverkehr. "Gerade in den Stosszeiten ist die Teilnahme am Verkehr sehr anspruchsvoll für die Fahrschüler", sagt die 60-Jährige. Gewisse Knotenpunkte wie die St.Leonhardsbrücke und die Kreuzbleiche versucht sie dann, zu vermeiden.
Grundsätzlich findet Scherrer nicht, dass derzeit eine Verkehrsgruppe benachteiligt oder bevorzugt werde. Wie sie über die Mobilitäts-Initiative abstimmen soll, weiss sie daher noch nicht. "Grundsätzlich gilt im Verkehr: Rücksicht auf die Schwächeren. Das versuche ich meinen Schülern auch immer beizubringen", sagt sie. Sie würde es begrüssen, wenn es für Velofahrer mehr eigene Wege gäbe. Das Pilotprojekt an der Lindenstrasse, die zur Velostrasse umfunktioniert worden ist, sei eine sehr gute Lösung. Auch die Vadianstrasse sei für Velofahrer eine gute Alternative. "Solche sollte es mehr geben in der Stadt." (rsp)
Er glaube nicht, dass irgendjemand beim Velokurier Fliege für die Mobilitäts-Initiative stimme, sagt Michael Schläpfer. Seit 2002 arbeitet er beim Kurierdienst und radelt regelmässig durch die Stadt. "Für die Autofahrer wurde in den letzten Jahren genug gemacht." Zudem käme ihnen die Initiative gar nicht zugute. "Wenn sie Spass an mehr Stau haben, sollen sie dafür stimmen." Der Stau betreffe Velokuriere ohnehin nur gering, da sie auf Fahrradwegen unterwegs seien. Gerade da könnte aber mehr für die Velofahrer unternommen werden, sagt der 40-Jährige. "Bis im Winter die Velostreifen freigeräumt sind, dauert es immer ewig."
Zu kämpfen haben die flinken Kuriere auch mit Lichtsignalen. Oft warte man gerade als Fahrradfahrer zu lange, sagt Schläpfer. Das Argument, dass das Lädelisterben mit der Parkplatzsituation zu tun habe, hält er für reine Panikmache. Zudem: "Man könnte doch ganz einfach mit dem Velo vor die Läden fahren." Der Langsamverkehr sollte in der Innenstadt klar bevorzugt werden, ist Schläpfer überzeugt. "Wenn der ÖV im Stau steckt, ist das ärgerlich." (maf)
Mit seinem Spruch "I lieben dir" ist Besnik Ziba längst zum Kult-Taxifahrer der Stadt geworden. Seit mehr als zehn Jahren ist der 42-jährige auf St.Galler Strassen unterwegs. Er habe sich noch nicht mit der Mobilitäts-Initiative beschäftigt, sagt er. Eine pointierte Meinung hat er trotzdem: "Ich würde die ganze Innenstadt autofrei machen." "Die Stadt ist so klein, da kann man auch zu Fuss gehen." Der Autoverkehr habe in den letzten Jahren stark zugenommen, was er als Taxifahrer zu spüren bekomme. "Man sollte deshalb Bewilligungen für Autofahrer ausstellen, die in der Innenstadt fahren wollen", sagt er. Dazu gehörten zum Beispiel Menschen mit Behinderung, Krankenwagen, aber auch Taxifahrer, von denen es ohnehin zu viele gebe in der Stadt.
Ziba schlägt vor, dass Taxis auf Buslinien fahren könnten. "Das würde uns einiges erleichtern." Nicht gut zu sprechen ist er auf die Parkplatzsituation für Taxis auf dem neuen Bahnhofplatz. "Das ist katastrophal für den Verkehrsfluss." Auch für Velofahrer sollte man sich mehr einsetzen, sagt der leidenschaftliche Taxifahrer. (maf)
In der Stadt funktioniere der Verkehrsfluss grundsätzlich gut, urteilt Claudia Küng. Sie ist Leiterin der Region Nord bei der Rettung St.Gallen und regelmässig mit der Ambulanz im Einsatz. "Bei den Knotenpunkten und zu Stosszeiten gibt aber es auch für uns Wartezeiten." Ohne Sirene und Blaulicht sei es schwierig, in die Innenstadt zu gelangen. "Die Anfahrt ist umständlich", sagt die 53-Jährige. Es sei aber verständlich, dass dort primär auf die Fussgänger und den öffentlichen Verkehr geachtet werde.
Verbesserungspotenzial sieht Küng bei einzelnen Verkehrsteilnehmern. Viele Autofahrer liessen eine aufmerksame, vorausschauende Fahrweise vermissen. "Sie hören laut Musik oder benutzen den Rückspiegel zu selten." Dadurch werde der Rettungswagen sehr spät registriert. "Wenn Autos für die Ambulanz Platz machen, kommt es auch vor, dass ein Fahrer alle anderen überholt." Sorgen bereiten Küng die bevorstehenden Sanierungsarbeiten auf der Stadtautobahn. Schon heute sei es zu Stosszeiten auf der Autobahn schwierig voranzukommen, auch wenn alle Spuren frei seien. (lw)
Den Stadt-Land-Graben kennt Ruedi Sturzenegger bestens, zumindest jenen beim Verkehr. Seit drei Jahren ist der Buschauffeur der Regiobus AG fast täglich auf den Strassen der Region unterwegs, auch auf der Linie 151 zwischen St.Gallen und Gossau. Zwischen den beiden Städten gebe es puncto Verkehr auf den Hauptachsen keine grossen Unterschiede – und einige Gemeinsamkeiten.
Grundsätzlich herrschten für die Busse gute Voraussetzungen auf den Strassen. Separate Busspuren und die Priorisierung an den Lichtsignalen seien eine Hilfe, um durch den Verkehr zu kommen. Dieser fliesse den Tag hindurch ohnehin praktisch ungestört. Schwierig werde es jedoch in den Stosszeiten. "Im Morgen- und im Feierabendverkehr ist es eine Herausforderung, den Fahrplan einzuhalten", sagt der 49-Jährige. Oder, wenn sich der Verkehr von der Stadtautobahn aufgrund von Stau oder Unfall auf die Strassen St.Gallens und Gossaus verlagere. Einen grossen Unterschied gebe es hingegen zum Verkehr auf dem Land: Dort seien die Verkehrsteilnehmer gegenseitig toleranter. (dag)