Zum dritten Mal in Folge sind mehr Personen aus der Stadt weggezogen als zugezogen. Das ist nicht im Sinn des Kantons. Die Verantwortlichen hoffen nun auf schnelle Arealentwicklungen.
Luca Ghiselli
Die Stadt St. Gallen ist eine Exotin unter vergleichbar grossen Schweizer Städten. Während die Wohnbevölkerung von Winterthur, Luzern und Biel in den vergangenen Jahren zum Teil um mehrere Prozent anstieg, schrumpft sie in St.Gallen. Gerade Winterthur wuchs bevölkerungsmässig rasant und legte innert acht Jahren um 13 000 Einwohner zu. Zum Vergleich: In die Eulachstadt zogen 2016 über 1000 Personen mehr als von dort weg. In St.Gallen war diese Bilanz im selben Zeitraum leicht negativ. Andere Städte in der Ostschweiz verzeichnen steigende Bevölkerungszahlen: Sowohl Rorschach als auch Wil weisen positive Wanderungssaldi auf.
In der Stadt St.Gallen ist der Bevölkerungsrückgang mit 0,2 Prozent oder 177 Personen im vergangenen Jahr zwar nicht dramatisch. Und doch stellt sich angesichts der gesamtschweizerischen und regionalen Entwicklung die Frage: Wo gehen die Wegzüger hin? Und gegenüber welchen Regionen weist die Stadt einen besonders hohen negativen Wanderungssaldo auf? Aufschluss gibt die Broschüre "Stadt Statistik aktuell", welche die kantonale Fachstelle für Statistik kürzlich publiziert hat.
In der Erhebung werden die Wanderungsbewegungen zwischen der Stadt, anderen Gemeinden sowie Kantonen und dem Ausland im Zeitraum zwischen 2008 und 2016 analysiert. Sie bilanziert, dass die Wanderungsströme aus der Stadt St. Gallen in die umliegenden Gemeinden – hauptsächlich Teufen, Speicher, Wittenbach und Gaiserwald – bereits seit Jahren sogenannte Wanderungsverluste verzeichnet. Das heisst: Es ziehen mehr Personen aus der Stadt in diese Gemeinden als umgekehrt. Kantonsplaner Ueli Strauss sagt auf Anfrage, es habe verschiedene Gründe, dass die Stadt Mühe habe, das Bevölkerungswachstum aufzufangen. "Einerseits steigt die Anzahl Singlehaushalte, andererseits zieht es Familien immer mehr in Agglomerationsgemeinden." Das sei nicht im Sinne des Kantons. Wolle man die Zersiedelung stoppen, müssten die grossen urbanen Lebensräume stärker wachsen als die kleinen Gemeinden. Doch dafür sei es nötig, in der Arealentwicklung vorwärts zu machen, ist Strauss überzeugt. "Wenn dereinst zum Beispiel das Gebiet St.Fiden entwickelt ist, wird das einen gewaltigen Schub für das Bevölkerungswachstum bedeuten." Andere Städte und Ballungsräume wie Winterthur hätten grosse Schritte in diese Richtung unternommen – und die Zahlen geben ihnen recht. Doch zunehmend würden auch Einsprachen solche Grossprojekte verzögern.
Stärkere Anziehungskraft als der umliegende Regionsgürtel und das Ausland hat nur noch ein anderes Gebiet: Der Kanton Zürich. Gegenüber dem bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz verzeichnet die Stadt St.Gallen seit Jahren konstant hohe Wanderungsverluste. So verliessen 2016 insgesamt 862 Personen St.Gallen, um ihren Wohnsitz nach Zürich zu verlegen. Im selben Zeitraum zogen nur 524 Personen aus dem Kanton Zürich nach St.Gallen. Rund die Hälfte der Wegzüger zieht in die beiden Grossstädte Winterthur und Zürich. "Wesentliche Faktoren hierfür dürften das Bildungsangebot und der Stellenmarkt sein", heisst es in der Broschüre. Tatsächlich scheint die Anziehungskraft des urbaneren Kantons Zürich vor allem in der Altersklasse von 18 bis 29-Jährigen am höchsten zu sein. Einer von sieben, der in diesem Alter die Stadt St.Gallen im Zeitraum zwischen 2008 und 2016 verliess, verlegte seinen Wohnort nach Zürich.