Jakob Büchler geht mehr in die Berge, Nicolo Paganini bewältigt neue Papierberge: Der Sicherheitspolitiker verabschiedet sich von der nationalen Bühne, der Olma-Direktor reist neu nach Bern.
Nun ist es also fix: Nicolo Paganini zieht nach Bern, jedenfalls politisch. Er wird Mitte März – zu Beginn der dritten Woche der Frühlingssession – als neuer St.Galler CVP-Nationalrat vereidigt. Der Olma bleibt ihr Direktor erhalten. «Ich mache es als Milizler», sagt Paganini auf Anfrage.
Einige Aufgaben müssten neu organisiert und verteilt werden. Kaum aber die grösste: Die Olma will einen Deckel auf die Autobahn setzen und darauf eine neue Halle. Das 160-Millionen-Projekt ist gut unterwegs; Stadt- und Kantonsparlament (in erster Lesung) haben zugestimmt; im März kommt die Vorlage vor das städtische Stimmvolk. Paganini hat das Projekt mit aufgegleist.
«Die Olma hilft sicher», antwortet Paganini auf seine Bekanntheit angesprochen. Das zeigte sich 2015: Knapp verpasste er die Wahl nach Bern im ersten Anlauf. Die St.Gallerinnen und St.Galler wählten ihn, der vom zweitletzten Listenplatz aus antrat, auf den ersten Ersatzplatz. Hat er seither darauf spekuliert, im Laufe der Legislatur nachrücken zu können? Er habe sein Leben nicht darauf ausgerichtet, antwortet Paganini. Das Thema werde dann eines, wenn Jakob Büchler dem Nationalratspräsidenten das Rücktrittsschreiben eingereicht habe, hatte er noch am Wochenende gesagt. Am Dienstag tat dies der Sicherheitspolitiker aus dem Linthgebiet.
Paganini ist im Kanton St.Gallen politisch ein unbeschriebenes Blatt. Nicht so im Thurgau. Was ihm im Herbst 2015 in St.Gallen gelang, hatte er im Nachbarkanton bereits 1991 geschafft: bei den Nationalratswahlen den Sprung auf den ersten Ersatzplatz. Paganini war damals erst 25, aber national bekannt – dank des Jahressieges in der TV-Quizsendung «Tell-Star» von Beni Thurnheer. Die Sendung war ein Quotenrenner, Paganinis Spezialgebiet die Fussball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien. Paganini tritt den Ball nicht selber; er verfolgt als Passivfussballer den FC St.Gallen und Real Madrid.
Nach seinem Achtungserfolg machte er in der Thurgauer CVP zügig Karriere. Bereits ein halbes Jahr später schaffte er die Wahl in den Thurgauer Grossen Rat; zehn Jahre gehörte er dem Gremium an, zuletzt als Fraktionschef.
Es folgten sein Wegzug nach St.Gallen und seine politabstinente Zeit. Die Politik habe ihn nie kaltgelassen. Ein Einstieg in St.Gallen habe sich wegen seiner beruflichen Aufgaben aber nicht aufgedrängt. Schliesslich habe er entschieden, bei einem Wiedereinstieg in die Politik «den Ostschweizer Rahmen zu sprengen». Beruflich sei er nämlich «ein wenig ein Bünzli; alles, was ich bisher gemacht habe, machte ich in der Ostschweiz». Es wundert daher nicht, dass er sich selber als bodenständig, offen und strukturiert vorgehend bezeichnet.
In Bern will sich Paganini für die Interessen der Ostschweiz – «das sagen alle» – und für kleinere und mittlere Unternehmen einsetzen. Das erklärt sich aus seinen beruflichen Tätigkeiten. Paganini – er ist ausgebildeter Schweizer Bier-Sommelier – war Mitglied der Geschäftsleitung der Rutishauser Weinkellerei AG mit 80 Mitarbeitenden; danach arbeitete er als Anwalt im Thurgau. 2002 wurde er Leiter des hiesigen kantonalen Amts für Wirtschaft, wechselte dann zur St.Galler Kantonalbank. Seit Frühling 2011 ist er Olma-Direktor und steht 90 Mitarbeitenden vor. Seine italienischen Namen klingen nicht urthurgauisch. Seine heimatlichen Wurzeln liegen im bündnerischen Val Poschiavo. Geboren allerdings wurde der heute 51-Jährige im Thurgau, aufgewachsen ist er in Bischofszell. Er absolvierte an der Universität Bern und der Universität St.Gallen zwei Studien in Wirtschaft und Recht. Heute lebt er mit seiner Frau in Abtwil; er hat aus erster Ehe drei erwachsene Kinder.
Paganinis Vorgänger, Jakob Büchler, hat sich in Bern als Sicherheitspolitiker einen Namen gemacht und sich als Bauer für landwirtschaftliche Anliegen eingesetzt. Bei seinem Einstieg in die Bundespolitik 2003 wäre ihm das Ticket als SVP-Politiker wohl gewiss gewesen. Darauf angesprochen meinte er damals: «Als ich in die Politik einstieg, war die SVP nirgendwo.» Er wechsle die Partei nicht, «nur um in den Wahlen eine vermeintlich bessere Ausgangslage zu haben». Er käme sich wie ein «Fahnenflüchtiger» vor. Büchler fühlte und fühlt sich noch immer wohl in der CVP. Eine Partei, «in der ich frei meine Meinung äussern kann». Er lasse sich nicht gern in ein Schema zwängen.
Büchler gehörte von Beginn weg der Sicherheitspolitischen Kommission an, die er 2011/2012 auch präsidierte. «Eine besondere Herausforderung.» Er hat in seiner Berner Zeit drei Armeereformen erlebt. Und zahlreiche Volksabstimmungen. Die 78 Prozent Ja-Stimmen zur Weiterführung der allgemeinen Wehrpflicht und die 57 Prozent Nein-Stimmen zur Waffenverbots-Initiative freuten ihn. Ärgerlich sei gewesen, dass das Volk die Beschaffung des neuen Kampfflugzeuges Gripen bachab schickte. «Als Demokrat bin ich mir bewusst, dass Volksentscheide zu respektieren sind.»
16 Jahre hatte Büchler dem St.Galler Kantonsrat angehört, 15 Jahre nun dem Nationalrat. «Das Rad der Politik dreht sich immer weiter, eine Politkarriere aber hat ein Ende.» Seine am 8. März. «Es gibt ein Leben nach der Politik», sagt Büchler. Er freue sich darauf, «weniger unter Druck zu stehen». Das Tempo habe massiv zugenommen. «2003 waren Laptops im Nationalrat eine Seltenheit, im Ständerat waren sie gar verpönt.» Solange es Menschen gibt, werde es Politik geben, sagt Büchler. «Politik ist nie fertig.» Für ihn bald schon. Dafür bleibt mehr Zeit für die Familie, die Natur und die Berge vor seiner Haustür, den Federispitz, den Chüemettler, den Gleiterspitz und den Speer.
«Die Wiederwahl ist kein Obligatorium», sagt Büchler. Das weiss auch Paganini. Er habe nun
19 Monate Zeit, sich reinzuknien. Den dritten Sitz zu halten, werde 2019 kein Spaziergang sein, sagt der St.Galler CVP-Präsident Patrick Dürr.
Die letzten beiden Male sei ihnen dies allerdings auch ohne drei Bisherige gelungen – 2015 nach dem Rückritt von Lucrezia Meier-Schatz, 2011 nach dem Parteiwechsel von Thomas Müller zur SVP.