Ein Landwirt tötet einen anderen Landwirt. Zu Beginn des Mordes steht ein Kaufvertrag für eine Immobilie. Die tragische Geschichte hat sich 1924 in Häggenschwil abgespielt.
HÄGGENSCHWIL. Wir schreiben den 30. November 1924. Es ist 20.15 Uhr, als Bauer Karl Peter mit einem gezielten Kopfschuss einer Schrotflinte niedergestreckt wird. Der Mörder Johann Karl Angehrn ist ebenfalls Landwirt. Die Tat geschieht im bäuerlichen Häggenschwil. Urs Hausmann hat den Kriminalfall im Rahmen des juristischen Doktorandenseminars untersucht. Am Dienstagabend präsentierte er seine Ergebnisse dem Historischen Verein des Kantons St. Gallen.
In Häggenschwil waren damals 23 Prozent der Bevölkerung im landwirtschaftlichen Bereich tätig, erzählt Urs Hausmann. 925 Einwohner zählte Häggenschwil im Jahr 1920. Das allgemeine Preisniveau stieg, das Lohnniveau hingegen stagnierte. «Der damalige typische Landwirt war hochverschuldet», sagt Hausmann.
Vor diesem zeitlichen Hintergrund zog Landwirt Johann Karl Angehrn mit seiner achtköpfigen Familie nach Häggenschwil, nachdem er zuvor während rund zehn Jahren innerhalb des Kantons St. Gallen zehnmal seinen Wohnsitz gewechselt hatte. «Angehrn machte eine Odyssee, immer am Existenzminimum lebend», folgert Hausmann. Im Oktober 1924 verkaufte Karl Peter seinen Bauernhof an Johann Karl Angehrn. Sie unterzeichneten einen Kaufvertrag. Angehrn allerdings bereitete die Finanzierung der Immobilie Schwierigkeiten. Oft wurden Häuser damals ohne Eigenkapital finanziert. «Das Bankenwesen war nicht gleich ausgeprägt wie heute», erklärt Urs Hausmann. Bürgschaften von Privatpersonen waren wichtig. Angehrn konnte das nötige Geld aber nicht aufbringen. Ihn plagte fortan die Sorge, sein Gesicht verlieren zu können. Er hielt dem Stress nicht Stand. Am Nachmittag des 30. Novembers fasste Angehrn den Entschluss, Peter zu töten. Den Mord beging er auf dem Hof von Peter, als dieser sein Haus zum abendlichen Kontrollgang verliess. Angehrn versteckte sich hinter einer Scheunenecke und streckte Peter nieder.
Peter starb etwa 30 Minuten später an seinen Verletzungen. Angehrn wurde noch in derselben Nacht als Zeuge befragt, später als Tatverdächtiger festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht. Es wurde ein psychiatrisches Gutachten eingeholt, in welchem Angehrn als gewöhnlich zurechnungsfähig eingeschätzt wurde. Am Tag der Tat sei er aber ausnahmsweise nicht im Besitz seiner Selbstbestimmung gewesen. «Und man befand den Täter als gemeingefährlich», sagt Hausmann. Die Einschätzung sei aber willkürlich auf zufällige Äusserungen abgestützt. Zu erwähnen ist, dass Angehrn unter Epilepsie litt. Insgesamt 27 Personen wurden für den «Fall Angehrn» verhört. Die schriftlich protokollierten Befragungen sind oft in Mundart wiedergegeben. So soll Angehrn gesagt haben: «Lüge chan i wie trockt, das mues i säge.» Und das tat er oft. Einen Tag vor dem Prozess verlangte Angehrn aber ein Gespräch mit dem Staatsanwalt. Erst da erzählte er die ganze Wahrheit. Am 17. Juni 1925 wurde Angehrn zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt, im Juni 1941 entlassen. Am 15. März 1950 starb Johann Karl Angehrn im Alter von knapp 68 Jahren in seiner Geburtsgemeinde Gossau.
Wie oft passierte ein solcher Mord? «Von 1900 bis 1925 kam es im langjährigen Mittel zu 0,77 Morden pro Jahr», sagt Urs Hausmann. «Der Mord in Häggenschwil ist kein Einzelereignis gewesen.» Laut Hausmann wurde der Fall «mustergültig» durchgeführt. «Es wurde die maximale Palette an Untersuchungsverfahren angewandt.»