Als 30-Jähriger verlor Peter Schär sein Augenlicht. Trotz der schwierigen Zeit haderte er nicht mit dem Schicksal, sondern machte weiter. Morgen Sonntag zeigt er selbstgeflochtene Körbe aus Weiden im Museum Ruggisberg.
WINDEN/LÖMMENSCHWIL. An der Stimmlage erkennt Peter Schär sofort, wie es um sein Gegenüber steht. Über Jahre hat er sich dieses feine Gespür angeeignet. Auch die Haarfarbe und ob jemand schlank oder fester ist, kann er an der Stimme ablesen. «In den meisten Fällen trifft es zu», sagt er und muss schmunzeln. Mit dieser Spielerei habe er aber seit längerem aufgehört. «Besonders am Anfang war es für mich interessant», sagt der 56-Jährige aus Winden. Mit Anfang ist seine Zeit als 30-Jähriger gemeint, als er seine Sehfähigkeit vollständig verloren hatte. Lediglich hell und dunkel könne er heute noch unterscheiden.
Den Schicksalsschlag erklärt sich Schär unter anderem mit der Diagnose Diabetes, die bei ihm als nicht einmal Dreijähriger gestellt wurde. Mit 30 Jahren kam es zur Netzhautablösung beider Augen. Erst auf dem linken, dann auch auf dem rechten. Nichts blieb unversucht, dem gelernten Landwirt zu helfen. Auch Laserbehandlungen wurden gemacht. Die erhoffte Besserung blieb allerdings aus. «Damals war die Technik noch nicht so ausgereift wie sie es heute ist. Durch das Lasern wurde alles noch schlimmer», sagt er.
Sein Sehvermögen verschlechterte sich rapide. Nach gerade einmal drei Monaten war Peter Schär erblindet. Eine Wendung in seinem Leben, die schlagartig alles änderte. «Das erste Jahr war das schwierigste für mich.» Auch die Tatsache, dass er seinem Beruf als Landwirt nicht mehr weiter nachgehen konnte, hat dem jungen Mann zugesetzt.
Aufgeben und dahinvegetieren kam für Peter Schär aber nie in Frage, wie er sagt. Sein fröhliches Gemüt konnte er trotz allem behalten. «Mit dem Schicksal hadern bringt nichts.» Ändern lasse es sich nun mal nicht. «Je schneller man lernt zu akzeptieren, desto schneller geht es einem wieder besser», ist er überzeugt. Wichtig sei, das Leben so zu gestalten, wie es persönlich gefällt. Von Reaktionen aus dem Umfeld solle man sich nicht beirren lassen. «Die einen haben Fragen über Fragen, und andere gehen sofort auf Abstand», sagt Schär. «Viele wissen nicht, wie sie mit Blinden umgehen sollen und sind mit der Situation überfordert.»
Einen richtigen Erfolgsmoment verspürte er, als er sich in Fachgeschäften Material beschaffte, und einen Schreibtisch baute. «Das hat mich gestärkt, und es wurde mir bewusst, dass ich etwas erreichen kann.» Sein Wunsch war es, in irgendeiner Form weiterzuarbeiten.
Die Begeisterung für das Korbflechten entdeckte er, als er einmal in Schaffhausen in einer Werkstatt schnupperte. Als einziger Blinder unter Sehenden absolvierte er eine dreijährige Ausbildung zum Korbflechter. Auch die Technik des Massierens hätte ihn interessiert. «Damals war die Ausbildung zum medizinischen Masseur aber nur mit Matura möglich.»
Umgeben von verschiedensten Körben steht Peter Schär an diesem Morgen in seiner Werkstatt in Winden und bereitet sich auf die morgige Ausstellung im Museum Ruggisberg vor. «Ich bin mein eigener Meister. Der Meister der Weiden», sagt er und lacht. Dass er seine Arbeitszeiten selber einteilen kann, empfindet er als Privileg. Natürlich aber könne er, bedingt durch den Sehverlust, nicht so schnell vorankommen wie ein Sehender.
Ganz nach dem Motto «alles mit der Ruhe» arbeitet er ohne Druck und fertigt Körbe auf Bestellung an. Bei den Variationen sind dabei fast keine Grenzen gesetzt. Ob rund, oval, eckig und mit Deckel, Griff oder mehrfarbig – jedes einzelne Stück ist ein Kunstwerk. Genauso vielfältig sind auch die Verwendungszwecke. Weil es keine Massenware ist, oder genau deshalb, und Schär auf hohe Qualität setzt, hat er mittlerweile Abnehmer aus der ganzen Schweiz. Auch für eine Aufführung im Theater St. Gallen durfte er einst eine überdimensionale Kiste mit Deckel erstellen.
In all den Jahren habe sich für Blinde vieles verbessert, sagt Peter Schär. Zu verdanken sei es auch der Digitalisierung. Heute habe er eine Auswahl von rund 40 Zeitungen und Zeitschriften. Eine Computerstimme liest ihm die ausgewählten Texte vor. Auch die Mails kann er sich anhören und entsprechend beantworten. Zweifelsfrei habe die Digitalisierung Vorteile gebracht – aber auch Nachteile. «Viele Menschen haben verlernt, miteinander zu reden», sagt Schär. Grund zur Sorge geben ihm besonders die Jungen, die immer mehr psychisch angeschlagen sind. «Der Leistungsdruck steigt und steigt. Nur noch die Schule scheint zu zählen. Der Bezug zur Arbeitswelt geht verloren.»
Bereits als Landwirt war Peter Schär gewohnt, körperlich anspruchsvolle Arbeit zu leisten. Und auch heute ist er froh, mit den Händen wirken zu dürfen. Grosse Freude bereitet ihm zudem, wenn im Fernsehen Fussball oder Formel 1 läuft, wo er sich jeweils mit Spannung die Kommentare anhört. Ohne Unterstützung seiner Lebenspartnerin könnte er aber seinen Alltag auf diese Weise nicht führen, wie er sagt. Regelmässig macht das Paar mit dem Tandem Ausflüge in der Region. Auch wenn Peter Schär grüne Wiesen, blühende Felder und den Bodensee nicht sehen kann, so gebe es ihm viel, in der Natur zu sein.
Sonntag, 10 bis 16 Uhr, Korbflechter Peter Schär im Regionalen Landwirtschaftsmuseum Ruggisberg