Marroni als Nervenkitzel

Auf der Bleiche in Rorschacherberg geht Gemüseproduzent Philipp Fässler die Pflege seiner Edelkastanien sorgfältig an. Putzen und Ausbrechen stehen auf dem Programm.

Aurelia Winter
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Auch die anfänglichen «Blindgänger» treiben neu aus. (Bild: Aurelia Winter)

Auch die anfänglichen «Blindgänger» treiben neu aus. (Bild: Aurelia Winter)

RORSCHACHERBERG. Dem einzigen Kastanienhain nördlich der Alpen geht es soweit gut. Auf der Bleiche in Rorschacherberg hat Philipp Fässler seine Edelkastanien im vergangenen Spätwinter gepflanzt. Kürzlich wurden die jungen Bäumchen von über zwei Metern Höhe auf etwa die Hälfte gekürzt. Bei der weiteren Pflege holt sich der 60jährige Gemüseproduzent Hilfe aus Flawil. Die Bäumchen sollen geputzt und ausgebrochen werden.

«Als Gemüseproduzent habe ich eigentlich nicht mit Bäumen zu tun. Im Umgang mit Obstbäumen kann mir Richard Hollenstein mit Wissen über Obstbäume bestens zur Seite stehen», sagt Fässler. Richard Hollenstein ist Leiter der Fachstelle Obstbau in Flawil und beim Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen (LZSG). Fässlers Sohn Roman ist auch dabei: Der 24jährige Landschaftsgärtner soll später die Kastanienkultur weiterführen.

Natürliche Gleichmässigkeit

Die Jungbäume haben den milden Winter gut überstanden. Fässler ist zuversichtlich, auch wenn die ersten zwei Jahre die härtesten für den Baum seien. Boden und Klima seien ideal, das momentane Problem seien die Mäuse, die die feinen Würzelchen der Bäumchen fressen.

Vor dem ersten Wachstumsschub gibt es viel zu beachten. Jeder Schnitt löst in der Pflanze eine Reaktion aus. In Aussicht steht eine sogenannte Halbstamm-Kastanie. Die Baumkrone wird auch schon beeinflusst. Dazu bestimmen Fässlers und Hollenstein jeweils die Ansatzhöhe, den Wachstumswinkel, die Stärke und die Anzahl weiterer Verzweigungen aller vier bis fünf obersten Triebe. Diese bilden später die Krone. Durch Stutzen («Pincieren») der zu starken Triebe wird das Wachstum für gut zwei Wochen gehemmt. So wird die Gleichmässigkeit zwischen den späteren tragenden Ästen der Baumkrone gewährleistet. Alle Triebe unterhalb der Minikrone werden entfernt, damit die Energie in die wichtigen Triebe gesteckt wird. Hollenstein betont, dass bei diesem Vorgehen nicht gegen die Natur gearbeitet werden müsse, denn diese lasse sich nicht einfach in ein Schema pressen. «Wir können die Vorgaben der Natur nicht bestimmen, aber ein wenig lenken», stimmt Sohn Roman zu.

Mut zur Lücke

«Fässlers Projekt ist ein Wagnis», sagt Hollenstein. Man wisse einfach noch zu wenig über Kastanienkulturen in hiesigen Breitengraden. Er spricht jedoch nicht von einem puren Experiment, sondern nennt es «Pilot». Dem weiteren Verlauf des Projekts sieht Hollenstein zuversichtlich gegenüber. Ein Misserfolg könne nicht am Klima liegen, denn vereinzelt wachsen Kastanien auch hier.

«Wirtschaftlichkeit kann und sollte bei einem «Piloten» nicht im Vordergrund stehen. Wahrscheinlich deshalb ist Fässlers Kultur die erste nördlich der Alpen», sagt er. Doch um Wissen zu erlangen, brauche es hin und wieder Produzenten, die auch ein Risiko eingehen. Im Kontrast zu den Einzelbäumen dient eine Kultur nicht landschaftlichen Zwecken, sondern dem Ertrag. Dieser wird jedoch erst in etwa zehn Jahren auf hohem Niveau sein. Seit 30 Jahren macht Fässler diese Herausforderung Spass.

Für regionale Kleinbetriebe

Von nun an werden die Bäumchen alle drei bis vier Wochen kontrolliert. An der nächsten Flurbegehung sollen Bekämpfungsmöglichkeiten diskutiert werden, Krankheiten und Schädlingen vorzubeugen – möglichst biologische. Bis die Edelkastanien die gewünschte Grösse erreicht haben, also etwa drei auf drei Meter breit, werden wohl noch mindestens fünf Jahre vergehen. Fässler sagt, die regionale Landwirtschaft solle versuchen, dem Druck der Exoten Stand zu halten, damit Inlandprodukte nicht verdrängt werden. «Den unberechenbaren Ertrag werde ich vielleicht dem Handel oder dem regionalen Grossverteiler schicken. Oder erst mal ein Marronifest feiern», lacht Fässler.

Zufriedenheit auf der Bleiche: Roman Fässler, Richard Hollenstein und Philipp Fässler (v. l.) begutachten die Kastanienbäume. (Bild: Aurelia Winter)

Zufriedenheit auf der Bleiche: Roman Fässler, Richard Hollenstein und Philipp Fässler (v. l.) begutachten die Kastanienbäume. (Bild: Aurelia Winter)