Händlerin Rita Zenglein lebt seit 15 Jahren mit der Ungewissheit, wie es mit dem ständigen Markt weitergeht. Sie ist überzeugt, dass er eine Zukunft hat. Ein Augenschein im Marktstand – zwischen treuen Kundinnen, einem Heizstrahler und Windböen.
Christina Weder
Der Wind fegt über den St. Galler Marktplatz. Regentropfen fallen. Es ist ein grauer Tag. «Je schlechter das Wetter, desto schlechter das Geschäft», lautet eine Marktregel. Doch die Stammkundinnen lassen «Märktlerin» Rita Zenglein an diesem Morgen nicht im Stich.
Rot, orange, gelb und grün leuchten Früchte und Gemüse in der Auslage ihres Klipp-Klapp-Standes. Eine ältere Dame kommt vorbei und deutet auf die «Carciofini», die Baby-Artischocken. «Wie bereite ich die zu?», fragt sie. Rita Zenglein greift sich eine und streift die äusseren violetten Blätter zur Seite. «Die schält man grosszügig ab», erklärt sie. Am besten dünste man die Baby-Artischocken mit Knoblauch und Zwiebeln im Olivenöl und mische sie zu Teigwaren. Die Kundin verstaut ihre Einkäufe und sagt, sie lasse sich gerne am Marktstand inspirieren, bevor sie zur Arbeit gehe.
Rita Zenglein ist eine von zwei Händlerinnen, die unter der Woche auf dem Marktplatz Früchte und Gemüse verkaufen. Das tut sie seit 30 Jahren. Seit 15 Jahren lebe sie mit der Ungewissheit, wie es mit dem ständigen Markt weitergeht. «Manchmal macht mich das fast ein bisschen müde», sagt sie. Ihr Mann Walter Zenglein, der vor anderthalb Jahren gestorben ist, hatte sich öffentlich für einen schönen Markt eingesetzt. Rita Zenglein führt sein Erbe weiter. Am Stand liegt eine Petition zum Unterschreiben auf. Sie verlangt, dass der ständige Markt erhalten bleibt und in die Neugestaltung des Marktplatzes einbezogen wird. In der ersten Woche sind 600 Unterschriften zusammengekommen. Zenglein ist überzeugt: «Der ständige Markt ist kein Auslaufmodell. Wir sind eine Ergänzung.»
Sie mache ihre Arbeit einfach «wahnsinnig gerne» – auch wenn die Tage auf dem Markt lang sind. Seit 5 Uhr ist sie auf den Beinen, seit 6.15 Uhr steht sie auf dem Marktplatz. Ein Kollege hilft ihr beim Aufstellen. Zu zweit öffnen sie den Stand, tragen die Tischplatten hinaus, stellen die grünen Kistchen darauf ab. Zwei Stunden brauchen sie dafür. Zuletzt ordnet Rita Zenglein die Ware schön, gruppiert Rüebli, Kohlrabi und Salate. «Damit es anmächelig aussieht.» Rund 100 Artikel hat sie im Angebot, im Sommer sind es mehr.
Prominent sind die Spezialitäten des Tages platziert: ein Korb mit Steinpilzen, ein Kistchen Morcheln, erste Spargeln aus Italien, in Papier eingewickelter Mönchsbart, «Barba di frate». «Den findet man sonst nirgends», sagt eine Stammkundin. Auch eine ältere Dame kommt wegen des Angebots auf den Markt. Sie möge es nicht, wenn das Gemüse wie im Grossverteiler unter einer Plastikhaube stecke. Andere schätzen vor allem den persönlichen Kontakt. Ein kleiner Schwatz gehört am Stand dazu. Die Neugestaltung des Marktplatzes ist dabei immer wieder ein Thema. «Der Markt ist doch das Einzige, was auf dem Platz für Leben sorgt», sagt eine Stammkundin. Und eine andere hat für das «Theater mit der Neugestaltung» nur Kopfschütteln übrig.
Dann bläst ein Windstoss über den Platz. Ein Sonnenschirm, der das Gemüse vor der Witterung schützt, droht umzukippen. Regen und Schnee seien nicht so schlimm, sagt Rita Zenglein. Aber der Wind mache ihr zu schaffen: «Ich stehe den ganzen Tag im Durchzug.» Der Klipp-Klapp-Stand, mit dem die Stadt 2005 die Markthäuschen ersetzen wollte, lässt sich nur auf einer Seite mit einer Glastüre schliessen. Ein kleiner Heizstrahler schafft etwas Abhilfe. Und mehrere Kleiderschichten. Zum Glück sei sie kein «Gfrörli».
Ein Mann kauft sich eine Birne zum Znüni, ein anderer bestellt am Telefon gebleichte Löwenzahnblätter. Die meisten Kunden verlassen den Stand mit mehr, als auf ihrem Einkaufszettel notiert war. Wie der Mann, der seine Bananen schon bezahlt hat, als er noch die Wittenbacher Baumnüsse entdeckt. Rita Zenglein will für ein stressfreies Einkaufserlebnis sorgen. Dafür legt sie ordentlich Kilometer zurück, zeigt hier etwas, packt dort etwas ein, trägt einer Kundin die Einkäufe zum Auto. «Das Fitnessstudio kann ich mir sparen», sagt sie und lacht. Am Mittag zieht sie eine erste Bilanz: «Doch, für Wetter und Jahreszeit war das Geschäft ganz in Ordnung.»