Viele St.Galler Gemeinden haben den Steuerfuss bereits gesenkt. Für den Kanton St.Gallen ist es jedoch bereits mit dem heutigen Steuerfuss schwierig, die kommenden Aufgaben zu bewältigen. Einer Erhöhung würde das Parlament nicht zustimmen - viel eher einem weiteren Sparpaket, schreibt Blattmacher Silvan Lüchinger in seinem Kommentar.
Politiker aller Ebenen und (fast) jeder Couleur schreiben ihm magische Fähigkeiten zu. Ein tiefer Steuerfuss wirkt magnetisch auf wohlhabende Steuerzahler und rentable Unternehmen. Er signalisiert dem Bürger, ob er in einer reichen oder einer armen Gemeinde lebt, ob er sich glücklich schätzen kann oder sich selber bedauern muss. Der Steuerfuss scheidet erstrebenswerte und zu meidende Wohnorte, erfolgreiche und Bettelkantone. Der Steuerfuss ist, so könnte man meinen, das Mass für Glück oder Unglück jener, die ihm unterworfen sind.
Ein anständiger Steuerfuss kennt daher nur eine Bewegung: jene nach unten. In den vergangenen Jahren hat weit mehr als die Hälfte aller St. Galler Gemeinden den Steuerfuss reduziert. Manche taten das in steten kleinen Schritten, andere in markanten Sprüngen. Die nach und nach publik werdenden Rechnungsabschlüsse für das vergangene Jahr deuten an, dass der Trend anhält. Ausnahmen wie Berneck, dem eine Steuerfusserhöhung ins Haus steht, bestätigen höchstens die Regel.
Dem Grossteil der St.Galler Gemeinden geht es gut bis sehr gut. Den finanzstärksten unter ihnen fast schon unverschämt gut. Stimmt die Bürgerversammlung im März zu, wird Spitzenreiter Mörschwil für das laufende Jahr einen Gemeindesteuerfuss von gerade noch 75 Prozent ausweisen. Das ist weniger als die Hälfte von Schlusslicht Degersheim. Ob im finanzschwachen Toggenburger Dorf deswegen auch doppelt so viele unglückliche Menschen leben wie in der reichen Agglomerationsgemeinde? Belegt ist es nicht.
Derweil der Steuerwettbewerb zwischen den Gemeinden in vollem Gang ist, herrscht beim Kanton Stillstand. Seit nunmehr fünf Jahren verharrt der Staatssteuerfuss auf 115 Prozent. Jene 95 Prozent, die in den Jahren 2009 bis 2011 galten, scheinen unerreichbar weit entfernt. Nimmt man den Aufgaben- und Finanzplan für die kommenden Jahre für bare Münze, wird das auch noch eine Weile so bleiben. Auch wenn die hochgerechneten Defizite nicht in vollem Umfang eintreffen sollten – zu den reichen Kantonen wird St.Gallen morgen und übermorgen nicht gehören.
Das sehen nicht alle so. Jung-SVP und Jung-FDP sind der Meinung, wenn der Kanton nicht von sich aus wolle, dann müsse man ihn zu seinem Glück zwingen. Gleich um zehn Prozentpunkte wollte die Jung-SVP Anfang Woche den Staatssteuerfuss senken. Der Antrag fand ebenso wenig eine Mehrheit wie die bescheideneren fünf Prozentpunkte, welche sich die SVP – und anfänglich auch die FDP – als Reduktionsziel gesetzt hatte. Durchgesetzt hat sich im Kantonsrat ein Kompromiss, der über Eingriffe in den Steuertarif dem Mittelstand 25 Millionen an Steuererleichterung bringen soll.
Wer eine tiefere Steuerbelastung erreichen will, muss bereit sein, Verzicht zu üben. «Leuchtturmprojekte» wie die Sanierung des Theaters oder des Klanghauses seien zu hinterfragen, verlangen die Jungparteien. Das Theater seinem Schicksal überlassen? Das Klanghaus den schubladisierten Plänen zuweisen? Das wäre bedauerlich. Die IT-Bildungsoffensive abbrechen, bevor sie begonnen hat, wäre hingegen ein fataler Fehler. Dasselbe gilt für den Medical Master oder für die Erweiterung der Hochschule um den Campus Platztor. Das sind – wie die Umsetzung der Steuervorlage 17 – Projekte, die weit über den Tag hinausreichen. Sie bestimmen letztlich Qualität und Attraktivität des Standortes St.Gallen mit.
Ob auch eine Herzchirurgie am Zentrumsspital dazugehört, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass auf den Kanton Aufgaben zukommen, deren Bewältigung auch mit dem heutigen Steuerfuss schwierig genug sein wird. Einer Erhöhung würde das Parlament mit Sicherheit nicht zustimmen – viel eher einem nächsten Sparpaket. Wenn der Kantonsrat ein solches vermeiden will, muss er dem Überprüfen bestehender Aufgaben mindestens gleich viel Gewicht geben wie dem Eingehen neuer Verpflichtungen.
Silvan Lüchinger