Viele Gebäude gelten nicht mehr als schützenswert, seit das Inventar denkmalgeschützter Bauten vor vier Jahren überarbeitet wurde. Der Stadtrat befreit regelmässig weitere Gebäude vom Schutz. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Immer wieder entlässt der Stadtrat ältere Gebäude aus dem Inventar der schützenswerten Objekte, um Neubauprojekte zu ermöglichen. Das geschah beispielsweise bei der ehemaligen Tankstelle an der Torstrasse, wo heute «Klang und Kleid» drin ist. Dort soll das Dachgeschoss erweitert werden. Nun soll im Hinterhof der Häuserzeile zwischen der Rorschacher Strasse und der Museumsstrasse ein alter Holzschopf einem kleinen Wohnhaus weichen. Und auch die Offene Kirche wurde aus dem Schutzinventar entlassen, um das Quartier weiterzuentwickeln.
Die Ausdünnung des Schutzinventars habe zum einen mit dessen Überarbeitung im Jahr 2010 zu tun, sagt Niklaus Ledergerber, Leiter der städtischen Denkmalpflege. Damals wurden viele Gebäude aus dem Schutzinventar gestrichen, da gewisse Epochen übervertreten gewesen seien. «Dafür kamen Bauten der Moderne neu hinzu.» Zum anderen stünden gewisse Bauten, die als schützenswert eingestuft sind, der baulichen Entwicklung im Weg, sagt Ledergerber.
Bei dieser Überarbeitung habe zuerst eine Fachkommission die Straffung des Inventars nach rein fachlichen Kriterien vorgenommen, erklärt der städtische Bausekretär Alfred Kömme. Danach habe der Stadtrat eine Beurteilung vorgenommen. Es habe eine Interessenabwägung etwa zwischen den Entwicklungsmöglichkeiten eines Gebiets und der Schutzwürdigkeit einzelner Bauten stattgefunden. Dabei seien jedoch nur wenige Einzelfälle aus dem Schutzinventar entlassen worden.
Gebäude wie der Schopf wurden jedoch entgegen der Empfehlung der Denkmalpflege aus dem Schutzinventar entlassen. Niklaus Ledergerber will diese Entscheide nicht kommentieren. «Der Umstand, dass sie im Inventar klassiert waren, zeugt aber von einem baukulturellen Wert dieser Bauten.»
Allgemein sei die Tendenz zu beobachten, dass der Denkmalschutz gelockert werde, um Raum für Neues zu schaffen, sagt Ledergerber. Davon seien in der Regel aber nur wenige Gebäude betroffen. Aktuell ist diese Diskussion im Gebiet nördlich des Bahnhofs, das in den vergangenen zehn Jahren sein Gesicht markant verändert hat. So steht etwa am Ort der alten Stadtmolkerei an der Lagerstrasse heute der Neubau des Kaufmännischen Vereins. Das Spanische Klubhaus und das Nachbargebäude sollen noch dieses Jahr abgerissen werden. «Ich bedauere vor allem, dass ein höchst interessanter Teil der Entwicklungsgeschichte der Stadt dadurch verlorengeht.» Gerade die teilweise inzwischen abgerissenen Gebäude nördlich des Bahnhofs seien weniger als Kulturobjekte denn als Zeitzeugen des späten 19. Jahrhunderts bedeutend. «Damals errichteten moderne Betriebe wie die Post oder die SBB dort Wohlfahrts- und Wohnhäuser», sagt Ledergerber. Während man auf der nördlichen Seite hauptsächlich gewohnt habe, habe die wirtschaftliche Entwicklung auf der Südseite der Gleise mit dem Bahnhofplatz als Umschlagplatz stattgefunden. Diese Trennung sei heute kaum noch sichtbar.
Auch die Siedlungen der Nachkriegszeit, die teilweise als Ortsbilder oder als Gebiete mit besonderem baulichem Erscheinungsbild im Zonenplan aufgeführt sind, kämen im Zuge der Verdichtung zunehmend unter Druck, sagt Ledergerber. «Dabei sind sie gerade wegen der Wohnqualität, die sie damals boten, beachtenswerte Errungenschaften ihrer Zeit.» Abgetrennte Badezimmer und Küchen, separate Schlafräume oder der grosszügige Aussenraum seien damals keine Selbstverständlichkeit gewesen. Doch gerade der grosszügige Aussenraum beisst sich mit dem Drang zur Verdichtung. «Wohnen ist heute introvertiert», sagt Ledergerber. Will heissen: Es wird immer mehr Platz für die Wohnung beansprucht, der Aussenraum spielt fürs Wohnen nur noch eine untergeordnete Rolle.
Zurzeit ist ein Postulat zur Rolle der Denkmalpflege sowie zur Schaffung einer unabhängigen Denkmalschutzkommission beim Stadtrat hängig.