«Ich weiss nicht, ob sie uns kennt»

ST.GALLEN. Mit der Freien Stadtschule lässt sich eine weitere Privatschule in St. Gallen nieder. Deren Hauptaktionärin wirft der öffentlichen Schule vor, den Kindern die Freude am Lernen zu verderben. Schuldirektorin Barbara Eberhard wehrt sich.

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Die ehemalige Neuapostolische Kirche an der Dufourstrasse wird eine Privatschule. (Bild: Luca Linder)

Die ehemalige Neuapostolische Kirche an der Dufourstrasse wird eine Privatschule. (Bild: Luca Linder)

Frau Eberhard, die Hauptaktionärin der Freien Stadtschule, Bettina Würth, macht der öffentlichen Schule happige Vorwürfe (Tagblatt vom Montag): Sie verderbe den Kindern die Freude am Lernen. Lassen Sie das auf sich sitzen?

Barbara Eberhard: Leider habe ich Frau Würth noch nicht persönlich kennengelernt. Ein Treffen mit ihr ist auf Ende Monat geplant. Ich weiss nicht im Detail, wie gut sie unsere Schule kennt. Auf mich wirkt es sehr speziell, dass alle ihre vier Kinder Motivationsprobleme in der öffentlichen Schule gehabt haben sollen. Schade! Doch jedes Kind ist anders, jede Lehrperson ist anders, und wir sind alle nur Menschen. In der Stadt St. Gallen geben wir uns grosse Mühe, die Kinder so individuell wie möglich zu fördern und ihnen Freude am Lernen zu vermitteln. Bei meinen Schulbesuchen im letzten Quartal habe ich jedenfalls vor allem lernfreudige Kinder in unseren Schulzimmern gesehen.

In der ehemaligen Neuapostolischen Kirche wird die achte St. Galler Privatschule eingerichtet. In Zeiten rückläufiger Schülerzahlen eine schlimme Nachricht für Sie?

Eberhard: Wie sagt man so schön: Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich schaue dem gelassen entgegen. Offensichtlich entsprechen Privatschulen einem Bedürfnis. Ich werde die Arbeit der Freien Stadtschule mit Interesse verfolgen und bin gespannt, wie sie ihre Ankündigung im Detail umsetzt, die Stadt als «ausgedehntes Lernatelier» zu nutzen. Unsere Schülerzahlen haben im übrigen mehr mit dem Geburtenrückgang und dem Wegzug von Familien aus der Stadt zu tun als mit konkurrierenden Privatschulen, die ja hier überwiegend Schülerzahlen im zweistelligen Bereich führen.

Die Gründer der Freien Stadtschule schreiben sich die Förderung von Handlungs-, Sozial-, Methoden- oder Selbstkompetenz gross auf die Fahne. Kommen diese Eigenschaften in der öffentlichen Schule tatsächlich zu kurz?

Eberhard: Ganz im Gegenteil. Allein schon die soziale Durchmischung, aber auch das altersdurchmischte Lernen bieten in unseren Schulen hervorragende Voraussetzungen zum Erlernen von Sozialkompetenz und Selbständigkeit. Auch Lernateliers sind für uns längst kein Fremdwort mehr. Zugegebenermassen war Peter Fratton, der die Konzepte für Schulen wie die SBW, die International School oder nun die Freie Stadtschule entwickelte, hier der Zeit einen Schritt voraus. Wir müssen uns aber mit unserer öffentlichen Schule definitiv nicht verstecken, sondern begegnen den Privatschulen absolut auf Augenhöhe.

Während Sie im Moment die städtischen Schulzimmer für teures Geld aufrüsten und neues Mobiliar anschaffen, soll das Schulzimmer in der Freien Stadtschule nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Ist Ihnen Herr Fratton auch hier einen Schritt voraus?

Eberhard: Ich kenne die Details des pädagogischen Konzepts der Freien Stadtschule wie gesagt noch nicht. Im Moment kann ich mir konkret aber noch nicht sehr viel darunter vorstellen. Klar ist, dass man an einer Privatschule mit 16 Schülern, deren Eltern mit dem speziellen Konzept einverstanden sind und hohes Schulgeld bezahlen, Dinge ausprobieren kann, die an einer öffentlichen Schule nicht möglich sind.

Sie haben die International School erwähnt. Im Kanton Zürich waren aus dem Bildungsdepartement schon Klagen zu hören, dass zu viele Eltern ihre Kinder in diese Privatschulen schickten. Ab wann wären Privatschulen ein Problem für die städtischen Schulen?

Eberhard: Davon sind wir hier sehr weit entfernt. Ich würde sagen, wenn die Privatschulen mehr als zehn Prozent der Kinder beschulten, müssten wir uns ernsthaft fragen, warum. Natürlich wünschen wir uns, dass die Leute ihre Kinder aus Überzeugung zu uns in die Schule schicken. Aber wir arbeiten mit den Privatschulen sehr gut zusammen. Dieses Jahr werden die Kinder der International School beispielsweise erstmals am Kinderfestumzug mitlaufen. Das freut mich sehr. Interview: Odilia Hiller