FLUMSERBERG: «Heidimythos neu interpretieren»

Am Flumserberg ist die St. Galler Antwort auf das Bündner Heididorf geplant. Pietro Beritelli, HSG-Tourismusexperte und Präsident von Heidiland Tourismus, versteht die Offensive im Tannenboden als Chance für die ganze Region.

Christoph Zweili
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Pietro Beritelli Vizedirektor HSG-Forschungszentrum Tourismus (Bild: Benjamin Manser)

Pietro Beritelli Vizedirektor HSG-Forschungszentrum Tourismus (Bild: Benjamin Manser)

Herr Beritelli, am Flumserberg ist Grosses geplant: Entsprechend markig wird die heutige Medienorientierung angekündigt. Das Heidi soll neu erfunden werden – funktioniert das?

Pietro Beritelli: Es kommt drauf an, was man sich darunter vorstellt. Im Tannenboden soll eine Zone ausgeschieden werden, wo man das Heidi in freier Natur erleben kann. Ähnlich, wie das heute schon beim Kletterturm auf der Prodalp der Fall ist. Es liegt nahe, dass man das Tourismusangebot im alpinen Raum mit dem Heidimythos verbindet und das Thema neu interpretiert.

Das neue Heididorf soll frischen Wind bringen. Auf der andern Talseite aber liegt das «echte Heidiland» – in Maienfeld soll Buchautorin Johanna Spyri zu ihrem Roman inspiriert worden sein. Hat es in der Ferienregion Platz für zwei derartige Dörfer?

Beritelli: Das Heididorf im Tannenboden wird sich vom Heididorf in Maienfeld unterscheiden müssen. Und das nur schon wegen der Lage: Das eine Dorf ist auf dem Berg mit einem alpinen Setting, das andere ist im Tal. Da ergänzt das eine das andere. Wenn ich beide mit der Familie besuchen will und vielleicht die Taminaschlucht auch noch, müsste ich wohl übernachten. Das ist das Ziel.

Die Marke wird mit dem Konkurrenzangebot also nicht geschwächt?

Beritelli: Die Heidilegende ist breit interpretierbar. Die stereotype Geschichte kann verschieden ausgelegt werden.

Die Region zwischen Walensee und Bad Ragaz inklusive Flumserberg und Pizol war 1997 die erste Region, die sich Heidiland nannte. Wie schätzen Sie das touristische Potenzial heute ein?

Beritelli: Die Region hat immer weniger Logiernächte, kämpft mit immer weniger Betten, sie ist aber immer noch ein Freizeiterlebnisraum. Während es den Hotels schlecht geht, läuft es für die andern Leistungsträger im Tagestourismus besser. Das gilt auch für die Bergbahnen.

Welche Standortvorteile hat die Destination?

Beritelli: Sie ist gut gelegen, nahe an den grossen Agglomerationen, von Zürich und St. Gallen aus gut erreichbar.

Das Heidiland ist in die Jahre gekommen – die Region muss sich also quasi neu erfinden?

Beritelli: Das lässt sich durchaus so sagen. Der Tourismus ist ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die sich in immer kürzeren Zyklen verändert. Auch in allen Freizeitformen gibt es daher immer mehr Dynamik. Das führt dazu, dass Tourismusregionen, die noch vor 50 Jahren vom Übernachtungstourismus mit simplen Angeboten wie Wandern und Skifahren gelebt haben, heute chancenlos sind. Es braucht heute Kunstgriffe wie das neue Heididorf, um überleben zu können.

Im Tannenboden soll es auch zwei neue Hotels geben. Und es soll die Bergbahninfrastruktur ausgebaut werden. Reichen 100 Millionen Franken, um den Flumserberg zum Erlebnisberg zu machen?

Beritelli: Der Betrag ist nicht das Entscheidende, wichtiger ist die permanente Weiterentwicklung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Beispiel Mystery Park in Interlaken hat gezeigt, dass das nicht funktioniert: Im ersten Jahr kamen die Besucher, im zweiten blieben sie weg, weil nichts mehr Neues erzählt wurde.

Das Heididorf riecht auch ein wenig nach Europapark auf dem Berg. Allerdings sucht man auf dem Flumserberg seit längerem nach Investoren für Hotels, bisher vergeblich.

Beritelli: Eine Europapark-Kopie wäre hier am falschen Platz. Das Angebot muss sich anlehnen an das, was bereits besteht. Das Erlebnis muss in der Natur passieren. Bei Hotelbauten bin ich skeptisch: Betten sollten die Folge der Nachfrage bei den Gästen sein. Man kann die Rückgänge bei den Logiernächten nicht mit Hotelneubauten retten. Beispiele zeigen aber, dass es in einzelnen Fällen auch umgekehrt funktioniert.

Wie schwierig ist es heute, Investoren für Projekte in Tourismusregionen zu finden?

Beritelli: Sehr schwierig. Andermatt war da ein Glücksfall. Nicht selten gibt es auch eine Vermischung zwischen Tourismus und Immobilienhandel. Flumserberg hat ein grosses Einzugsgebiet, ist mit Auto- und Eisenbahn gut erschlossen – das sind in der Regel gute Voraussetzungen für die Suche nach Investoren.

Welche Rolle kommt dem Kanton St. Gallen am Flumserberg zu?

Beritelli: Er hat sich am Entwicklungskonzept beteiligt, hat die Akteure zusammengebracht, um zu definieren, was man will, wenn ein Investor da ist.

Das Wintersport- und Wandergebiet liegt in schneekritischer Höhe. Ist die Heididorf-Offensive nicht der Not geschuldet, dass der Wintertourismus ein Auslaufmodell ist?

Beritelli: Der Ausbau ist notwendig. Der Ansatz, den Sommertourismus zu stärken, wird von den Bergbahnen schon länger verfolgt. Es ist heute wichtig, auf beide Standbeine zu setzen.

Verfolgen Sie den Liveticker zur Medienorientierung ab 10.15 Uhr auf www.tagblatt.ch

Blick auf den Parkplatz bei der Talstation der Flumserbergbahnen im Tannenboden. (Bild: Ralph Ribi)

Blick auf den Parkplatz bei der Talstation der Flumserbergbahnen im Tannenboden. (Bild: Ralph Ribi)