Der seelische Druck in Familien mit schwerkranken Kindern ist meist enorm. Ihnen Zeit zu schenken, das ist die Idee der Stiftung Pro Pallium. Freiwillige zu finden, ist schwierig. Aus Wittenbach kommen gleich zwei von schweizweit 57.
WITTENBACH. Anspannung, Ängste, Beziehungskonflikte, schwierige Entscheidungen oder organisatorische Probleme. Für Familien mit behinderten oder schwerkranken Kindern gehört das zum Alltag. «Sobald ein behindertes Kind da ist, dreht sich die ganze Familienagenda nur um dieses», weiss Susanne Rüesch. Die gelernte Krankenschwester und Mutter von drei erwachsenen Kindern war jahrelang in der Kinderspitex tätig. Heute arbeitet sie 40 Prozent beim Spitexverein Wittenbach-Häggenschwil-Muolen und seit einem Jahr als Freiwillige für Pro Pallium, die Schweizer Palliativstiftung für Kinder und junge Erwachsene.
Die Palette der Einsätze ist breit: Mit den Kindern Klötzchen stapeln, spazieren gehen, die Familie zur Therapie begleiten, einen Ausflug machen oder einfach nur da sein. «Es geht darum, der Familie das zu geben, was sie braucht und sonst nicht bekommt», sagt Susanne Rüesch. Das Angebot von Pro Pallium ist für die Familien gratis und so könne es auch sein, dass die Freiwilligen mit der Mutter eines kranken Kindes einen Abend lang Kaffee trinken und zuhören. «Das würde keine Krankenkasse zahlen», sagt Susanne Rüesch. Sie ist sich bewusst, dass sich die Probleme der Familien dadurch nicht einfach lösen lassen. Höchstens ein bisschen anders gestalten. «Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Susanne Rüesch. «Aber ein wichtiger», ergänzt Gabi Sieger. Sie koordiniert die Familienbetreuung für Pro Pallium in den Kantonen St. Gallen und Zürich.
Gegründet wurde die Stiftung mit Sitz in Olten vor zehn Jahren. Eine Ausweitung auf die Ostschweiz sei aber erst vor zwei Jahren möglich geworden. Dank einer grosszügigen Spende, wie Gabi Sieger sagt. So habe sie ihr Pensum aufstocken können, um auch die Ostschweiz zu betreuen. Schweizweit sind aktuell 57 Freiwillige zwischen 20 und 71 Jahren für Pro Pallium tätig. Neun davon im Grossraum St. Gallen, vom Rheintal bis nach Wil. Die Idee ist es, eine Familie langfristig zu betreuen. In der Schweiz sterben jedes Jahr etwa 500 Kinder zwischen 0 und 18 Jahren krankheitsbedingt.
Freiwillige zu finden, ist laut Gabi Sieger schwierig. «Vor allem in der Ostschweiz.» Unter anderem müssen sich Interessierte bewerben und Schulungen in Olten absolvieren, also nicht gerade um die Ecke. Ausserdem muss die Ausbildung zuerst selber bezahlt werden. Erst wer zwei Jahre für Pro Pallium tätig war, erhält das ganze Geld zurück. Dies, um auszuschliessen, dass Leute die Ausbildung machen, ohne später im Einsatz zu sein. «Als Stiftung könnten wir uns das nicht leisten.»
Dass gleich zwei der neun Freiwilligen der Region aus Wittenbach kommen, ist kein Zufall. Susanne Rüesch kennt Gabi Sieger seit ihrer gemeinsamen Zeit als Krankenschwester. Und die Wittenbacherin hat im Dorf von Pro Pallium erzählt. Was Rüesch überrascht hat: Gleich zwei Frauen haben sich näher interessiert, Ruth Keller ist inzwischen ebenfalls für die Stiftung tätig, nicht als Primarschulratspräsidentin, sondern als Privatperson.
Was brauchen Familien mit todkranken Kindern? Dieser Frage ging Pro Pallium in einer Studie nach. «Dabei hat man festgestellt, dass es spitalintern viele gute Angebote gibt, ambulant aber ein grosses Manko besteht», sagt Gabi Sieger. Pro Pallium versteht sich als ambulanter Kinderhospizdienst, der eng zusammenarbeitet mit Kinderspitälern und Kinderspitex. Unter anderem sei man auch vernetzt mit der Stiftung Sternschnuppe. Wobei es vor allem darum gehe, den Familien, und speziell den kranken Kindern, schöne Erlebnisse zu schenken. Oder den häufig alleinerziehenden Müttern Zeitfenster, in denen sie aufatmen und in einen Verein oder mit einer Freundin ins Kino gehen können. Aufgaben, die sonst Babysitter oder Grosseltern übernehmen. Bei schwerkranken Kindern sind sie oft überfordert.
Nicht über-, aber gefordert ist Susanne Rüesch. «Es ist nicht zu unterschätzen, was die Einsätze bei einem selbst bewirken», sagt sie. Zu Beginn betreute sie eine Familie mit Zwillingen, jeweils einige Stunden pro Woche. Ein Kind leidet an der Glasknochenkrankheit, die Mutter ist selber handicapiert. Zu spüren, wo man sich einbringen soll und wo abgrenzen, sei eine Gratwanderung und Herausforderung zugleich. Susanne Rüesch ist aber überzeugt, dass die Einsätze für beide Seiten ein Gewinn sind. «Die alleinerziehende Mutter schätzt es besonders, dass jemand regelmässig zu ihr heimkommt und sie die Kinder nicht weggeben muss. Und dass das Angebot kostenlos ist.» Susanne Rüesch ihrerseits ist gelassener geworden. Der Horizont öffne sich, sagt sie. «Und einiges im Leben relativiert sich.»