Die Liebe ist mit älter geworden

Lange Liebesgeschichten sind rar in Zeiten, wo jeder frei ist, zu gehen, wann er will. Margrit und Fredy Germanns Leben ist geprägt von Beständigkeit und Gemeinsamkeiten. Heute feiern sie 60. Hochzeitstag – mit Schnitzel und Pommes frites.

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Margrit und Fredy Germann in ihrer Wohnung im Seniorenzentrum Eggersriet. Heute Samstag feiern sie ihre diamantene Hochzeit. (Bild: Hanspeter Schiess)

Margrit und Fredy Germann in ihrer Wohnung im Seniorenzentrum Eggersriet. Heute Samstag feiern sie ihre diamantene Hochzeit. (Bild: Hanspeter Schiess)

EGGERSRIET. Ausgerechnet jetzt hat sich an ihrer Bluse ein Knopf gelöst. Margrit Germann fädelt eine Nadel ein, aber vor dem Fototermin reicht es nicht mehr zum Nähen. Die gelernte Damenschneiderin zupft noch kurz den Hemdkragen ihres Mannes zurecht. «Ächli schöner machen», sagt sie. Er lacht. Krawatten habe er keine mehr, nur noch eine Militärkrawatte. «Für Beerdigungen.»

Ein Buffet zum Hochzeitstag

Dann setzen sich die beiden in ihre bequemen Sessel: Fredy Germann, 90, der von vielen auf zehn Jahre jünger geschätzt wird. «Ich habe auch mein Leben lang Sport getrieben.» Margrit Germann, 82, die Details ihres langen Lebens wie auf Knopfdruck abrufen kann. «Man merkt schon, dass man älter wird.» Hinter ihnen ein Zeitzeuge einer Generation, die noch nicht zur Wegwerfgesellschaft gehört. Das alte Buffet, gekauft zur Hochzeit 1953. Horrende 2000 Franken habe es gekostet, sagt er. «Aber wir mussten es einfach haben. Es ist so schön.»

Geschnitzte Ankerbilder

Genau wie die Schnitzereien auf dem Buffet. «Weisch no, woni gschnitzt ha?», fragt er. Sie sieht ihn an. «I weiss scho. Woni gseit ha, jetzt gang ämol.» Das war vor rund 40 Jahren, als ihr Mann noch «keinen blassen Schimmer» vom Schnitzen hatte und sich zu einem Klubschule-Kurs anmeldete. Der Lehrer habe rasch gemerkt, dass er ihm nicht viel beibringen könne. «Ich war ein guter Schüler», sagt Fredy Germann stolz. «Öppä 30 Helgen», habe er über die Jahrzehnte geschnitzt, viele nach Bildern von Albert Anker. Noch 2011 stellte er seine Werke an den Künstlertagen im Gruberhof aus.

Fredy Germann steht auf, geht ins Schlafzimmer, nimmt eine weitere, wunderbar detailgetreue Schnitzerei von der Wand. «Meiner lieben Frau Margrit», steht auf der Rückseite. «Zu Weihnachten 1981.» Margrit Germann seufzt. «Das war einmal.»

Tanzen im «Schützengarten»

Genau 60 Jahre sind es heute Samstag her, seit Margrit Stricker und Fredy Germann geheiratet haben – sie im selbst geschneiderten Hochzeitskleid. Die Grundlage ihrer Liebe sind ihre drei Kinder und die gemeinsame Freude an der Natur. «Mir hends guät gha.» Die Liebe, die habe sich schon verändert. Und es habe auch Dinge gegeben, die nicht hätten sein sollen. «Aber das haben wir vergessen», sagt er. «Ja, ja, das war einmal», pflichtet sie ihm bei.

Kennengelernt haben sich die beiden 1952 in St. Gallen, beim Tanzen im «Schützengarten». Erst später haben sie gemerkt, dass sie im gleichen Haus an der Davidstrasse arbeiten, sich aber nie begegnet sind. Sie, Damenschneiderin und eine Frau, die wusste, was sie will. Er, Lithograph, 48 Jahre bei der Firma Eidenbenz, Leichtathlet, Hobbyfotograf, Pfeifenraucher und Berggänger bis ins hohe Alter. Ihn hat Margrits Typ beeindruckt und ihre Freude an der Natur. Ihr hat das Zusammensein mit ihm gefallen. Und beiden die Gemeinsamkeiten ihrer Familien: Beide Väter waren Eisenbähnler, Fredy Germanns Schwester ebenfalls Damenschneiderin.

Bescheidenheit und Beständigkeit bestimmen ihr Leben. 26 Jahre wohnte die Familie in einer Genossenschaftswohnung in St. Georgen, 31 Jahre in einem Haus in Eggersriet. Mit Garten, Bänkli und «super Verhältnis» zu den Nachbarn. «Wir haben es genossen.» Belastend hingegen war die Behinderung von Tochter Elisabeth, ausgelöst durch eine Blutgruppe mit anderem Rhesusfaktor als jenem der Mutter. «Man hat uns damals verurteilt, dass wir Elisabeth zur Ausbildung weggegeben haben.» Aber das habe sich hundertfach gelohnt. Heute lebe ihre 56jährige Tochter selbständig in der Sonnenhalde in Rotmonten. Die Mutter weiss indes nicht, wie sie die Belastung verkraftet hätte ohne Teilzeitarbeit. «Ich musste einfach unter die Leute.»

Schnitzel zur Feier des Tages

Spezielle Pläne für ihren heutigen 60. Hochzeitstag haben Germanns nicht. Aber das Mittagessen dürfen sie sich wünschen im Seniorenzentrum Eggersriet, wo sie seit zwei Jahren wohnen. Schnitzel mit Pommes frites gebe es, verrät sie. Ihr Mann setzt zu einem Handkuss an. Beide lachen verschmitzt. «Ja, ja, das war einmal.» Corinne Allenspach