Der letzte kleine Schalter schliesst

ST.GALLEN. St.Gallen-Haggen ist der letzte Quartierbahnhof mit bedientem Schalter – aber nicht mehr lange: Ab Mitte Dezember gibt es auch in Haggen nur noch Tickets vom Automaten. Das wird zwar bedauert, Proteste sind aber ausgeblieben.

Christina Weder
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Bald ist der Schalter verwaist: Nur noch drei Wochen lang bedient Ernst Kugler Kunden im Bahnhof Haggen. (Bild: Ralph Ribi)

Bald ist der Schalter verwaist: Nur noch drei Wochen lang bedient Ernst Kugler Kunden im Bahnhof Haggen. (Bild: Ralph Ribi)

Werktags, punkt 7.45 Uhr, öffnet Ernst Kugler den Schalter am Bahnhof St.Gallen-Haggen. Noch. Denn seine Arbeitstage in Haggen sind gezählt. Auf den Fahrplanwechsel vom 15. Dezember schliesst die Südostbahn (SOB) den letzten bedienten Bahnschalter in der Stadt neben dem Hauptbahnhof.

Bis dahin verkauft Kugler in Haggen noch Bahnbillette, stellt Reisearrangements zusammen, gibt Auskunft bei Fragen zum Fahrplan. Es sei ruhiger geworden, sagt er. Die Kunden werden weniger. Aber jene, die noch kommen, versichern ihm alle: «Schade, dass Ihr aufhört.»

Automat statt Bahnhofvorstand

Auch eine Leserbriefschreiberin zeigt sich in dieser Zeitung enttäuscht: «Wir waren stolz auf unseren Bahnhof», schreibt sie und erinnert sich an eine Zeit zurück, als der Bahnhofvorstand in Haggen die Kunden werk- wie sonntags bis in die späten Abendstunden bediente. Stattdessen stehe nun ein Automat auf dem Perron, «um den vor allem ältere Menschen einen Bogen machen».

Der Bahnangestellte Ernst Kugler weiss um dieses Problem. Wenn er von Kunden gefragt wird, verlässt er dieser Tage schon mal die Schalterhalle und erklärt draussen, wie der Ticketautomat funktioniert. Für das Quartier sei es ein Nachteil, dass der Schalter geschlossen werde, sagt er. Gerade für ältere Menschen, die Mühe hätten, den Automaten zu bedienen.

Raphael Frick, Vizepräsident des Einwohnervereins Bruggen, findet, dass ein Stück Nostalgie verloren gehe, wenn der Schalter verwaist zurückbleibt. Er bedaure das, verstehe aber die wirtschaftliche Lage.

Schalter nicht mehr rentabel

Ursel Kälin, Mediensprecherin der SOB, begründet die Schliessung denn auch damit, dass der Umsatz am Schalter rückläufig sei. «Dazu kommt der Kostendruck, den Bund und Kanton vorgeben», sagt sie. Der Trend ist klar: Elektronische Verkaufskanäle werden immer beliebter. Laut Ursel Kälin kaufen drei Viertel der Bahnreisenden ihr Ticket übers Internet oder lösen es am Automaten. Auch Reisen werden zunehmend übers Internet gebucht. Parallel dazu sinken die Verkaufszahlen am herkömmlichen Schalter. Gerade kleineren Bahnhöfen macht dies zu schaffen.

Das zeigt sich auch daran, dass Haggen der letzte kleine Bahnhof auf Stadtgebiet ist, den dieses Schicksal ereilt. In Bruggen, Winkeln und St. Fiden sind die Schalter längst geschlossen. Bruggen machte 1991 den Anfang. Die Wogen der Empörung schlugen damals hoch. Die Quartierbewohner wehrten sich zusammen mit Verbänden wie dem VCS gegen einen «Geisterbahnhof Bruggen», erinnert sich ein Journalist. Wenn keine Tickets mehr verkauft würden, befürchteten sie, würden bald auch keine Züge mehr halten.

Diese Befürchtung traf nicht ein. Nach der Schliessung mietete sich Martin Frischknecht mit seinem Reisebüro im alten Bahnhofgebäude ein und führte den Billettverkauf im gleichen Stil wie die SBB weiter. Die Proteste verhallten schnell. Das Reisebüro in Bruggen zählt noch heute zu einem von 14 Stationshaltern in der Schweiz.

Bahnhofgebäude anders genutzt

Als 2000/01 die Schalter am Bahnhof Winkeln und 2006 in St. Fiden geschlossen wurden, gab es in den Quartieren kaum noch Widerstand. Die Bahnhofgebäude werden seither anderweitig genutzt. In Winkeln mietete sich eine Fahrschule ein. In St. Fiden nutzen die SBB die ehemalige Schalterhalle unter anderem als Technikraum. Was mit dem Bahnhofgebäude in Haggen geschieht, ist laut SOB-Mediensprecherin Ursel Kälin noch offen. Der letzte Angestellte am Bahnhof Haggen, Ernst Kugler, wird an einem anderen Bahnhof – mit Schalter – beschäftigt.