Chef im «Gemischtwarenladen»

MÖRSCHWIL. Heute vor 20 Jahren hat Paul Bühler sein Amt als Mörschwiler Gemeindepräsident angetreten. Für ihn einer der schönsten Jobs, «wenn man sich politisch betätigen will». Er ist überzeugt, dass Mörschwil noch lange eigenständig bleibt.

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Rosige Aussichten: «Ich gehe immer noch jeden Morgen motiviert ins Büro», sagt Paul Bühler, der 1998 ins neue Gemeindehaus umgezogen ist. (Bild: Ralph Ribi)

Rosige Aussichten: «Ich gehe immer noch jeden Morgen motiviert ins Büro», sagt Paul Bühler, der 1998 ins neue Gemeindehaus umgezogen ist. (Bild: Ralph Ribi)

Herr Bühler, der 1. Oktober 1991. Woran erinnern Sie sich?

Paul Bühler: An die offizielle Amtsübergabe im Beisein des Bezirksammanns. Und dann bist du auf einmal Gemeindeammann – so hiess das damals –, trägst unheimlich viel Verantwortung und beschäftigst dich mit allem Möglichen, ohne eine Lehre für dieses Amt gemacht zu haben. Spannend. Eine Gemeinde in dieser Grösse ist ja wie ein Gemischtwarenladen.

Damals waren Sie 36 Jahre alt. Hätten Sie gedacht, dass Sie 20 Jahre später zwar in einem neuen Gemeindehaus, aber immer noch auf dem gleichen Posten sitzen?

Bühler: Jein. Ich habe eigentlich keine Lebensplanung gemacht. Nach meiner Verwaltungslehre in Mörschwil und fünf Jahren auf dem Grundbuchamt Gossau wechselte ich als Grundbuchverwalter zur Stadt Chur. Als im Frühling 1991 die Anfrage kam, ob ich mir vorstellen könne, wieder heimzukommen, habe ich mit meiner Familie lange die Vor- und Nachteile diskutiert.

Warum?

Bühler: In Chur gefiel es mir extrem gut. Hätte eine andere Gemeinde angefragt, ich hätte sicher Nein gesagt. Aber Mörschwil reizte mich. Eine intakte Gemeinde mit gutem Steuersubstrat.

Intakt ist ein gutes Stichwort. Mörschwil hat eine zeitgemässe Infrastruktur, keine finanziellen, sozialen oder Verkehrsprobleme. Wo liegt da die Herausforderung?

Bühler: Meine Amtskollegen meinen auch immer, Mörschwil habe keine Probleme, aber das stimmt nur bedingt. Wenn jemand viel Geld hat, stellt man auch andere Ansprüche. Und Forderungen, die andernorts gar nicht gestellt werden. Da auch einmal Nein zu sagen, ist nicht immer einfach. Zudem bleibt man nicht automatisch reich. Man muss dem guten Steuersubstrat auch Sorge tragen.

Die Gemeinde ist während Ihrer Amtszeit von rund 2600 auf 3500 Einwohner gewachsen. Wer passt eigentlich nach Mörschwil?

Bühler: Alle. Was man uns nicht vorwerfen kann, ist, wir hätten eine asoziale Politik betrieben. Als Gemeinde kann man ja nicht direkt beeinflussen, wer zuzieht.

Aber hohe Bodenpreise und Mietzinsen selektionieren automatisch.

Bühler: Darum hat die Gemeinde im Gebiet Hueb auch aktive Bodenpolitik betrieben. Wir kauften extra den Bauplatz mit 30 Parzellen, um diese während fünf Jahren gestaffelt an Mörschwiler Familien zu verkaufen. Hätten wir rein aufs Geld geschaut, hätte man mehr herausholen können.

Trotzdem: Mörschwil hat in der Region den Ruf eines Rosinenpickers. Profitieren von der Stadtnähe, aber sich rar machen, wenn es darum geht, Beiträge zu leisten.

Bühler: Das stimmt in den letzten Jahren definitiv nicht mehr. Wir haben uns verschiedentlich beteiligt, etwa an der Lokremise oder am Begegnungsplatz Kellen. Gegenteiliges müsste man mir eins zu eins beweisen.

Von den 85 Gemeindepräsidenten im Kanton St. Gallen sind rund ein Dutzend gleich lang oder länger im Amt als Sie. Was ist der Reiz an diesem Beruf?

Bühler: Wenn man sich politisch betätigen will, ist dies einer der schönsten Jobs, den man sich vorstellen kann. So vielfältig, jeder Tag ist anders, und man sieht am Schluss, was man gemacht hat.

Nach so viel Erfahrung wäre es doch Zeit für einen weiteren Schritt: Regierungsrat?

Bühler: Regierungsrat zu werden, kam für mich nie in Frage. Für den Kantonsrat habe ich einmal kandidiert, aber es hat nicht gereicht.

Ihr ehemaliger Amtskollege Albert Etter aus Wittenbach sagte bei seinem Rücktritt, den Job des Gemeindepräsidenten könne man höchstens drei Amtsdauern lang seriös machen. Ihre Meinung dazu?

Bühler: Das glaube ich nicht. Was heisst schon seriös, und ab wann wird es unseriös? Ich habe nicht das Gefühl, dass man nach 20 Jahren genügsamer wird. Was man mir sicher nicht vorwerfen kann, ist, dass wir wichtige Dinge haben liegen lassen.

Was waren Ihre grössten Erfolge?

Bühler: Da gibt es verschiedene, öffentliche und stille. Zu den öffentlichen gehört sicher die Einweihung des neuen Gemeindehauses 1998, des Werkhofs 2006 und der Dreifachhalle 2010. Zu den stillen die Geburtstagsbesuche bei Senioren oder wenn Bürger vorbeikommen und einfach danke sagen.

Und Ihre grösste Niederlage?

Bühler: Niederlage nicht gerade. Aber dass wir bis jetzt keine Lösung haben für den «Freihof», diese Sache hätten wir gerne erledigt.

Was fehlt noch in Mörschwil?

Bühler: Ich würde 2015 gerne die Einweihung des neuen Altersheims mit 55 Plätzen erleben. Damit fällt auch das Schmarotzertum weg, das uns immer wieder unterstellt wird. Das Heim ist auch offen für Auswärtige. Schliesslich profitierten wir jahrelang von Heimen in der Region. Zudem müssen wir Richt- und Zonenpläne revidieren. Wir haben absolut kein Bauland mehr.

Sie kandidieren 2012 also wieder?

Bühler: Ohne meiner Partei vorgreifen zu wollen: Ich hoffe, dass ich 2012 wieder gewählt werde.

Mörschwil in zehn Jahren: Noch immer eigenständig oder ein Anhängsel der Stadt?

Bühler: Ich bin überzeugt, dass wir noch eigenständig sind.

Mit Ihnen als Gemeindepräsident?

Bühler: In zehn Jahren? Sicher nicht. Mit 66 Jahren werde ich an solchen Tagen wie heute irgendwo auf einem Hügel sünnälä. Sofern es die Gesundheit zulässt.

Interview: Corinne Allenspach