Bis es fast die Haut zerreisst

ENGELBURG. Schwerelos sieht es aus, kräftezehrend ist es in Wirklichkeit: Polefitness. Die Engelburgerin Eveline Wild unterrichtet Frauen, die lernen möchten, wie das geht. Und am Wochenende erkämpfte sie sich den Titel «Miss Polefitness St. Gallen».

Nina Rudnicki
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Eveline Wild trainiert an der Polestange die Figur des Schwans. (Bild: Nina Rudnicki)

Eveline Wild trainiert an der Polestange die Figur des Schwans. (Bild: Nina Rudnicki)

Es quietscht, als sich Eveline Wild im Kreis herumschwingt, die Poledance-Stange in der Kniekehle eingeklemmt. Und als sie sich zu Boden gleiten lässt, hört es sich an, als ob die Haut zerreisst. Eins ist schnell klar: Polefitness ist nichts für Schmerzempfindliche. Wer die Stange mit akrobatischen Übungen erobern will, braucht vor allem stahlharte Muskeln, viel Kraft und Ausdauer. «Nicht einmal nach dem Thaiboxen habe ich so viele blaue Flecken wie nach dem Polefitness», sagt die Engelburgerin als sie wieder festen Boden unter den Füssen hat. Sie streicht sich über die Innenseite des Oberschenkels, die wundgerieben ist.

Elegant an Stangen klettern

Erst zwei Tage sind es her, dass Eveline Wild in der Shopping Arena zur Miss Polefitness St. Gallen gekürt wurde. Am Montagabend unterrichtet sie aber bereits wieder in einem Polestudio in Zürich drei Frauen der Stufe acht – das höchste Level der Anfänger. Stufe acht, das bedeutet, die Stange hochklettern und dabei erst noch sexy aussehen. Einer Schülerin, die das gerade versucht, rät Eveline Wild: «Wenn du dich mit den Knien an der Stange hoch stösst, dann mach ein hohles Kreuz. Das sieht eleganter aus.» Als ob das nicht schon genug schwierig wäre, Stufe acht bedeutet noch mehr. Etwa kopfüber in der Luft zu hängen und sich dabei nur durch die Muskelkraft der Oberschenkel an der Stange zu halten.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem Eveline Wild nicht an der Stange übt. Wenn sie nicht unterrichtet, dann trainiert sie selbst – trotz Schürfungen, blauer Flecke und Gelenkschmerzen. Denn in zwei Monaten wird sie um den Titel der Miss Polefitness Schweiz kämpfen. Musik, Choreographie und Outfit, alles muss perfekt sein, um die Jury zu überzeugen. «Was ich genau zeigen werde, weiss ich noch nicht», sagt sie. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich in St. Gallen gewinne.» Ihr entscheidender Vorteil sei die Beweglichkeit, schätzt Eveline Wild sich selbst ein. Und das zahle sich bei den Poletricks aus. Die Beweglichkeit hat sich die 32-Jährige während vieler Jahre angeeignet – mit dem Polefitness hat sie nämlich erst vor zwei Jahren angefangen. Davor hat sie neben Thaiboxen Bikram-Yoga gemacht – also Yoga in einem 40 Grad warmen Raum – und Anti-Gravity-Yoga, bei welchem man in der Luft in rote Tücher eingewickelt trainiert. Und noch früher, als Kind und später als Jugendliche, war Eveline Wild Geräteturnerin beim TSV Engelburg.

Dass Eveline Wild schliesslich beim Polefitness gelandet ist, ist einem Zufall zu verdanken. Im Ausgang nämlich traf sie auf Daniela Baumann, die Ex-Frau von DJ Bobo und Besitzerin der Polestudios Loft 1. «Ich sprach sie auf das Polefitness an und sie überzeugt mich schnell, dass ich es einfach einmal ausprobieren sollte», sagt sie. Als sie dann zum ersten Mal im Polestudio gewesen sei, habe sie sich sofort mit der Stange vertraut gefühlt. «Der Ehrgeiz hatte mich gepackt, vor allem weil es extrem viel Kraft in den Armen und im Bauch braucht.»

Üben mit Schlangenmenschen

Während sich Eveline Wild scheinbar federleicht an der Stange bewegt, mag es manch einer Frau aussichtslos erscheinen, sich jemals so bewegen zu können. «Man darf sich nur nicht entmutigen lassen», sagt sie. «Beweglichkeit kann man in jedem Alter trainieren und mit Polefitness jederzeit anfangen.»

Das lässt Hoffnung aufkommen. Vielleicht ist es ja doch möglich, eines Tages elegant und im hohlen Kreuz Stangen hochzuklettern, den Spagat nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft zu beherrschen und keine Angst vor der Schwerkraft zu haben. «Ausgelernt hat man nie», sagt Eveline Wild. «Auch ich habe, um besser zu werden, einen Schlangenmenschen-Kurs besucht.»