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Ostschweiz
Die Verlegung des Standorts Altenrhein in ein neues Produktionswerk in St. Margrethen soll den Schienenfahrzeugbauer nicht nur effizienter und damit wettbewerbsfähiger machen, sondern auch attraktiver als Arbeitgeber.
86 Millionen Franken investiert Stadler in sein neues Werk in St. Margrethen. «Wir könnten alles aus der laufenden Rechnung finanzieren», sagt Stadler- Inhaber und Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler. Aber das Unternehmen werde auch prüfen, eine kostengünstige Hypothek aufzunehmen. An den neuen Standort wird Stadler gemäss Plan zwischen Ende 2019 und Frühling 2020 den Löwenanteil des Werks Altenrhein zügeln. Dieses beschäftigt gut 1000 Mitarbeitende und ist das Kompetenzzentrum für Doppelstocktriebzüge des Typs Kiss. Ausserdem werden dort Strassenbahnen, meterspurige Schienenfahrzeuge und Reisezugwagen gefertigt, und 250 hochqualifizierte Mitarbeitende sind im Engineering beschäftigt und erbringen einen Teil ihrer Dienstleistungen für die ganze Stadler-Gruppe, etwa bei den Berechnungen und Zulassungen.
Am Spatenstich auf dem Altfeldareal in St. Margrethen nannte Spuhler am Mittwoch den Neubau erneut «ein klares Bekenntnis zum Werkplatz Schweiz, an den ich glaube». Dem Entscheid zur Züglete waren laut dem Patron innerhalb der Konzernleitung heftige Debatten vorausgegangen. Zur Diskussion stand auch eine Verlagerung des Standorts Altenrhein ins weitaus kostengünstigere Osteuropa. Der Verwaltungsrat entschied sich dann aber laut Spuhler einstimmig für St. Margrethen. Seine Bedingung: «Die Produktion darf hier nicht teurer sein als am alten Standort, und die Effizienzgewinne müssen die Wettbewerbsfähigkeit Stadlers auf den internationalen Märkten aus dem Standort Schweiz heraus erhalten und festigen.»
Von substanziellen Effizienzgewinnen zeigen sich sowohl Spuhler als auch Markus Sauerbruch überzeugt. Er muss es wissen, ist er doch nicht nur Leiter der Stadler-Division Schweiz mit 3000 Angestellten, sondern auch Chef des Werks Altenrhein. Dieses ist 100 Jahre alt und wurde einst von Claude Dornier für den Bau von Flugzeugen gegründet. Nicht nur ist das Werk veraltet, es macht auch Arbeitsprozesse und den Materialfluss kompliziert und langwierig, wie Sauerbruch erläutert.
Konkret sagt Sauerbruch, die Infrastruktur in Altenrhein genüge den Ansprüchen der Fertigung der Wagenkasten für die Doppelstöcker der grossen S-Bahnen nicht mehr. So seien die Hallen nicht an allen Stellen ausreichend breit und hoch. Dadurch kann Stadler beispielsweise die Dächer der Wagen nur in ganz bestimmten Zonen montieren, und bis ein Wagen fertig ist, hat er rund einen Kilometer durch das Werk zurückgelegt, weil er immer wieder an einen anderen Ort verschoben werden muss. Dieser Materialfluss äussere sich nicht in Wertschöpfung, sagt Sauerbruch. Im Gegenteil: «Es kostet Zeit und damit Geld.» Am neuen Standort in St. Margrethen dagegen werden die Wagenkasten für die Endmontage an einem Platz positioniert, und die Arbeit wird aus einem Guss erledigt.
Der neue Standort hat noch weitere Vorteile. So ist es von Altenrhein hierher ein Katzensprung, was es Stadler erlaubt, die Belegschaft und damit deren Eisenbahn-Know-how zu behalten. Ausserdem kommt das neue Werk direkt hinter dem Bahnhof zu liegen, was Pendlern, die mit dem Zug zur Arbeit kommen, die An- und Heimreise erleichtert.
Nicht zuletzt erwartet Sauerbruch auch, dass Stadlers Attraktivität als Arbeitgeber steigt – zumal die Gruppe am Standort ihres Hauptsitzes in Bussnang und in Altenrhein 150 offene Stellen ausgeschrieben hat. «In einem brandneuen, topmodernen Unternehmen zu arbeiten, ist sicher attraktiver als ein hundertjähriges Werk», sagt Sauerbruch. Spuhler nennt den Standort Altenrhein denn auch «ein Industriemuseum», das «hohe Investitionen» erfordert hätte. Ganz gibt Stadler die Präsenz freilich nicht auf, verbleibt doch die Aluminium-Detailfertigung in Altenrhein in einer Halle, die erst vor zehn Jahren errichtet worden ist. Diese beherbergt eine 40 Meter lange Fräsmaschine samt spezieller Unterfütterung, für die man insgesamt 10 Millionen Franken ausgegeben hat. Eine Verschiebung nach St. Margrethen wäre aufwendig und teuer. Was jedoch passiert, wenn dereinst Ersatz nötig ist, vermag Spuhler heute noch nicht zu sagen. Vorerst jedenfalls bleibt die Abteilung mit 50 bis 70 Leuten in Altenrhein.
Das Altfeldareal in St. Margrethen misst 65000 Quadratmeter. Das entspricht der Fläche von neun Fussballfeldern. Die Hälfte des Areals wird überbaut, mit einer Bruttogeschossfläche von 40000 Quadratmetern.
«Wir sind Stadler», jubelt der St. Margrether Gemeindepräsident Reto Friedauer am Spatenstich. «Das ist der Lottosechser für unsere Gemeinde.» Die Euphorie ist den Gewinn- und Unternehmenssteuern zuzuschreiben, die der 7000-Seelen-Gemeinde ab 2020 zufliessen werden. Wie viel das sein wird, weiss Friedauer noch nicht, «aber unsere Steuerkraft von heute 1800 Franken pro Kopf wird wohl kräftig wachsen. Wir haben auch einiges aufzuholen.» Mit Stadler, künftig der grösste Arbeitgeber der Gemeinde, kehrt nicht nur Leben auf der Industriebrache auf dem Altfeldareal in Bahnhofsnähe ein, auch die Zahl der Arbeitsplätze wächst von heute 3200 auf über 4000.
Das Altfeld hat eine bewegte Vergangenheit. 1876 wurde auf dem Areal die Hiag gegründet, die hier bis Anfang der 1990er-Jahre ein Holzhandelsunternehmen betrieb. Abgesehen von einigen Zwischennutzungen liegt das 65000 Quadratmeter grosse Areal bis heute brach. Das 2006 lancierte 300-Millionen-Projekt «Europuls» scheiterte. Auch Pläne des Zolls für eine Prüf- und Abfertigungshalle für den Schwerverkehr wurden wieder verworfen.