Simon Enzler tourt derzeit mit «Primatsphäre» durch die Deutschschweiz. Der Appenzeller Kabarettist blickt zufrieden auf die erste Tourneehälfte zurück, ist überzeugt von der positiven Wirkung des Fluchens und erklärt, warum er sich im Stau nicht aufregt.
Interview: Tobias Hänni
Simon Enzler, in Ihrem aktuellen Programm «Primatsphäre» fluchen Sie wieder oft und leidenschaftlich. Wie ist das abseits der Bühne, in welchen Situationen fluchen Sie?
Beim Autofahren. Ich reise ja für die aktuelle Tour quer durch die Schweiz. Ich bin ein wahnsinnig ruhiger und gemütlicher Autofahrer, ich fahre frühzeitig los und konstant 120 Stundenkilometer. Und wenn mich dann so ein aggressiver Vollidiot in meiner Zufriedenheit stört, dann werde ich rasend. Dann fluche ich richtig los.
Dann geht es Ihnen besser?
Es hilft, den Ärger loszuwerden. Den kann man nicht kontrollieren, höchstens unterdrücken. Und wenn man Emotionen unterdrückt, kommt selten etwas Gutes dabei heraus. Wissenschafter haben herausgefunden, dass fluchende Menschen gesünder leben. Interessanterweise können sie besser mit Stress umgehen. Wer flucht, ist leistungsfähiger und resistenter. Umgekehrt heisst das: Menschen, die nicht fluchen, sind Weicheier. (lacht)
Wir Schweizer machen ja lieber die Faust im Sack. Sollten wir das Fluchen mehr als den «ehrwürdigen Akt» sehen, als den Sie es in Ihrem aktuellen Programm bezeichnen?
Bei den Deutschen sagt man, sie gingen in den Keller, um zu lachen. Die Schweizer stehen hinter den Stubenvorhang, wenn sie fluchen. Das finde ich schlecht. Auch meine zwei Buben hören mich mal ein «Himmelherrgottsakrament» rufen. Sie müssen lernen, mit Frust, Ärger und Schmerz umzugehen. Man soll zu seinen Emotionen stehen können und auch einmal sagen können, wenn einer «en dumme Saulaari» ist. Manche Leute werfen mir vor, dass ich auf der Bühne zu viel fluche. Meiner Generation hat man noch mit religiösen Argumenten eingetrichtert, dass man nicht fluchen dürfe. Das ist scheinheilig, weil es letztlich jeder macht. Dann sollte man doch einfach ehrlich sein.
Scheinheiligkeit und Heuchelei sind zentrale Themen in «Primatsphäre». Etwa in der Nummer, in der sich Ihre Bühnenfigur über die magere Kirchenspende des Nachbarn aufregt, nur um kurz darauf fürs Zehnernötli Wechselgeld aus dem Korb zu fischen.
Ich habe diese Widersprüche im Denken der Menschen immer sehr spannend gefunden. Indem ich sie in meine Bühnenfiguren einbaue, halte ich den Zuschauern einen Spiegel vor, ohne mit dem Mahnfinger zu wedeln. Die Menschen wollen nicht, dass da vorne einer steht, der ihnen sagt, wie sie denken und leben sollen. Deshalb gehen sie wohl auch nicht so gerne in die Kirche oder an ein Seminar. Sie wollen über die Unzulänglichkeiten anderer lachen. Mit meinen Figuren versuche ich dem Publikum jedoch so nahe zu kommen, dass es letztlich über sich selber lacht. Im besten Fall fällt dem Zuschauer dann der Fehler im eigenen Denken auf.
Und im schlechtesten Fall?
Im schlechtesten Fall denkt er wie jener Lokalpolitiker im Toggenburg, den mein Techniker in der Pause zu einem Kollegen sagen hörte: «Wenn man beim Enzler die Ironie weglässt, dann hat er recht.» Natürlich kann man die Ironie weglassen. Doch dann kann man beim Salami auch das Fleisch weglassen. Aber jeder, wie er will. Ich habe die naive Illusion längst abgelegt, dass jeder meine Geschichten so versteht, wie ich sie mir im stillen Kämmerlein zurechtlege.
Dass die Engstirnigkeit, die rassistischen Sprüche und die Ignoranz Ihrer Bühnenfiguren ironisch gemeint sind, versteht nicht jeder?
Verstehen könnte es jeder, aber es will nicht jeder verstehen. Leute mit einer gewissen politischen Einstellung sind nicht mehr gewillt, eine andere Sicht zuzulassen. Ihre Meinung zählt, Punkt. Die hören dann bei mir, was sie hören wollen. Und nicht das, was drinsteckt.
Dann erhalten Sie viele negative Reaktionen auf Ihr Programm?
Nicht mehr und nicht weniger als bei früheren Programmen. Manchen Leuten bin ich zu böse, zu zynisch, zu viel am stänkern. Na, dann sollen sie meinetwegen zu Hause bleiben und Germanys Next Top Model schauen.
Sie klischieren auf der Bühne den bünzligen Innerrhödler, der sich an Traditionen festklammert. Sind diese nicht wichtig, um sich in der heutigen, unsicheren Zeit noch zurechtzufinden?
Viele Leute ziehen einen Sennengürtel an, gehen an ein Älplerfest und meinen, sie seien traditionell. Dabei sind sie einfach konservativ. Sie sitzen auf einem toten Ross, in der Hoffnung, dass es wieder zu galoppieren anfängt. Tradition ist das Gegenteil. Im Wort steckt ja die Bewegung drin, das Weitergeben. Ein traditioneller Mensch ist offen und aufgeschlossen. Unabhängig davon finde ich die heutige Zeit nicht wahnsinnig unsicher, zumindest nicht hier in der Schweiz. Wir leben in einem Paradies, nur hat das noch nicht jeder gemerkt. Stattdessen werden Ängste kultiviert, bei denen ich mich frage, wo genau das Problem liegt.
Abgesehen von nervigen Autofahrern auf dem Weg zum nächsten Auftritt: Wie gefällt Ihnen das Tourneeleben?
Auf Arbeitstage heruntergerechnet sitze ich pro Jahr ungefähr drei Monate im Auto. Je länger ich auf Tournee bin, desto mehr gefällt mir das. Das Auto ist für mich wie eine Stube. Ich habe eine wunderbare Stereoanlage und höre tagelang Musik. Das ist herrlich. Und ich fahre so früh ab, dass es mir egal ist, wenn ich in einen Stau gerate. Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Autofahrer in der Schweiz, der sich nicht über Stau aufregt.
Sie sind seit über einem Jahr auf Tournee, zeigen Ihr Programm im Schnitt drei bis vier Mal pro Woche. Haben Sie nicht manchmal den Bühnenkoller?
Nein. Ich habe das Glück, dass ich meinen Job sehr gerne mache. Und sollte ich einmal den Bühnenkoller haben, dann muss ich aufhören. Ich glaube nicht, dass ich dann noch authentisch auftreten könnte.
Sie haben wirklich nie einen schlechten Tag?
Ich gehe nie mit schlechter Laune auf die Bühne. Vielleicht mal mit etwas weniger Energie. Das kann an kleinen Sachen liegen. So habe ich letzthin vor einem Auftritt eine Käseschnitte gegessen. Weil ich die dann verdauen musste, war der Auftritt deutlich anstrengender, ich musste mich viel stärker konzentrieren. Nach all den Jahren müsste ich Kalb es eigentlich wissen: Ein Salätchen ist besser.
«Primatsphäre» ist Ihr erstes Soloprogramm. Vermissen Sie manchmal Ihren langjährigen Bühnengefährten Daniel Ziegler?
Ich war sehr gerne mit Dani unterwegs. Er ist nach wie vor einer meiner engsten Freunde, dieses Jahr fahren wir wieder gemeinsam in die Ferien. Aber ich geniesse es derzeit, alleine unterwegs zu sein. Es war schon seit Jahren mein Wunsch, ein Soloprogramm auf die Beine zu stellen. Und ich bin absolut begeistert von Danis Soloprogramm. Er ist einer der lustigsten Menschen, die ich kenne.
Und wie ist das, zwei Stunden alleine auf der Bühne zu stehen?
Es ist intensiver als zuvor, die Abende gehen schneller vorbei. Dass ich alleine bin, macht es aber auch etwas einfacher, weil ich die Spannung des Publikums nie aus der Hand gebe.
Ist das nicht auch körperlich ziemlich anstrengend?
Nach drei, vier Auftritten in einer Woche bin ich schon müde. Und es ist eine Belastung für die Stimme, die ist nach einer solchen Woche etwas dünn.
Etwas Luft verschafft Ihnen zwischendurch Ihr Bühnentechniker mit einer Licht- und Musikeinlage.
Die Nummer haben wir nicht in erster Linie eingebaut, damit ich verschnaufen kann, sondern um den Rhythmus zu brechen. Wenn sich Nummer an Nummer reiht, kann es eintönig werden. Das Technikersolo schafft einen Bruch im Ablauf, es passt nicht wirklich ins Programm und überrascht deshalb das Publikum. Das bringt die Aufmerksamkeit zurück.
Sie treten mit «Primatsphäre» hauptsächlich auf Kleinbühnen auf. Gefällt es Ihnen auf diesen besser als in grossen Hallen?
Für Kabarett gibt es eine optimale Grösse. Und die liegt nicht bei 800 Zuschauern, sondern bei 150 bis 300. Mir ist es wichtig, dass mich auch die hinterste Reihe versteht. Ein Theaterbesuch soll einen Mehrwert bieten. Sonst kann man sich genauso gut eine DVD kaufen.