Die St.Gallerin Angela Heeb pflegt Brieffreundschaften mit Gewaltverbrechern aus den USA. Sogar bei einer Hinrichtung war sie schon dabei. Sie grenzt sich emotional stark ab – und würde nie einem Gefangenen in der Schweiz schreiben.
Nein, Gefühlsduselei ist nicht die Sache von Angela Heeb, wie folgender Satz zeigt:
«Sterben müssen wir alle einmal. Bei meinen Brieffreunden aus den USA passiert das einfach auf eine andere Art.»
Die 62-Jährige aus St.Gallen schreibt gerne Briefe. Und hat sich für die Ausübung ihres Hobbys auf ganz spezielle Adressaten konzentriert: Menschen, die in den USA in einer Todeszelle sitzen.
Angela Heebs erster Brieffreund hiess Dale. Jahrgang 1955, Doppelmörder aus dem Bundesstaat Texas. Er hatte bei einer Abrechnung im Drogenmilieu zwei Menschen erschossen. Den Kontakt zu ihm möglich machte Lifespark, eine Schweizer Organisation, welche sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt und Brieffreundschaften mit Todeskandidaten in den USA vermittelt.
«Ich schrieb schon früher gerne Briefe», blickt Angela Heeb zurück. Als sie am TV eine Reportage über eine Frau sah, die in brieflichem Austausch mit einem zum Tode Verurteilten stand, beschloss sie, es ihr gleichzutun. Und zwar nicht primär aus Mitleid mit Menschen, die in einer Todeszelle sitzen – einem Gefühl, das viele Menschen dazu bringt, Brieffreundschaften mit Todeskandidaten zu schliessen. Angela Heebs Motivation war ganz praktischer Art:
«Ich wollte mein Englisch auffrischen. Jemand, der im Gefängnis sitzt, hat genug Zeit, um mir regelmässig zurückzuschreiben.»
Der Aspekt, ihrem Brieffreund aus der Todeszelle mit dem Austausch etwas Gutes zu tun, sei erst im Lauf der Zeit hinzugekommen.
Der Gedanke, mit einem Doppelmörder in Kontakt zu treten, schreckte die in Appenzell aufgewachsene Frau nicht ab. «Jeder Mensch hat seine guten und schlechten Seiten», sagt die gelernte KV-Angestellte, die mittlerweile frühpensioniert ist.
Anfangs ein- bis zweimal pro Monat, später wöchentlich gingen ab 1999 Briefe zwischen St.Gallen und Texas, zwischen Angela Heeb und Todeskandidat Dale, hin und her. Die Ostschweizerin schrieb über ihren Beruf, Hobbys und ihren Alltag; der Amerikaner über das Leben im Gefängnis, seine Familie und Depressionen. Schon bald besuchte die St.Gallerin ihren Brieffreund im Gefängnis. Im nachfolgenden Bild sind die beiden auf der Aufnahme links zu sehen:
Als schliesslich der Tag seiner Exekution festgesetzt wurde, stand für Angela Heeb fest, dass sie dem Wunsch ihres Brieffreundes entsprechen und in dessen letzten Momenten präsent sein wollte. «Ich war mittlerweile eine seiner engsten Bezugspersonen geworden», begründet sie. Überwindung habe sie dieser Schritt nicht gross gekostet, denn.
«Ich wusste ja von Anfang an, dass dieser Tag irgendwann kommen würde.»
Nach einem letzten Gespräch verfolgte Heeb durch eine Glasscheibe, wie Dale die Giftspritze verabreicht wurde. «Ich war im Schockzustand», blickt sie zurück. Seine Briefe hat sie seither nie mehr gelesen – «es wäre jetzt, nach seinem Tod, nicht mehr das Gleiche.» Dafür schmückt eine Schweizer Fahne nun Dales Grab auf dem Armenfriedhof in Huntsville: ein letzter Gruss seiner Brieffreundin.
Bereits bevor ihr erster Brieffreund hingerichtet wurde, nahm Angela Heeb Kontakt zu einem weiteren Todeskandidaten auf: Dennis, Jahrgang 1959, Mörder aus dem Bundesstaat Kalifornien. Er hatte bei einem Überfall einen Tankwart erschossen. Sie habe nach der Hinrichtung ihres ersten Brieffreundes nicht in ein Loch fallen wollen, wenn sie plötzlich keine Post mehr erhalte, begründet Angela Heeb. Deshalb schaute sie sich frühzeitig nach einem zweiten Brieffreund um.
Nicht allzu viel an Gefühlen investieren. Nicht alles glauben, was die Todeskandidaten schreiben. Niemals Geld schicken, ausser vielleicht für Briefmarken, Kaffee und Tee. Und vor allem: sich nicht verlieben. Diese Ratschläge gibt Angela Heeb Menschen, die mit zum Tode verurteilten Gefängnisinsassen eine Brieffreundschaft beginnen wollen. Sie persönlich habe sich immer gut abgrenzen können, sagt sie. Dazu trug auch bei, dass Heeb jeweils nicht einzig und allein in die USA reiste, um ihre Brieffreunde zu besuchen. Sie verband dies immer auch mit Ferien im Land und am Meer.
Gedanken an eine Beziehung mit einem Strafgefangenen habe sie nie gehabt, betont die ledige, kinderlose Angela Heeb. Sie geht auch nicht davon aus, dass sich einer ihrer Brieffreunde weitergehende Hoffnungen machte – sie habe ihnen nämlich durchaus auch von ihren Partnerschaften erzählt. Ratlos lassen die St.Gallerin Geschichten von Frauen zurück, die sich von verurteilten Mördern angezogen fühlen – sei es aufgrund eines Helfersyndroms oder einer diffusen Faszination für das Böse.
In ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis interessieren sich viele für Angela Heebs briefliche Kontakte zu Todeskandidaten. Sie sei aber auch schon mit Reaktionen wie «Du spinnsch doch!» konfrontiert worden, blickt die St.Gallerin zurück. Eine Kollegin habe sich zeitweilig sogar von ihr abgewandt – es war Angela Heeb egal. Auf die Frage, ob sie es sich auch vorstellen könne, Kontakt zu einem Strafgefangenen in der Schweiz aufzunehmen, winkt die 62-Jährige ab:
«Auf keinen Fall! Bei den Todeskandidaten aus den USA weiss ich, dass sie nicht mehr freikommen und nicht eines Tages bei mir zu Hause vor der Tür stehen.»
Angela Heebs dritter Brieffreund aus einer Todeszelle heisst Patrick: Jahrgang 1961, Mitläufer bei den sogenannten Texas Seven, einer Gruppe Strafgefangener, denen der Ausbruch aus einem Hochsicherheitsgefängnis gelang. Während ihrer Flucht verlor ein Polizist durch Schüsse sein Leben. Alle Festgenommenen, auch jene, die nicht geschossen hatten, wurden schliesslich zum Tod verurteilt – «frei nach dem Motto ‘mitgefangen, mitgehangen’», sagt Angela Heeb.
Angela Heeb spricht sich gegen die Todesstrafe aus: Weil diese die Anzahl der Gewalttaten nachweislich nicht senke und weil viel zu oft auch Unschuldige hingerichtet würden.
Bei Patricks Hinrichtung Ende März wird sie nicht dabei sein: Der Todeskandidat hat zehn andere Namen auf die Besucherliste genommen. Von den aufgeführten Personen dürfen fünf der Exekution beiwohnen. Angela Heeb sagt dazu:
«Das beschäftigt mich schon. Zwölf Jahre haben wir uns geschrieben, und ich habe ihn sechs Mal besucht. Und jetzt sind für ihn Freunde in Texas und Familienmitglieder wichtiger als ich.»
Sie ist sich unschlüssig, ob und wenn ja in welcher Form sie ihm das noch schreiben wird.
Die 1993 in der Schweiz gegründete Organisation Lifespark vermittelt Brieffreundschaften mit Todeskandidaten in den USA. «Die USA deshalb, weil sie das einzige Land mit Todesstrafe sind, in dem wir Zugang zu Häftlingen erhalten», sagt Anna-Lena Gruenagel, Präsidentin des Vereins. Zudem könne mit den dortigen Häftlingen auf Englisch korrespondiert werden. Der Verein, der aktuell weltweit rund 300 Mitglieder zählt, will auch über die Todesstrafe und die Umstände aufklären, unter denen die Häftlinge in den US-Gefängnissen leben.
Wer über Lifespark eine Brieffreundschaft einfädeln will und Vereinsmitglied wird, erhält neben der Adresse des Todeskandidaten auch Beratung. Und kann im Moment der Exekution des langjährigen Brieffreundes bei Bedarf auf telefonische Seelsorge zurückgreifen. An Brieffreundschaften interessierte Häftlinge melden sich direkt bei der Organisation – «sie erfahren durch Hörensagen von unserem Angebot», sagt Anna-Lena Gruenagel.
Die Lifespark-Mitglieder erhalten ihre Häftlinge gemäss einer Warteliste zugeteilt. Nur im Einzelfall ist es möglich, Ausschlüsse zu tätigen. «Beispielsweise verhindern wir auf expliziten Wunsch hin, dass junge Mütter einen Kindermörder als Brieffreund erhalten», sagt Gruenagel. Man mache dies aber nur ungern. Dies, da man nicht zwischen den Gefangenen unterscheiden und vor allem auch nicht über ihre Taten richten wolle. Dass Brieffreundschaften abgebrochen werden, kommt vor – laut Gruenagel beispielsweise dann, wenn die psychische Belastung durch den Kontakt zu Todeskandidaten zu gross wird. Oder dann, wenn auf einer Seite grössere Forderungen wie beispielsweise nach Geld oder Zuneigung aufkommen, die vom Brieffreund oder der Brieffreundin nicht erwidert werden. (dwa)